Der Alkohol, die Dichter & die Literatur

Eine Dokumentation in fünf Teilen - 4. Teil

von Niels Höpfner

Eugen Egner - Foto © Manuela Egner

Der Alkohol, die Dichter
& die Literatur

Eine Dokumentation von Niels Höpfner
in fünf Teilen

4. Teil


Die europäische Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts kennt relativ wenig legendäre Trinker-Schriftsteller, obwohl die politischen Zeitläufte es nahelegten. Der "große Durst" bleibt ein amerikanisches Spezifikum.
Bei den angelsächsischen Vettern wären zwei Dichter zu nennen: der Waliser Dylan Thomas (1914-1953), der mit seiner kryptischen Lyrik und dem Hörspiel "Unter dem Milchwald" zu Weltruhm gelangte, und der Ire Brendan Behan (1923-1964), der als Dramatiker hervortrat.

Um Geld zu verdienen, aber auch, um seinen Ruhm zu mehren, unternahm Dylan Thomas vier Vortragsreisen nach Amerika, auf Einladung eines gewissen John Malcolm Brinnin, der Leiter eines Literaturzentrums in New York war. Der Gastgeber veröffentlichte später ein Buch "Dylan Thomas in Amerika", das nicht gerade von der feinen englischen Art war, und schreibt dort mit heuchlerischem Erschrecken über den Dichter: "Er hatte zu schnell und zuviel getrunken, und wenngleich ich mittlerweile keiner weiteren Beweise für seine unglaubliche Aufnahmefähigkeit bedurfte, merkte ich doch, daß er die Auswirkungen dieses abendlichen Gelages deutlicher verspürte als die der anderen seit seiner Ankunft. Das Kinn fiel ihm auf die Brust... und er schlief, bis die Zigarette seine Finger verbrannte und ihn hochschrecken ließ... Der makelloseste Lyriker des zwanzigsten Jahrhunderts- hier saß er, ein trauriges Wrack alkoholisierter Erschöpfung, schwarzzüngig und berauscht von der rettenden Flasche des Heils, unfähig zu eigenen Gedanken, unfähig, sich selbst zu erkennen..."

Dylan Thomas' Lesungen waren ein triumphaler Erfolg. Die Menschen drängten sich nicht nur in den Vortragssälen, um ihn zu hören, sondern drängten auch in die Bars, um ihn zu sehen: der Dichter als Jahrmarktsattraktion.
Wie schon Poe stirbt auch Dylan Thomas während einer Vortragsreise, plötzlich und überraschend. Freunde und Bewunderer veranstalteten eine Geldsammlung für seine Frau und seine Kinder.

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Der Mann von der Insel, wo Ale und Whiskey fließen, Brendan Behan, ist ein Energiebündel gewesen, kein schlappes Kind von Traurigkeit, ein Ire, wie er im Bilderbuch steht: aufgewachsen in den Slums von Nord-Dublin, katholisch und äußerst antiklerikal, natürlich leidenschaftlicher Republikaner und also I.R.A.-Rebell, was ihn hinter englische Gitter brachte, und ein begnadeter Säufer vor dem Herrn.
Rae Jeffs, die eine Druckfassung des zweiten Teils der von Behan auf Band gesprochenen Autobiographie erstellte, über ihre erste Begegnung mit dem irischen Originalgenie: "Nachdem wir uns miteinander bekannt gemacht hatten, verlangte Brendan, dessen Durst sich nicht nach den Öffnungszeiten der Kneipen richtete, etwas zu trinken. Wohlerzogen fragte ich, ob es Tee oder Kaffee sein dürfe.
'Nennen Sie das was zu trinken?' röhrte er und fügte einen Schwall ungezügelter angelsächsischer Worte hinzu, die man gewöhnlich nicht in einem Verlagsbüro zu hören bekommt.
So begann die erste meiner vielen Lektionen in Nonkonformismus. Irgendwie gelang es mir, eine Flasche Whiskey zu besorgen. Ich kehrte triumphierend ins Büro zurück, genauso begeistert über meinen Erfolg wie Brendan selbst."

Selbstverleugnung gab es für Brendan Behan nicht: "Was das Trinken anbetrifft, so kann ich sagen, daß in Dublin während der Notzeiten in meiner Jugend Trunkenheit nicht als soziale Schande betrachtet wurde. Wenn es einem gelang, genug zu essen zu bekommen, wurde das als Heldentat betrachtet- wenn es einen gelang, sich zu betrinken, war das ein Sieg."
Brendan Behans Schauspiel "Die Geisel" endet mit einem Song, dessen beide letzten Verse lauten: "Trink ein Bier aus meiner Urne/ Laß dir's schmecken, wenn du kannst."

