Schicksale und fremde Welten

„Dorthin, wo Milch und Honig fließen“ - Migrationsprojekt in Düsseldorf

von Martin Hagemeyer

Foto © Meyer Originals - www.meyeroriginals.com

Schicksale und fremde Welten

Migrationsprojekt durch Oberbilk führt zu erstaunlichen Einsichten
 
Düsseldorf. „Dorthin, wo Milch und Honig fließen“: Wer dieser Verheißung folgen will, darf einige Umstände nicht scheuen. Schon weil man für das Kunstprojekt dieses Namens nach Düsseldorf kommen muß, und nicht etwa ins Theater, sondern aufs oberste Parkdeck am Hauptbahnhof. Das ist erst der Beginn und nur die kleinste Anstrengung, aber wer der Typ ist für die Herausforderungen dieses Abends, der sagt sich am Ende: Ein Jammer, es zu verpassen.
 
Der Typ dafür ist nicht jeder. Das Werk von Charlott Dahmen und Karin Frommhagen ist eine Performance mit entschieden starker Publikumsbeteiligung, und das Publikum muß mindestens zwei Dinge sein: folgsam und beweglich. Ganz recht so, würden die Macher sagen, denn just das verlangt man ja auch von Zuwanderern – und Migration ist das Thema des Tages. Aber die Fairness gebietet die Warnung: Wer sich nicht berufen sieht für solch ein Spiel mit fixen Regeln, vordergründig ein Mix aus Sozialkunde und Schnitzeljagd: Der würde heute vermutlich keine Freude haben.
Der Rest ist verzaubert.
 
Der Stadtteil Oberbilk um die Ellerstraße ist multikulturell geprägt, wie man sagt, und das ist zwar Fakt und unübersehbar, aber verstanden hat man damit noch nichts. Der Passant kennt die arabischen Läden und Treffpunkte nur als Fassade. Und für Besucher von „Milch und Honig“ ist es vielleicht der bereicherndste Ertrag, heute Einblicke hinter diese Fassade zu finden. An welcher Stelle, in welchem Lokal, mit welcher Lektion: Das bestimmt der „Audioguide“, den man sich wie im Museum umschnallt und aus dem einen die Stimme einer Schauspielerin quer durchs Viertel dirigiert. Und wenn sie nicht gerade sagt: „Da links gegenüber kommt jetzt eine Teestube, da möchte ich gerne mit dir hingehen“ – dann erzählt sie vom Fluchtweg eines Menschen, vielleicht von Halima aus Syrien oder von Rajana aus Somalia, denn deren Fluchtweg führte sie genau nach Düsseldorf-Oberbilk.
Welcher Zuschauer welches Schicksal aufs Ohr gedrückt bekommt, wird zu Beginn zugewiesen: auf besagtem Parkdeck. Verschiedene Routen also, wobei sich an einigen zentralen Stationen alle kreuzen. Enormes Planen und Timing heißt das für die Akteure – reale Ansässige, Schauspieler und das Leitungsteam. Enormes Mittun heißt es fürs Publikum. Doch die selektive Fassaden-Öffnung, sie ist das alles wert.
 
„Milch und Honig“ will sehr viel. Die Produktion entstand im Auftrag des Bundesentwicklungsministeriums. „Engagement Global“, eine vom Bund finanzierte Zentrale für Entwicklungsinitiativen, will in seine Bildungsarbeit rund um Migration auch das „Medium Kultur“ einbeziehen. Im Ergebnis kommt viel hinzu zur schon an sich sehr ungewöhnlichen Aktionsform: Erschließung fremder Orte, reale Situationen, gespielte Szenen – sowie einiges irgendwo dazwischen: Dirk Sauerborn etwa steht in Uniform am Stadtplatz und spielt dort einen Polizisten, ist sonst allerdings tatsächlich Polizist (und zwar „Kontaktbeamter“ der Düsseldorfer Polizei). Und als wäre das alles noch nicht genug, spielen noch viele gewollte Analogien zum Migrationsthema hinein, wie daß die nette Frau im Ohr zwar „links“ und „gegenüber“ sagt, aber niemals einen Straßennamen – weil: Ohne Orientierung ist man ja auch als Flüchtling.
Sehr viel aber, und das ist eigentlich viel wichtiger, gibt’s bei alledem an neuer Erkenntnis. Im Hamam bekommt der leicht überforderte Gast sehr freundlich Tee serviert sowie eine Kurzeinführung zu dieser türkischen Dampfbad-Institution. In der Beratungsstelle „Stay“ ein paar Straßen weiter erfährt man, daß zum Beispiel Halima (man kennt sie längst vom Kopfhörer) nach ihrer Ankunft einem Flüchtlingsheim irgendwo im Bundesgebiet zugewiesen wird – und daß es für sie eigentlich wünschenswert wäre, wenn es zentral läge, anders als man es von hiesigen Klagen über „zumutbare“ Lagen kennt. Und vieles, sehr vieles mehr. Zumindest wenn man besser ist im Stadtplanlesen als der Verfasser und alle Stationen rechtzeitig erreicht.
Aber „der Typ sein“ für solch eine Tour: Das verlangt vielleicht gar nicht so sehr Stadtpläne zu  mögen oder komplette Routen zu finden, sondern – sich einzulassen. Und für manchen Nicht-Autofahrer ist ein zugiges Parkdeck im fünften Stock eigentlich ein kaum weniger exotischer Ort als ein duftendes Dampfbad. Fazit: Ein Kraftakt voll mit Genüssen und noch mehr Gewinn.


Foto © Meyer Originals - www.meyeroriginals.com
 
Die Premiere am 11. Juni war zu Wochenbeginn bereits ausverkauft, für die weiteren Aufführungen gab es noch Karten: 17., 24., 25.6., je 17.30 Uhr; außerdem 13.6., 12.00 Uhr. Startpunkt: Parkhaus Düsseldorfer Hauptbahnhof, oberstes Parkdeck, Eingang Bertha-von-Suttner-Platz, Hinterausgang des Bahnhofs. Dauer: ca. 120 Minuten. Festes Schuhwerk empfohlen.
Eintritt: 15 Euro, ermäßigt 10 Euro zzgl. VVK-Gebühren.
 
Weitere Informationen: www.engagement-global.de/theater