Der Spott der kleinen Dinge

Gurke und Schmierlapp

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Gurke und Schmierlapp
 
Neulich habe ich gehört, daß jetzt alle Politiker wissen, was Kollegen über sie denken, also Gurke, Schmierlapp, Lutscher, Fruchtzwerg, Mehlwurm, Schnapsdrossel, Faschist – das Übliche eben. Ich habe von der Sause später erfahren als die anderen. Ich bin kein Recherche-Terrier, ich lasse Nachrichten in aller Ruhe auf mich zukommen. Oft stehen sie dann deutlich schlackenfreier vor mir.
    „Was ist die Meldung?“, dachte ich einen alten Satz meines Ausbilders. Solche Fragen sind aus der Mode, ich weiß, aber ab und zu spiele ich das Spiel nochmal. „Was ist die Meldung?“ Ich wurde nervös, weil ich im Kopf textete wie verrückt, aber die Zeile kam nicht. Ich entdeckte keine News. In einer Kurzschlußreaktion beschloß ich, den Wunschzettel meiner Frau abzuarbeiten.
    Es war zwar Sonntag, aber er war verkaufsoffen. Im Einkaufszentrum, das sehr groß ist, verlief ich mich. In einer Sackgasse stand ich plötzlich vor einem Kasperltheater. Dort konnte man Kinder abgeben. Das Kasperltheater war wie immer: Prinzessin, Hexe, Kasper. Die Bühne war relativ schäbig: ein Wald, ein Häuschen. Der Puppenspieler war alt. Man sah die ganze Zeit seine Glatze. Sie hatte Flecken. Die Kinder störte das überhaupt nicht.
    Der alte Puppenspieler gab sich nicht die geringste Mühe, seine Stimme zu verstellen. Prinzessin, Hexe, Kasper: Alle Figuren klangen wie Heinz Schenk. Mehrfach stieß er mit seiner fleckigen Glatze an die Hexenhaustür. Die Tür ging auf und die Prinzessin hätte mühelos abhauen können, aber der alte Puppenspieler hielt sich an die Theatergesetze.
    Auch die Kinder fanden nichts dabei, daß die Tür eigentlich auf und doch zu war. „Was ist die Meldung?“, fragte ich mich. „Immer mehr Unsichtbares sichtbar“? Ich applaudierte verhalten, als die Hexe verprügelt wurde. Es geschah mit ihrem eigenen Besen.
 
 
 
© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.