Nicht-Orte

Gisela Erlacher - „Himmel aus Beton – Skies of Concrete“

von Frank Becker

© Gisela Erlacher - Chongqing, Yuzhong VII
Nicht-Orte
 
Im Verborgenen der Großstädte der Welt entsteht im immer knapper werdenden Raum, verursacht durch die Überbauung durch Verkehrswege eine kaum beachtete „Unter“-Welt. „Nicht-Orte“ nennt die Fotografin Gisela Erlacher die Flächen unter Straßenbrücken, Autobahn-Hochbauten, verwirrenden Fahrbahnkreuzungen und Brückenbogen, an denen sich ein Leben unter einem Himmel aus Beton entwickelt. Die lange ungenutzten Brachen im Schatten solcher Straßenprojekte, die sich durch und über urbane Räume spannen, werden rund um die Erde entdeckt und (noch) zaghaft genutzt. Gisela Erlacher hat das erkannt und solche „unbewußten“ Orte in China, Großbritannien, den Niederlanden und Österreich systematisch fotografiert.
Was sie in den Bildern zeigt, die sie unter dem Titel „Himmel aus Beton – Skies of Concrete“ zusammengefaßt hat, ist von eigener Dramatik, einerseits düster bedrückend, andererseits beinahe schon komisch, auf jeden Fall aber ein Zeugnis fast schon anrührender menschlicher Selbstbehauptung gegenüber dem Moloch Verkehr. Da gibt es triste Überbauungen bestehender Wohn- und Lebenssituationen zu sehen und die improvisierte Nutzung der unattraktiven Nicht-Orte durch menschlichen Einfallsreichtum. Das schwankt zwischen Skurrilität und Tristesse und ist von kalter Faszination.

Die überwiegend in Shanghai und Chongqing, aber auch in Amsterdam, London, Semmering, Krumpendorf und Wien aufgenommenen großformatigen Bilder des Buches eröffnen dem Bick des Betrachters mehrere Ebenen, indem man die Möglichkeit hat, auf den Darunter, dem Darüber oder dem Dazwischen zu verweilen und erstaunliche Denkansätze zu finden. Geradezu Zen-philosophisch ist die Aussage der als Titelbild gewählten, im Jahr 2011 in Chongqing gemachten Fotografie auf der man in völliger Abgeschiedenheit ein Paar zwischen Brückenpfeilern und Grünpflanzen auf einem Beton-Ensemble beim Tee-Picknick sieht, Pragmatismus zeigt die sachliche Parkraumbewirtschaftung im Wiener Stadtteil St. Marx (2013) und von bedrückender Traurigkeit zeigen sich Pferdeboxen unter Londons Shepherd Bush. Fast heiter wirken dagegen verschiedene rührende Versuche in Shanghai und Chongqing (z.B. Hunangpu VII), mit Teehäusern, Kneipp-Stationen oder Bier-Ausschank Lebensfreude unter den grauen Betonstelzen zu erzeugen. Entsetzlich deprimierend zeigt sich die elende Wirklichkeit unter den Stahlkonstruktionen von Yuzhong V in Chongqing.
Essays von Lilli Lička und Peter Lodermeyer über die Arbeit von Gisela Erlacher und die Räume, die sie fesselnd in ihren Bildern festhält, begleiten die außergewöhnlichen Perspektiven des dargestellten Lebens außerhalb der gewohnten Norm.

 
 © Gisela Erlacher - Shanghai, Huangpu VIII
 
 
Gisela Erlacher hat Psychologie in Klagenfurt und Kamera in Wien studiert. Seit ihrem Diplom 1983 arbeitet sie freischaffend an Projekten zeitgenössischer Architektur und Themen des urbanen und suburbanen Raums.
Lilli Lička ist Landschaftsarchitektin und gründete 1992 koselička Landschaftsarchitektur mit Ursula Kose. Seit 2013 ist sie Professorin für Landschaftsarchitektur an der Universität für Bodenkultur in Wien.
Peter Lodermeyer ist Kunsthistoriker. Er lebt und arbeitet als freiberuflicher Autor, Kritiker und Kurator in Bonn.
 

© Gisela Erlacher - Zhabei Shanghai

Gisela Erlacher  - „Himmel aus Beton – Skies of Concrete“
Eine fotografische Erkundung urbaner Räume unter Brücken, die geprägt sind durch das „Darunter“.
© 2015 Park Books, 112 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 23 x 31 cm, 43 farbige Abbildungen, Text Deutsch und Englisch, mit Beiträgen von Lilli Lička und Peter Lodermeyer  -  ISBN 978-3-906027-92-0
38,- €
 
Weitere Informationen:  www.park-books.com