Wie: Bücher?! (2)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Wie: Bücher?!
 
Konrad Beikircher über Literatur (2)

Ich habe mir da mal die Geschichte des Buchhandels angeschaut, das Buch im Handel der Zeiten sozusagen und ich muß sagen: interessant, sehr interessant! -
So, damit hätten wir dieses Kapitel abgeschlossen.
Nein, nein, Scherz beiseite, ich wollte damit nur sagen: so ein Blick in die Geschichte ist eine sehr zweischneidige Sache: nicht immer zeigt er, wie modern wir heute sind. Manchmal zeigt er, daß vieles auch damals schon da war, also man könnte nicht sagen, daß die Antike auf den Kopf gefallen wäre. Und ab und zu zeigt dieser Blick zurück auch, daß manches zu Unrecht vergessen worden ist, manches, was uns heute vielleicht wieder gut zu Gesicht stehen könnte.
Natürlich stand am Anfang das Wort (Zwischenfrage: wer hat das gedruckt? Adam? Kaschmir nit vürstelle), aber so weit zurück wollte ich nun auch nicht gehen. Nein, am Anfang des Buchhandels steht eine Frage, die bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat: Gibt es Bücher, weil die Menschen Bücher wollen, oder wollen die Menschen Bücher, weil es Bücher gibt? Klar, daß wir in dieser Frage heute weiter sind. Heute wissen wir, daß der Mensch nicht kauft, was er braucht, sondern viel mehr das, was er nicht braucht. Denn, wie Wilhelm Busch schon glasklar erkannte: „Schön ist es auch anderswo und hier bin ich sowieso!”.
So spiegelt ja auch das, was in unseren Buchläden geklaut wird, weniger das Notwendige wider als viel mehr die Sehnsucht nach dem Überflüssigen und die gibt es überall:
 
drängt’s nach Höherem den Schwaben
klaut er sich die Erstausgaben!
Allerdings, so sacht der Hesse,
zwaa davon sin aafach besse!
Und so liebt man auch am Rhein
statt Solvenz oftmals den Schein
Bin so frei, murmelt der Bayer,
nimmt was mit und fühlt sich freier
was, sagt mancher Hanseat,
einerseits auch Ordnung hat.
selbst im sprachreinen Hannover
trägt man Buch unterm Pullover
Gott und guck ich gezz nach Essen
kannset kaufen ganz vergessen
ja, selbst Aachens kleiner Finger
übt sich gern als Bücherbringer
 
Nun also, wie hat das denn alles angefangen mit dem Buch und dem Buchhandel? Es kam natürlich aus dem Luxus, wie alle großen Erfindungen, das Rad z.B., das damals in Paderborn erfunden wurde; nur dort konnte der Wunsch, so schnell wie möglich in schönere Gegenden abzuhauen, so stark werden, daß er zu dieser Erfindung führte. Aus dem Luxus deshalb, weil damals - ich spreche vom alten Griechen, obwohl es ja deren mehrere gegeben haben muß, nehmen wir es halt als plurale tantum oder kölschen Plural; warum kölscher Plural? Weil et ejal es, ob ein Kölsch oder zwanzig Kölsch, Hauptsach et lööf! - weil damals also jeder bessere Haushalt einen servus litteratus hielt, einen Lese- oder Vorlesesklaven. Der sagte also Abend für Abend die Ilias auf, dazwischen schon mal die Odyssee, und in der Karwoche dann natürlich den tödlich langweiligen Hesiod mit seinem Gedicht über den Ackerbau. Sie sehen, auch die Erfindung der soap operas ist älter, als die Träume von RTL jemals reichen könnten.
Kurz, man hat sich damals den Luxus geleistet, nicht selber zu lesen sondern lesen zu lassen, ein Luxus, den sich heute nur noch arrivierte Verleger und Buchhändler leisten können.
Nun hat das auf die Dauer natürlich nicht gereicht. Irgendwann wurde die Aussprache des servus litteratus mit abnehmender Zahl der Zähne feucht, er brachte Homer und Hesiod durcheinander und auf die korrekte Aussprache von Xenophons Anabasis war auch nicht mehr zu hoffen. Dazu kam, daß der Grieche an sich ja eine Händlerseele ist. Kurz, es kam der Gedanke auf, daß man das, was der servus litteratus erzählt hat, ja auch aufschreiben könne. Das Ganze gleich zwei oder dreimal, dann kann man die Kopien auch noch an Freunde in der Provinz verscherbeln.
 
So steht also am Beginn des Buchhandels eigentlich das Antiquariat, weil man ältere Exemplare aus Privatbesitz verkloppt hat. Raffiniert, ne: an der Wiege des Buchhandels steht quasi bereits der Handel mit der eigenen Geschichte.
Und vorbei war damit die Zeit des genüßlichen Literatur-Hörens zugunsten der inflationären Vielschreiberei. Und da muß ich sagen: schad drum.
Was glauben Sie, wieviel Literatur uns erspart bliebe, wenn man heute noch Rhapsoden oder servi litterati von Haus zu Haus schickte, die uns die Neuerscheinungen aufsagten? Wie schon Anton Kuh sagte: „Die wenigsten wissen, daß auch das Nichtschreiben die Frucht langer und mühseliger Arbeit ist”.
Das muß man sich jetzt mal schön vorstellen. Da sitzt man zu Hause, schön Beine hoch, da klingelts. „Tach” und so, er sei Herr Rollhuber, komme von Droemer und habe gerade den neuen Simmel drauf „Träum den unmöglichen Traum”. „Danke”, würde man da sicher sagen, „das versuch ich auch gerade” und raus. Zwei Minuten später. Es klingelt. „Tach” und so, er sei Herr Rüeblisaft von Diogenes, und ob er nicht mal schnell den neuen Tamaro aufsagen könne „Geh, wohin dein Herz dich trägt”. Antwort: „Kann ich mir nicht leisten” und raus. Zwei Minuten später. Es klingelt. „Tach” und so, er sei Herr Nowottny vom WDR und rezitiere jetzt Bednarz „Fernes nahes Land”. „Wie: fernes nahes Land? Kommen Sie wieder, wenn er sich entschieden hat” und raus. Zwei Minuten später. Es klingelt. „Tach” und so, nochmal Herr Rollhuber von Droemer, er habe auch Günter Ogger drauf „König Kunde - angeschmiert und abserviert” und verlange dafür nur 39,80. Wie? 39,80 dafür, daß mir gesagt wird, ich soll auch das Kleingedruckte lesen? Wat viel - und raus!
 
Nach dieser etwas anstrengenden Zeit aber hätte sich die Spreu vom Weizen getrennt, es würden nur noch exzellente Rhapsoden übrigbeiben, die mit erlesener Vortragsliteratur uns erfreuen.
(MRR) „Guten Tag, Herr, äh, Beikircher! Gestatten Sie, daß ich Ihnen heute Abend die Zeit verkürze, indem ich Ihnen aus Shakespeare den Monolog Hamlets vortrage?
Haben Sie zufällig einen Totenschädel griffbereit? Nein? Na gut, zur Not tut es auch eine Zitronenpresse oder eine Tomate. Vertrauen wir der Kraft der Phantasie! Also:
Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage:
obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
des wütenden Geschicks erdulden, oder,
sich waffnend gegen eine See von Plagen,
durch Widerstand sie enden? Sterben - schlafen -
nichts weiter!”
No, was brauch ich da noch Fernsehen? Schranktür zu und alle Fragen offen!”
 
 

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