Da capo al fine!

Leonardo Vincis Barock-Oper „Il Catone in Utica“ bei den Maifestspielen 2015 in Wiesbaden

von Bea Lange

Juan Sanchez - Foto © Martina Pipprich

Da capo al fine!
 
Leonardo Vincis umjubelte Barock-Oper „Il Catone in Utica“
bei den Maifestspielen 2015 in Wiesbaden
 
30. Mai 2015,19.30 Uhr - Staatstheater Wiesbaden, Großes Haus
Parnassus Arts Productions | Baden | Österreich
 
 
Musikalische Leitung: Riccardo Minasi - Inszenierung: Jakob Peters-Messer - Bühne, Kostüme: Markus Meyer - Licht: David Debrinay - Video: Etienne Guiol - Fotos: Martina Pipprich - Orchester: Il Pomo d’Oro – Libretto: Pietro Metastasio
Besetzung: Cesare: Franco Fagioli - Catone: Juan Sancho - Arbace: Max Emanuel Cencic - Marzia: Ray Chenez - Fulvio: Martin Mitterrutzner - Emilia: Vince Yi

Alle freut, was alle freut

 
An diesem lauen Frühlingsabend in Wiesbaden stimmte einfach alles. Das Ambiente im wunderschönen Neobarocksaal des Wiesbadener Staatstheaters, hinreißende Stimmen, geniale Instrumentalisten, eine Musik zum Verlieben und ein enthusiasmiertes Publikum, das die Erhabenheit des Augenblicks erkannte und die Künstler nach rund vier Stunden - aber auch schon dazwischen - frenetisch feierte.
Zum Ende der diesjährigen Maifestspiele - zum ersten Mal verantwortet vom neuen Intendanten Uwe Eric Laufenberg und als Erfolgskapitel festzuhalten - trumpfte das Genre Oper noch einmal groß auf. Nachdem im Jahr 2012 Leonardo Vincis (1690 – 1730) letzte Opera Seria Artaserse (UA 1730) das Licht der Bühne wieder erblickte - gefeiert und mit vielen Auszeichnungen bedacht - hat nun Countertenor Max Emanuel Cencic als künstlerischer Leiter der Produktionsfirma dafür gesorgt, daß eine zweite fast vergessene Vinci-Oper - „Catone in Utica“ (UA 1728 in Rom) wieder aufgeführt wird.
Was für ein Gewinn, welch musikalische Schönheit offenbart sich auch hier; feingestrickte Arien, ausdrucksstarke Rezitative, eine Musik so federnd leicht und elegant, so zeitlos, inspiriert und edel vorgetragen. Es will schon etwas heißen, wenn einem nach einer Da-capo-Arie nach einem Da capo dürstet. Das großartige Libretto um die Geschichte des römischen Staatsmannes Cato von Utica, der Cesare unterliegt und sich als überzeugter Stoiker selbst entleibt, wurde von 30 Komponisten vertont und stammt vom äußerst produktiven und seinerzeit berühmten Pietro Metastasio.


v.l.: Vince Yi, Juan Sancho, Ray Chenez, Max Emanuel Cencic - Foto © Martina Pipprich
 
Der österreichischen „Parnassus Arts Produktion“, spezialisiert auf Tourneeprojekte, ist wiederum ein großer Wurf gelungen. Sichtlich glücklich sah man deren Chef Georg Lang unter den rund eintausend Besuchern des Abends. Mit 4 Countertenören und 2 Tenören, allesamt junge Sänger von Format, und der Erfahrung aus Artaserse (ähnlicher Ausstattungsstil), konnte eigentlich nichts schief gehen. Da war es auch zu verschmerzen, daß kurz vor der Premiere die Rolle von Valer Sabadus krankheitsbedingt umbesetzt werden mußte. Für seine Fans zwar ganz sicher eine Enttäuschung, doch der Amerikaner Ray Chenez (Marzia) wußte das Publikum mit viel Charme für sich einzunehmen und nutzte seine Chance. Ganz unähnlich waren sich die Timbres auch nicht, obwohl Sabadus‘ Strahlkraft, besonders in den Höhen, nicht so ohne weiteres zu übertreffen ist. Mit dem Südkoreaner Vince Yi als Emilia in der zweiten Frauenrolle fand sich ein wunderbar weicher und ausgeglichener Sopran. Der sympathische spanische Tenor Juan Sancho blieb hier als Titelfigur leider zunächst etwas angestrengt, doch seine  männlich markante Stimme hat durchaus ihre Qualitäten und fand mit der Zeit ihre Mitte. Martin Mitterrutzner (Fulvio), ein junger österreichischer Tenor, überzeugte hingegen vollends. Er hatte zwar nur eine Arie, aber zuzüglich der üppigen Rezitative hinterließ er, auch darstellerisch, einen wunderbaren Eindruck, ein Belcanto-Tenor feinster Güte, von dem man noch viel hören wird. Max E. Cencic (Arbace) sang seine Arien leuchtend, rund und wohlklingend. Die manchmal unangenehmen, aber vielleicht dramaturgisch verlangten Ausbrecher seiner Mandane sind Geschichte.

