Über Geschenke Kaum verschwinden die letzten Sommersonnenstrahlen über dem westfälischen Weltuntergangshimmel, beginnt die Zeit der Geschenke. Beim Blick auf die Himmelslandschaft, deren dunkle Wolken wie ausgespuckte plattgetretene Kaugummis über uns ragen, rufe ich stets: »Auch Astronauten kauen Kaugummis« und springe dabei über die anderen Kaugummis, die tatsächlich unter mir am Boden pappen. Da es inzwischen üblich ist, daß alle Menschen im Herbst und Winter andere Menschen beschenken, trage ich schon ab September einen Button, der mich mit seiner klaren Forderung vor mancher Enttäuschung bewahrt hat: »Keine Geschenke!« Ich meine damit, daß ich weder selbst etwas verschenken werde noch etwas geschenkt bekommen möchte. Witzigerweise habe ich diesen Button von einer Freundin geschenkt bekommen, die von meiner Abneigung gegen das Geschenke-Auspacken wußte, weil ich sie selbst einmal links stehen ließ, als sie wie ein Geschenk verkleidet vor meiner Haustür wartete und sich einen Schnupfen holte. Eingewickelt wie ein Kaugummi in Silberfolie, war sie darunter so, wie Gott ihr das Leben geschenkt hatte. Ich hasse vorhersehbare Überraschungen. Ich möchte keine Geschenke auspacken, um danach enttäuscht zu sein und mich trotzdem freuen zu müssen. Welch schauspielerische Sonderleistungen jedes Jahr von uns unausgebildeten Selbstdarstellern verlangt werden! Und der Oscar in der Sparte »Wer kann sich am meisten über Geschenke freuen, die er eigentlich nicht brauchen kann« geht an Bäckermeister Hagen Hagenbusch aus Schwerte. Ich sah in diesem Jahr meinen ersten Weihnachtsstollen Anfang Oktober vor einem Kaufhaus in Hamm. Neben dem Stand langweilte sich ein kaugummikauendes Modepüppchen, das mir ein Probierstückchen Hammer Stollen aufdrängen wollte. Ich beschloß, ihr nicht zu erzählen, daß ich heute keine Zeit hätte zum Probieren, weil ich meinen Anschlußzug nach Paderborn bekommen müsse, und zeigte einfach auf meine Plakette: »Keine Geschenke.« Sie spuckte daraufhin ihr Kaugummi aus und trat es so, daß ich es sehen konnte, auf dem Boden fest. Warum gibt es eigentlich keine Kaugummis, die man herunterschlucken kann? Das wäre ein Geschenk. Ich wünsche mir nichts. Ich habe alles. Ich habe schon früh alles gehabt, was man sich wünschen konnte. Natürlich glaube ich an das Christkind und manch andere gute Fee, bin aber überzeugt, daß die Herzenswesen uns Erwachsene erst dann wieder beglücken, wenn wir am wenigsten an sie denken. Ich glaube zum Beispiel nicht, daß Engel sich von einer Erde angezogen fühlen, auf der ein Meer klebriger Kaugummirotze pappt. Auf einem Quadratmeter Dortmunder Fußgängerzone zählte ich dieser Tage 40 bis 50 Kaugummis. Auf dem Bahnhofsvorplatz in Hamm liegen vermutlich vier Tonnen Wrigley's Spearmint Gum. Die Zeiten haben sich geändert. Man schenkt nicht mehr Dinge, die man sich selbst kaufen kann. Man verschenkt Augenblicke, Selbstgebasteltes, ungewöhnliche Liebesbeweise und Zeit. Wer meine Vorliebe für saubere Bürgersteige kennt, weiß, wie gerne ich ihn fege und wie unglücklich ich bin, wenn sich darauf festgetretene Kaugummis meiner Fegeaktion verweigern. Die Firma »future clean technics« aus Salzkotten hat nun ein »Anti-Kaugummi-Mobil« entwickelt, welches meinen Bürgersteig mit zehn Meter langen Schläuchen von allen Kaugummis befreien kann. Wenn meine Frau und ich uns am Samstag ein bißchen bewegen wollen, tauchen wir einfach mit der gemieteten Kaugummi-Entfernungsmaschine im Engernweg auf und zeigen allen Kaugummispuckern, was eine Harke ist. Mit Hilfe meiner Frau schaffe ich es, in nur einer Stunde 100 bis 200 qm von der klebrigen Masse zu befreien. Wir lassen dabei einfach die reinigende Dampfmischung mit der Kaugummimasse ins Kanalsystem laufen und ertragen es seitdem leichter, von Kaugummikauern und Lamas umgeben zu sein. © Erwin Grosche - aus: "Warmduscher-Report", Ardey Verlag 2003 |