Hochzeit mit Hindernissen

„Höchste Zeit!“ - Eine Revue im Theater im Rathaus Essen

von Frank Becker

Wo bin ich...? - v.l.: Angelika Mann, Franziska Becker, Nini Stadlmann - Foto © Roland Keusch

Cinderella auf Crack
 
„Höchste Zeit!“ - Eine Revue von
Tilmann von Blomberg, Carsten Gerlitz und Katja Wolff
 
Regie: Katja Wolff - Musikalische Leitung: Carsten Gerlitz – Buch: Tilmann von Blomberg - Ausstattung: Susanne Füller - Choreografie: Christopher Tölle – Fotos: Der DEHMEL/Urbschat
Besetzung: Die Karrierefrau: Franziska Becker – Die Hausfrau (57): Angelika Mann – Die Vornehme (55) Heike Jonca – Die „Junge“ (42) Nini Stadlmann
 
Der Frosch im Hals
 
Essen. Erinnern sie sich vielleicht noch an „die Junge“, „die Karrierefrau“, „die Vornehme“ und „die Hausfrau“, die sich in der turbulenten Wechseljahre- Revue „Heiße Zeiten“ vor gut fünf Jahren am Flughafen kennengelernt haben? Der Erfolg hat eine Fortsetzung bekommen, denn jetzt will unsere Karrierefrau (Franziska Becker) unter die Haube, weil sie findet, daß es „Höchste Zeit“ ist. Das finden mehr oder auch weniger auch ihre drei Freundinnen, die sie als Brautjungfern eingeladen hat („Jungfern? Ich seh´ hier keine!“). Zum Termin bringt jede ihr Päckchen mit, was zu allerlei Bekenntnissen, Entschlüssen, deftigen Scherzen (Kostprobe: „Moment, ich hab `n´ Frosch im Hals – komisch, als ich ihn vorhin in den Mund genommen habe, war´s noch ein Prinz.“) und vielen situationskomischen Liedern führt. Anstelle der vierköpfigen Live-Band der Originalfassung kommt in Essen leider nur ein(e) Ton-Band zum Einsatz, was auch ganz gut klappt. Der sonor kommentierende Spiegel (Viktor Neumann) ergänzt das Ringen des archetypisch femininen Quartetts bei seinen Auseinandersetzungen mit dem Ehestand und der Tagesform sowie den 20 bissig umgetexteten Songs aus der Pop- und Schlagerliteratur – im Zentrum natürlich die Frau, ihre nicht immer befriedigten Bedürfnisse, Problemzonen und Stärken.


 v. l. Angelika Mann, Franziska Becker, Nini Stadlmann und Heike Jonca - Foto © Der DEHMEL / Urbschat

Cinderella auf Crack
 
In einer Luxussuite des Metropol-Hotels mit atemberaubendem Blick auf die Kulisse von Berlin müssen die drei „Jungfern“ erst mal die stockbesoffene und ein wenig aufgelöste Braut (bildschön, burlesk und dennoch elegant: Franziska Becker) auf Vorderfrau bringen, die wie Cinderella auf Crack in der Kurve hängt, ihr die Angst vor dem entscheidenden Moment nehmen und gemeinsam versuchen herauszufinden, ob sie nun wirklich in der Nacht vor der Hochzeit mit jemandem guten Sex hatte (nicht mit ihrem Bräutigam!). „Höchste Zeit (The Shoop Shoop Song)“, „Prost (Rum & Coca Cola)“ und „Für immer und ewig (For Once In My Life)“ sind ein guter Einstieg in die Hitparade der witzigen Texte, die Carsten Gerlitz auf die Originale gelegt hat und bei denen vor allem Franziska Becker mit starkem Vortrag und glänzender Stimme punktet. Nini Stadlmann hat in „Ich will (My Boy Lollipop)“ ein schönes Blockflöten-Solo (sie kann übrigens auch prima steppen, wenn man sie läßt), Heike Jonka hat u.a. in „Zweisam einsam (The Rose)“ einen starken Auftritt und Angelika Mann rockt zum Vergnügen des Publikums Theaters im Rathaus Essen, dessen Publikum an diesem Abend zu deutlich mehr als 80 % aus Damen bestand, eine fordernde Fassung von Chuck Berrys „Johnny B. Goode“: „Ich will noch mehr“. Daß sie glänzend extemporiert, zeigte sie am Essener Premieren-Abend nicht nur hier. Sie wird als komödiantisches Zugpferd und Star apostrophiert und bringt sich auf flachen Absätzen deftig liebenswert auch so ein.
Doch die hinreißende Franziska Becker, deren herrliche Lacharie der Maria in „Was ihr wollt“, ihre Helena im „Sommernachtstraum“, die Rolle der Arsinoé im „Menschenfeind“, die Brooke in „Popcorn“ und ihr prägender Anteil an „Die Ermittlung“ und den „Sekretärinnen“ am einst großen Wuppertaler Schauspiel neben vielen anderen unvergessen sind, zeigt auch im Musical einfach fabelhaft die ganze dramatische, emotionale und musikalische Palette.
 
Ensemble-Nummern
 
Choreographisch wie musikalisch gelungen sind dank Christopher Tölle und Carsten Gerlitz die Ensemble-Nummern: köstlich, wirklich komisch und vom Essener Premieren-Publikum erkannt und bejubelt der Reigen der „Elfen“ (Heinz Erhardt hätte sie als „Zwölfen“ bezeichnet). Nicht nur bei Wagners Hochzeitsmarsch „Treulich geführt“, bei „Ersatzteillager (Save Your Kisses For Me)“ und „Noch nicht Schicht im Schacht (Girls, Girls, Girls)“ – nicht nur da passiert auf der Bühne richtig was. Übrigens: die vier Damen zeigten sich durchweg in bester Form und merkbar gut gelaunt.
Daß aus der Karrierefrau schließlich doch eine glückliche und bildschöne Braut wird, die „Junge“ einen Antrag macht, der ein „Ja“ zur Folge hat, die „Hausfrau“ den Job als Suppenköchin annimmt und die „Vornehme“ auch vornehm auf ihre verschobene Scheidung wartet (vorwiegend vom weiblichen Publikum sicher nicht ohne Grund bejubelt: „Scheidung betrachte ich als vorzeitige Haftentlassung.“) macht die Sache rund. Also: Obacht, meine Herren! Ein Stück für Frauen, von denen sich viele 1:1 darin wiederfanden, zeigte eine Umfrage in der Pause - lehrreich aber auch für die Herren, die künftig vielleicht etwas genauer auf die Bedürfnisse ihrer Gattinnen schauen. Das Finale mit „Hallelujah“, Marianne Rosenbergs „Er gehört zu mir“ sowie „Celebration“ von Kool and The Gang als mitgeschmetterte Zugaben wurde bestens gelaunt und stehend vom Publikum gefeiert.Wir können den Abend leichten Herzens empfehlen.


 v. l. Heike Jonca, Franziska Becker, Nini Stadlmann und Angelika Mann - Foto © Der DEHMEL / Urbschat

Spieldauer: 2 genüßliche Stunden und ebenso erfreuliche 20 Minuten, eine Pause
Eine Produktion des EURO-STUDIO Landgraf in Zusammenarbeit mit dem Theater am Kurfürstendamm Berlin
 
Vom 16.6.-12.7.2015 en suite (außer montags / Sa 11.07.) im Theater im Rathaus Essen: www.theater-im-rathaus.de
Weitere Informationen:  www.facebook.com/