Über Geschenke

Eine Abrechnung

von Erwin Grosche

Erwin Gosche - Foto © Frank Becker

Über Geschenke

Kaum verschwinden die letzten Sommersonnenstrahlen über dem westfälischen Weltuntergangshimmel, beginnt die Zeit der Geschenke. Beim Blick auf die Himmelsland­schaft, deren dunkle Wolken wie ausgespuckte plattgetre­tene Kaugummis über uns ragen, rufe ich stets: »Auch Astronauten kauen Kaugummis« und springe dabei über die anderen Kaugummis, die tatsächlich unter mir am Bo­den pappen.

Da es inzwischen üblich ist, daß alle Menschen im Herbst und Winter andere Menschen beschenken, trage ich schon ab September einen Button, der mich mit seiner klaren For­derung vor mancher Enttäuschung bewahrt hat: »Keine Geschenke!« Ich meine damit, daß ich weder selbst et­was verschenken werde noch etwas geschenkt bekommen möchte. Witzigerweise habe ich diesen Button von einer Freundin geschenkt bekommen, die von meiner Abnei­gung gegen das Geschenke-Auspacken wußte, weil ich sie selbst einmal links stehen ließ, als sie wie ein Geschenk ver­kleidet vor meiner Haustür wartete und sich einen Schnup­fen holte. Eingewickelt wie ein Kaugummi in Silberfolie, war sie darunter so, wie Gott ihr das Leben geschenkt hatte.

Ich hasse vorhersehbare Überraschungen. Ich möchte keine Geschenke auspacken, um danach enttäuscht zu sein und mich trotzdem freuen zu müssen. Welch schauspieleri­sche Sonderleistungen jedes Jahr von uns unausgebildeten Selbstdarstellern verlangt werden! Und der Oscar in der Sparte »Wer kann sich am meisten über Geschenke freuen, die er eigentlich nicht brauchen kann« geht an Bäckermeis­ter Hagen Hagenbusch aus Schwerte.

Ich sah in diesem Jahr meinen ersten Weihnachtsstollen Anfang Oktober vor einem Kaufhaus in Hamm. Neben dem Stand langweilte sich ein kaugummikauendes Mo­depüppchen, das mir ein Probierstückchen Hammer Stol­len aufdrängen wollte. Ich beschloß, ihr nicht zu erzählen, daß ich heute keine Zeit hätte zum Probieren, weil ich mei­nen Anschlußzug nach Paderborn bekommen müsse, und zeigte einfach auf meine Plakette: »Keine Geschenke.« Sie spuckte daraufhin ihr Kaugummi aus und trat es so, daß ich es sehen konnte, auf dem Boden fest. Warum gibt es eigentlich keine Kaugummis, die man herunterschlucken kann? Das wäre ein Geschenk.

Ich wünsche mir nichts. Ich habe alles. Ich habe schon früh alles gehabt, was man sich wünschen konnte. Na­türlich glaube ich an das Christkind und manch andere gute Fee, bin aber überzeugt, daß die Herzenswesen uns Erwachsene erst dann wieder beglücken, wenn wir am we­nigsten an sie denken. Ich glaube zum Beispiel nicht, daß Engel sich von einer Erde angezogen fühlen, auf der ein Meer klebriger Kaugummirotze pappt. Auf einem Qua­dratmeter Dortmunder Fußgängerzone zählte ich dieser Tage 40 bis 50 Kaugummis. Auf dem Bahnhofsvorplatz in Hamm liegen vermutlich vier Tonnen Wrigley's Spearmint Gum.

Die Zeiten haben sich geändert. Man schenkt nicht mehr Dinge, die man sich selbst kaufen kann. Man verschenkt Augenblicke, Selbstgebasteltes, ungewöhnliche Liebesbe­weise und Zeit.

Wer meine Vorliebe für saubere Bürgersteige kennt, weiß, wie gerne ich ihn fege und wie unglücklich ich bin, wenn sich darauf festgetretene Kaugummis meiner Fegeaktion verweigern.

Die Firma »future clean technics« aus Salzkotten hat nun ein »Anti-Kaugummi-Mobil« entwickelt, welches meinen Bürgersteig mit zehn Meter langen Schläuchen von allen Kaugummis befreien kann. Wenn meine Frau und ich uns am Samstag ein bißchen bewegen wollen, tauchen wir ein­fach mit der gemieteten Kaugummi-Entfernungsmaschine im Engernweg auf und zeigen allen Kaugummispuckern, was eine Harke ist. Mit Hilfe meiner Frau schaffe ich es, in nur einer Stunde 100 bis 200 qm von der klebrigen Masse zu befreien. Wir lassen dabei einfach die reinigende Dampf­mischung mit der Kaugummimasse ins Kanalsystem lau­fen und ertragen es seitdem leichter, von Kaugummikauern und Lamas umgeben zu sein.

Schenken ist Geben-und-Nehmen-Können. Ich erhielt jetzt, trotz meines Buttons, einen Geschenkgutschein, wo sich eine Freundin anbot, mich auf einem besonderen Spa­ziergang zu begleiten. Sie will sich mit mir am Sonntag am Südportal des noch nicht fertig gestellten Eggetunnels am Herbramer Wald treffen. Die 2880 Meter lange kau­gummifreie Röhre ist nur an jenem Tag von 10 bis 12 Uhr für Interessierte zugänglich, bevor die Bahn sie dann letzt­endlich im Dezember 2002 in Beschlag nimmt. Sie will mir dort in dieser Röhre, in einem unbeobachteten Augen­blick, einen Wunsch erfüllen, den meine gute Erziehung verbietet auszusprechen. Ich sage nur, ich werde Sterne sehen. Manchmal muß man halt von seinen strengen Prin­zipien ablassen können. Alles andere ist unmenschlich. Es ist schon so, es muß nicht alles Geld kosten, was schön ist. Das größte Geschenk ist der glücklichmachende Mensch. Sein Wunsch, den anderen Menschen zu erfreuen, steht über seinem Erfolg. Begreifen wir das Geschenk eines an­deren als dessen Versuch, uns zu lieben. Ich trage auf jeden Fall trotzdem meinen »Keine Geschenke« Button bis nach den Festtagen. Sicher ist sicher. Das fehlte mir noch, daß ich irgendeinen Kaugummiautomaten geschenkt bekomme und dafür sogar noch »Danke« sagen muß.


© Erwin Grosche - aus: "Warmduscher-Report", Ardey Verlag 2003