„Liebermann und Van Gogh”

Eine Ausstellung der Liebermann-Villa am Wannsee / Berlin

von Joachim Klinger

Vincent van Gogh - Kopf einer Bäuerin, 1885
© Sammlung E. G. Bührle, Zürich
„Liebermann und Van Gogh”
 
Eine Ausstellung der Liebermann-Villa
am Wannsee / Berlin
 
Denkt man an den Maler Max Liebermann (1847–1935), dann mag man elegante Reiter am Strand vor Augen haben. Bei Vincent Van Gogh (1853–1890) mögen sich sonnendurchglühte Landschaften mit dem tiefblauen Himmel der Provence einstellen. Kann man diese Künstler gemeinsam präsentieren?
 
Man kann! Es gab eine „Zeit der Nähe”, nicht nur in räumlicher Hinsicht, sondern auch in thematischer Beziehung.
Beinahe wären sich die beiden Künstler begegnet. Seit 1872 fuhr Max Liebermann fast jeden Sommer nach Holland, dort war seine „Malheimat” vor allem in Zweeloo in der Region Drenthe, einer abgelegenen, ländlichen Gegend. Im September 1883 reiste Van Gogh nach Drenthe, einem Rat seines Lehrers Anton Mauve folgend. Aber da war Max Liebermann schon nach Deutschland zurückgekehrt. Theo Van Gogh hatte seinen Bruder Vincent, der sich entschlossen hatte, Maler zu werden, auf Liebermann hingewiesen und sein malerisches Werk beschrieben. Vincent Van Gogh hoffte, von Liebermanns Kunst der Landschaftsmalerei lernen zu können.
 
Wie wäre ein Treffen der beiden verlaufen? Man kann nur mutmaßen. Aber man stelle sich vor: Auf der einen Seite ein soignierter Herr, aus reichem Großbürgertum stammend, als Maler längst arriviert und anerkannt. Auf der anderen Seite ein holländischer Pfarrerssohn, ein Suchender, religiös motiviert, wegen unzulänglicher Rednergabe von der Kirche als eine Art Sozialarbeiter beschäftigt, nun mit brennender Hingabe auf dem Weg zur malerischen Erfassung seiner Umwelt. Da wäre wohl ein Gespräch „auf Augenhöhe” kaum möglich gewesen.
Im Katalog zur Ausstellung berichtet Margreet Nouwen („Lob der Kartoffel – Van Goghs Kartoffelesser und Liebermanns Tischgebet”, auf Seite 92), Max Liebermann habe Van Gogh doch später einmal in einem Pariser Café gesehen, aber keinen Kontakt aufgenommen, weil er ihn für „allzu exzentrisch” hielt.
 

Max Liebermann, Karre in den Dünen, 1889
© Hamburger Kunsthalle, Foto: Elke Walford
 
Vincent van Gogh, Kartoffelgrabende Bäuerin,1885
© Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen,
Foto: Hugo Maertens
Zitat: „Ein sehr unappetitlicher Mensch, wissen Se, dauernd aufgeregt und streitend, ein unangenehmer Zeitgenosse, ich bin ihm schließlich aus dem Weg gegangen.” (Zitat nach Bernd Küster: Max Liebermann. Ein Maler-Leben, Hamburg 1988, S. 68).
Und wenn Van Gogh 1883 dem Meister Liebermann „Schülerarbeiten”, erste künstlerische Versuche vorgelegt hätte? Man muß sich vergegenwärtigen, daß Van Gogh Malunterrricht genommen hatte und sich noch recht unbeholfen im Umgang mit der Farbe zeigte. Seine Bilder sind dunkel, erdfarbig und fassen die Formen zu undeutlichen Silhouetten zusammen (vgl. etwa „Landschaft mit Torfhaufen und Bauernhäusern”, 1883, Katalog S.19 und „Im Moor”, 1883, Katalog S.122).
Freilich, mit den Zeichnungen ist es etwas anderes. Da hätte Liebermann „die Klaue des Löwen” erkannt. Nicht nur der fein angelegte „Obstgarten” aus dem Jahr 1883 (Katalog S.55), ein Gegenstück zu Liebermanns „Obstgarten in Zweeloo”, 1882 (Katalog S.54) hätte ihm gefallen. Auch die kräftigen Skizzen (Bleistift, Kohle, Feder) von schwer arbeitenden Menschen, die Darstellung der von Anstrengungen und Entbehrungen gezeichneten Gestalten und Gesichter hätten seine Anerkennung gefunden.
 