Star des Abends: Franco Fagioli

Last but not least: Franco Fagioli in der Rolle des Cesare. Er war der Star des Abends und das muß ihm nicht peinlich sein. Schon nach der ersten Arie wollten die Bravi nicht enden, im 2. Akt brillierte er in zwei furiosen Arien mit seinen unvergleichlich edlen Koloraturen. Sein Spiel ist atemberaubend; Körperspannung bis in die Fingerspitzen, Gestik und Mimik anmutig, stilsicher und formvollendet ganz im Sinne der barocken Aufführungspraxis. Nach jeder seiner fünf Arien brachen wahre Jubelstürme los, „Quell‘amor che poco accende“ im 3. Akt war dann der kontemplative Moment des Abends! Allein dafür lohnte sich für das internationale Publikum die teils weite Anreise. Ganz allein auf der Bühne sang Fagioli zum Niederknien schön mit einer unglaublichen Intensität und in Mitschnittqualität diese 9-Minuten-Arie, die die große Gefahr birgt, zu süßlich zu werden. Doch die Ehrlichkeit in Fagiolis Stimme und ein Orchester respektive die Solovioline Minasi's ohne das geringste falsche Pathos, dafür mit umso mehr Leidenschaft und Gefühl schufen ein Meisterwerk und hielten für einen Moment die Zeit an. Ein ergreifender Auftritt des argentinischen Ausnahme-Counters mit einer verbindlichen Innigkeit, einem alles umarmenden Liebreiz und einer tröstenden mentalen Stärke in der Stimme, die nicht von dieser Welt zu sein scheint.
Spätestens hier stach die schon als symbiotisch zu bezeichnende Verbindung zwischen Sänger(n) und dem Orchester „Il Pomo d’Oro“ unter Leitung seines gleichzeitig genial wie sensibel aufspielenden Konzertmeisters Riccardo Minasi ins Auge respektive Ohr. Quasi gemeinsam atmend schwang man sich zu überirdisch schönen Crescendi auf oder floh parabelflug-gleich in träumerische Ritardandi. Die Streicher spielten beseelt und höchst rhythmisch in wundervoll gewählten Tempi, mal regelrecht erd-entschwert rockig und dann wieder tiefen-entspannt lyrisch, kontrastiert von heroischen Blechsalven. Die fast pausenlos geforderte, phantastische Cembalistin legte mit ihrem virtuosen und filigranen Spiel ein zartes Goldgespinst um alle Gesangspartien, was diesen zusätzlichen Glanz verlieh.


Franco Fagioli - Foto © Martina Pipprich
 
Eine großartige Ansammlung von Solisten, die sich an diesem Abend in den Dienst des Werkes stellten. Die unaufgeregte, der Musik den Vorrang gebende Regie (Jakob Peters-Messer), das treffliche Kostüm- und Bühnenbild (Markus Meyer) sowie die Herren der Komparserie mit allerlei symbolträchtigen Aktionen trugen wesentlich zum Gelingen dieser Premiere bei. „Da capo al fine!“, möchte man während der rund 20-minütigen Ovationen immer wieder rufen. Vielleicht erfüllt sich dieser Wunsch ja mit einer DVD-Produktion, wie auch schon bei Artaserse.
 
Die CD von „Catone in Utica“ ist seit Mai auf dem Markt (hier ist Valer Sabadus mit an Bord).
Weitere Spieltermine sind – teils konzertant - in diversen europäischen Ländern angesetzt.
 
Weitere Informationen: www.parnassus.at  und  www.staatstheater-wiesbaden.de