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Vergessen werden soll nicht  der kosmopolitische Schriftsteller & Trinker Malcolm Lowry (1909-1957). Geboren in England, fuhr er zur See, landete über Norwegen in Frankreich und Spanien und ging 1935 in die USA. Dann Mexiko, Kanada und wieder England. Ein rastloses Leben. Inspiriert von seinem Aufenthalt in Mexiko veröffentlichte Lowry 1947 seinen Roman "Unter dem Vulkan", der später zum Kultbuch avancierte. Die Geschichte ist angesiedelt in Quauhnahuac, einer mexikanischen Stadt in der Nähe zweier Vulkane, und schildert die letzten zwölf Stunden am 2. November 1938 im Leben des britischen Konsuls Geoffrey Firmin, der schwerer Alkoholiker ist. Vordergründig, weil er Eheprobleme und andere zwischenmenschliche Schwierigkeiten hat, in Wirklichkeit aber ist sein Suff eine Flucht vor der Unmenschlichkeit der modernen Welt und dem eigenen Versagensgefühl- eine Parabel für das sich anbahnende Weltkriegschaos. Autobiographische Bezüge sind unübersehbar: auch Lowry war stark alkoholabhängig, in seinen letzten zehn Lebensjahren war ein Dutzend Klinikaufenthalte erforderlich.

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Unter deutschen Schriftstellern im vergangenen Jahrhundert ist Alkoholismus anscheinend kaum ein Problem, jedenfalls wird er nur in wenigen Fällen manifest, interessiert höchstens als literarisches Thema. Gerhart Hauptmann war – wie Goethe - ein starker Genußtrinker: einige Flaschen Wein täglich. Auch sein Werk durchweht eine blaue Fahne.³
Thomas Mann hat Hauptmanns alkoholische Neigungen ironisiert in der "Zauberberg"-Figur Mynheer Peeperkorn, die er episch mit Gift umbringt (auch so kann man sich eines unliebsamen Konkurrenten entledigen). Schon in der Novelle "Der Weg zum Friedhof" (1901) hatte Mann den Trinker Lobgott Piepsam [!] diskriminiert. Thomas Mann schreibt in seinem Statement "Über den Alkohol" (1906) furchtsam-spießerhaft: "Ich Geringer trinke täglich zum Abendbrot ein Glas helles Bier und reagiere auf diese anderthalb Quart so stark, daß sie regelmäßig meine Verfassung durchaus verändern. Sie verschaffen mir Ruhe, Abspannung und Lehnstuhlbehagen, eine Stimmung von 'Es ist vollbracht!' und 'Oh, wie wohl ist mir am Abend!'..."

Bezeichnend ist vielleicht auch, wie Bertolt Brecht sich aus Imagegründen als Trunkenbold gerierte, seine alkoholische Kennerschaft auf der Bühne ausstellte ("Baal [1922], "Herr Puntila und sein Knecht Matti [1940/41]) und mit den beiden Gedichten "Über den Schnapsgenuß" und "Vorbildliche Bekehrung eines Branntweinhändlers" noch vertiefen wollte: in Wirklichkeit rührte der herzlabile Brecht kaum einen Tropfen Alkohol an.

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Es mag überraschen, daß der so sittsame Hermann Hesse (1877-1962) als junger Mann alkoholischen Gefährdungen ausgesetzt war. In Ralph Freedmans Hesse-Biographie findet sich unter den Anmerkungen die verschämte Fußnote: "Er vertraute sich 1906 dem Sanatorium Monte Veritá an; in Verbindung mit der naturgemäßen Lebensweise unterwarf er sich einer Alkoholentziehungskur, durch die er seine zerrüttete Gesundheit wiederherstellte."
Im Winter 1925/26, als Hesse in Zürich am "Steppenwolf" arbeitete, befand er sich in einer Existenzkrise. Dazu Freedman: "In seiner kleinen Wohnung... verbrachte er die meiste Zeit des Tages mit Trinken, die Abende in Bars und Gasthäusern und schrieb in den schlaflosen Nächten Gedichte wie das folgende: "'Jede Nacht der gleiche Jammer,/ Erst getanzt, gelacht, gesoffen,/ Müde dann in meine Kammer/ Und ins kühle Bett geschloffen./ Kurzer Schlaf und langes Wachen,/ Verse aufs Papier geschrieben,/ Brennende Augen wund gerieben,/ Lieber Gott, es ist zum Lachen!/ Zwischen Träumetrümmern lieg ich,/ Wünsche dieser Qual ein Ende,/ In zerwühlte Kissen schmieg ich/ Heiße Wangen, feuchte Hände,/ Schütte Whisky in die Kehle,/ Und in den verlorenen Schlünden/ Jammert die erstickte Seele./ Irgendwo aus Höllengründen/ Kommt der Morgen dann geschlichen,/ Und der Tag mit fürchterlichen/ Augen stiert auf meine Sünden."

Indiskutable Lyrik, aber psychoanalytisch hochinteressant. Und konsequent bewältigte Hesse mit psychotherapeutischer Hilfe sporadisch auftauchende Lebenskrisen und wohl auch seine Alkoholprobleme.
 


Fortsetzung folgt!


© Niels Höpfner - Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung des Autors

© Foto: Manuela Egner - Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung der Bild-Autorin