Van Gogh war nicht nur ein sehr präziser Grafiker, er rang auch um Ausdruckskraft, indem er sich in die Menschen hineinversetzte und ihrem Wesen gerecht zu werden suchte (empfehlenswert in diesem Zusammenhang Evert van Uitert „Vincent Van Gogh – Zeichnungen” DuMont Buchverlag Köln 1977).
Hatte Van Gogh schon Werke von Jean François Millet (1814–1875) kopiert, dem Begründer der Schule von Barbizon und Maler von Landleuten bei der Arbeit („Sämann, Ährenleserinnen, Kornschwinger, Angelus”), hatte er Anregungen und Anleitungen dem Werk von Josef Israëls, Anton Mauve und anderen entnommen, so konfrontierte ihn sein Ausflug in die Region Drenthe mit Pflügern und Webern, Näherinnen und Kartoffelsammlerinnen.
Hier manifestiert sich „der Augenblick der Nähe” in der Gleichartigkeit der Motive. Der Katalog stellt auf eindrucksvolle Weise gegenüber, was in der Ausstellung am Original bewundert werden kann: Dreimal „der Weber” von Max Liebermann (S.56/57) und zweimal „Weber nach rechts gewandt” und „Der Weber” von Vincent Van Gogh (S.58/59). Die zeitliche Nähe: die Werke stammen aus den Jahren 1882 und 1883.
Oder: Max Liebermanns „Nähstube” und Vincent Van Goghs „Die Näherin beim Fenster” (S.64/65).
Oder, Vincent Van Goghs „Nähende Frau” (S.68) und Max Liebermanns „Stopfende Frau am Fenster” (S.68/69).
 
 
Max Liebermann, Stopfende Alte am Fenster, 1880
© Privatbesitz, Foto: Tammo Ernst

Vincent van Gogh, Die Näherin beim Fenster, 1881
© Privatbesitz, Foto: Patrick Goetelen
Es ist geradezu spannend, die Bilder der beiden Künstler zu vergleichen, und daß diese Spannung hergestellt wird, ist ein Verdienst der Ausstellung!
Margreet Nouwen zieht in ihrem Katalog-Beitrag (S.91 ff.) das Resümee: „Beide Künstler, Vincent Van Gogh und Max Liebermann, verbindet das Interesse am Leben der einfachen Leute auf dem Lande, ihrer Mühsal und der Härte ihres Lebens” (S.101). Dann arbeitet sie Unterschiede in der Sichtweise der beiden Maler heraus und schließt mit dem Satz: „Van Gogh will ganz nah bei den Menschen sein, der Großbürger Liebermann hält dagegen immer wieder Abstand, der es ihm erlaubt, auch schwierige Lagen nüchtern und sachlich zu behandeln” (S. 102).
Das ist gewiß richtig. Man könnte auch sagen: Van Gogh malt Menschen, Liebermann malt ein Bild.
Paul Eipper erzählt in dem Buch „Atelier-Gespräche mit Liebermann und Corinth”, Serie Piper, München, Zürich, Neuausgabe 1985, Liebermann habe ihm folgendes gesagt: „Glauben Sie, ich hätte ein Bild gemalt in meinem Leben, das nicht fertig gewesen wäre, ehe ich angefangen habe, den Pinsel in die Farben zu stecken?” (S.21).
Dieser Ausspruch zeigt, wie Liebermann an den zu malenden Gegenstand herangeht. Er hat eine Vorstellung, er sieht sozusagen sein Werk schon vor sich. Van Gogh nähert sich dem Bildgegenstand, um ihn in intensiver Arbeit zu erfassen und malerisch zu entwickeln.
 
Der jeweilige Ansatz läßt sich nicht qualitativ bewerten; der Künstler ist autonom. Aber der Vergleich fertiggestellter Werke gibt zu denken. Im Katalog ist auf S.76 Van Goghs „Kopf einer Bäuerin” (1885) abgebildet.
Auf S.77 finden wir Liebermanns „Brustbild einer Holländerin” (1889). Liebermanns verhärmte Holländerin blickt nach links, der Betrachter kann
Max Liebermann, Stille Arbeit, o. J.
© Museum Kunst der Westküste, Föhr
keinen Kontakt mir ihr aufnehmen. Auch Van Goghs Bäuerin schaut den Betrachter nicht an, aber ihr brennender Blick nimmt ihn trotzdem gefangen. An diesen Beispielen erkennt man, was Nähe oder Distanz des Künstlers bewirken können! Empfehlenswert als Begleiter durch die Ausstellung ist nicht nur der sorgfältig gestaltete Katalog, sondern auch der sehr informative Einführungsfilm.
 
 
Liebermann und van Gogh
26. April bis 10. August 2015
Liebermann-Villa am Wannsee
Colomierstr. 3 - 14109 Berlin
 
Film zur Sonderausstellung                          
Liebermann und Van Gogh                     
2015, Dauer: 15 Minuten
Film + Regie: Almut Faass 

Weitere Informationen: www.liebermann-villa.de