Alberte

Jussi Adler Olsen – „Verheißung“ (Der Grenzenlose)

von Frank Becker

Alberte
 
Siebzehn Jahre lang hat Polizeikommissar Christian Habersaat auf Bornholm ebenso verbissen wie vergeblich versucht, den Tod der männerverschlingenden jugendlichen Schönheit Alberte aufzuklären, die unter mysteriösen Umständen kopfüber in einem Baum hängend aufgefunden wurde. Nie hatte er an einen Unfall geglaubt. Als er kurz vor seinem Ruhestand Carl Mørck um Hilfe bittet und abgewiesen wird, setzt er am Tag seiner Pensionierung vor den Augen seiner entsetzten Kollegen durch einen Schuß seinem Leben ein Ende. Nur wenig später bringt sich sein Sohn ebenfalls um. Das Sonderdezernat Q nimmt nun doch die Ermittlungen auf.
 
Die Recherchen führen Carl Mørck und seine Assistenten Assad und Rose zunächst nach Bornholm, quer durch Dänemark und schließlich Carl und Assad auf die schwedische Insel Öland zum „Zentrum zur Transzendentalen Vereinigung von Mensch und Natur“, wo sie sich durch den charismatischen Guru Atu Abanshamash Dumizi al. Frank Brennan Aufklärung erhoffen. War er der Mörder? Daß alles ganz anders kommt, liegt nicht zuletzt daran, daß viele Spuren schon kalt sind, einige Leute sich als nicht sehr auskunftsbereit zeigen, andere von dem alten Fall seit Jahren genervt sind und daß Atus eiskalte Gefährtin Pirjo eine mörderische Spur durch die Geschichte zieht.

Jussi Adler-Olsen ist fraglos ein fesselnder Erzähler, der interessante Charaktere entwickelt und geschickt über mehrere Zeitebenen viele recht verwirrende Handlungsstränge zusammenlaufen läßt, die das Team scheinbar auf die richtige Spur bringen. Die Ermittler sind sich bald ebenfalls sicher, daß es Mord war – und stoßen auf viele Verdächtige, die ein Motiv dafür gehabt hätten sowie auf verwischte Spuren über den möglichen Tathergang und eine rätselhafte zentrale Figur. Adler Olsen hat hier aber einiges zu viel getan, viel zu viele Haken geschlagen, zu viele plakative Überraschungen aus dem Hut gezogen, als daß man noch mit durchgehender Spannung der Handlung folgen könnte. Die Logik bleibt einige Male auf der Strecke. Da wäre weniger mit Sicherheit mehr gewesen, und man ist froh, wenn man es nach 592 teils sehr spannenden, oft aber höchst langatmigen und zu künstlich verzwickten Seiten „geschafft“ hat. Man sollte nach einer Lektüre eigentlich betrübt sein, daß sie schon zu Ende ist. Hier jedoch ist man nach dem aberwitzigen wie logisch brüchigen Showdown auf Öland und Bornholm nur noch erleichtert. „Verheißung“ (Den grænseløse) ist der bisher schwächste Fall für Carl Mørck.
 
Jussi Adler Olsen hat allerdings an den Figuren seines Dezernat Q gearbeitet. Carl Mørck hat er etwas geschmeidiger gemacht, sein privates Umfeld und seine Vergangenheit stark eingebaut. Er läßt mögliche neue Verdachtsmomente zu dem fatalen Polizeieinsatz (vgl. Erbarmen“)  anklingen, bei dem ein Kollege Mørcks sein Leben verlor, Mørck selbst schwer verwundet wurde und seinen Freund und Kollegen Hardy in den Rollstuhl zwang. Die Assistentin Rose wurde mit höherer Kompetenz versehen, das Rätsel um ihre gespaltene Persönlichkeit bekommt neues Futter. Mit Gordon hat er eine (fast) neue Figur ins Team geschrieben und vor allem Carls syrischen Assistenten Assad ausgebaut, ja beinahe zur zentralen Figur erhoben, zugleich das Geheimnis um dessen Herkunft und Vergangenheit noch mysteriöser gestaltet. Wir werden mit Sicherheit neue interessante Fälle des Dezernats Q erleben, denn Adler Olsen hat schon die Loipe gespurt - und ich bin sicher, daß er zu der fesselnden Höchstform der vorherigen Fälle zurückfinden wird.
 
Jussi Adler Olsen – „Verheißung“ (Der Grenzenlose)
Der sechste Fall für Carl Mørck und das Sonderdezernat Q
Aus dem Dänischen von Hannes Thiess, deutsche Erstausgabe

© 2015 dtv, 608 Seiten, gebunden, Schutzumschlag, Lesebändchen  -  ISBN 978-3-423-28048-8
19,80 €
Auch erhältlich als EBook
 
Weitere Informationen: www.dtv.de