Der Spott der kleinen Dinge

Rücktritt und Rehkeule

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Rücktritt und Rehkeule
 
Neulich habe ich über Rücktritt nachgedacht. Jeder, der auf sich hält, tut das. Es gibt viel zu bedenken. Trittst du zu früh zurück, bist du sofort vergessen wie dieser Bundespräsident. Trittst du zu spät zurück, hast du wie Guttenberg nur noch diese jämmerlichen Freunde von Facebook. Noch heikler ist die Wahl der Gründe. Wenn man lügt, muß es eine gute Lüge sein. Ehrlichkeit ist der Tod des denkwürdigen Rücktritts. Damit kommt „Nachts weine ich nur noch!“ einfach nicht in Frage.
    Der Coup der Rücktrittsrhetorik ist die glaubwürdige Unwahrheit. Das ist schwer. Wenn Gaddafi gesagt hätte, er wolle künftig einfach mehr Zeit für seine Hobbys haben, hätte ihm niemand geglaubt. Außerdem hatte er ja seine Hobbys zum Beruf gemacht: Sonnenbrillen, Fantasiekostüme und Terror.
    Es war Mitternacht, ich aß noch ein Knäckebrot und hatte Rücktrittsgedanken. Da ging ein Alarm in unserer Wohnung los. Wir hatten den Ton noch nie gehört. Sehr kurze Pfiffe, unschön, hilflos. Ich tippte auf ein verendendes Murmeltier hinterm Sofa. Meine Frau, die sich mehr der Realität verpflichtet fühlt, öffnete den Gefrierschrank. Es waren seine letzten Töne. Dann begann er zu tauen.
    Ich schlief nicht, hatte fiebrige Wachträume zwischen Rücktritt und Rehkeulen, in denen es langsam Sommer wurde. In der Frühe rief ich enge Vertraute an, um von meinem Problem zu berichten. Es ging darum, mein Fleisch außer Landes zu bringen. Falsche Freunde schieden rasch von echten. Einer sagte, er sei jetzt Vegetarier, und es hätte nichts mit mir zu tun, daß für mich kein Platz in seiner Truhe sei. Meine Mutter sprach erst zusammenhangslos von Schwächen im Gesundheitssystem und redete sich dann auf ihr kleines Sternefach heraus. Die, die mir am meisten zu verdanken haben, gingen gar nicht erst dran. Ich blieb im Amt und beschloß, mich zu rächen.
 

© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.