„Hamlet light“ im TiC-Theater

Die Shakespearesche Tragödie um den Dänenprinzen verdaulich eingerichtet

von Frank Becker

Tablet Hamlet
 
„Hamlet light“, doch mit Tiefgang
 
Die Shakespearesche Tragödie um den
Dänenprinzen verdaulich eingerichtet
 
 
Inszenierung: Ralf Budde – Bühne: Iljas Enkaschew – Kostüme: Noëlle-Magali Wörheide – Maske: Michaela Döpper
Besetzung:  Hamlet, Prinz von Dänemark (Robert Flanze) – König Claudius, Hamlets Onkel (Alexander Bangen) – Königin Gertrude, Hamlets Mutter (Sabine Henke) – Polonius (Joachim Rettig) – Laërtes, dessen Sohn (Christopher Geiß) – Ophelia, Tochter des Polonius (Sophie Schwerter) – Horatio (Leon Gleser) – Bernardo/Rosencrantz/1. Totengräber (Lars Grube) – Marcellus/Güldenstern/2. Totengräber (Lara Sienczak)
Filmeinspielung: Der Geist (André Klem) – Prolog/Lucianus (Benedict Schäffer) – König (Michael Baute) – Königin (Elisabeth Wahle)
 
Darf man das?
 
Darf man William Shakespeares Drama um den Dänenprinzen Hamlet radikal von den sechs Stunden der Länge der Urfassung auf 2¼ Stunden (inkl. Pause) kürzen? Darf man aus fünf Akten zwei machen? Darf man den Geist des gemeuchelten Königs auf einem Tablet erscheinen lassen? Darf man Hamlet einen Revolver in die Hand drücken? Darf man das weitläufige Intrigenspiel um Ophelia zu wenigen Szenen eindampfen? Darf man Hamlets „Alas poor Yorick!“ ohne dessen Schädel geben? Darf man die Herren Schlegel und Tieck mit eigenen Textfassungen vorführen? Darf man überhaupt dem „Hamlet“ an einer Laienbühne inszenieren? Man darf all das, mehr noch, man muß es geradezu, um zum einen diesen dramatischen Monsterabend verdaulich zu gestalten und - viel wichtiger – zum anderen einem „schnelles“ Theater gewöhnten Publikum das Angebot machen zu können, auch mal einen „schweren“ Klassiker zu konsumieren. Ralf Budde ist das mit seiner mutigen, knackigen Fassung gelungen. Seine kräftig durchgelüftete, textlich aufgefrischte Inszenierung gab trotz einiger allzu harter Striche der Frage „Sein oder nicht sein“ dennoch die Antwort mit: paßt! Das gilt auch und besonders für die Lösung des schwierigen Problems der Geist-Erscheinung von Hamlets Vater per Tablet-Projektion.


v.l.: Robert Flanze (Hamlet), Sabine Henke (Gertrude), Alexander Bangen (Claudius) - Foto © Martin Mazur

 
Duell auf Augenhöhe

Auch ein noch so prominentes Stück mit einer noch so zupackenden Regie steht und fällt mit dem Personal, das in der Lage ist, das Publikum bei einem solchen Vorhaben mitzunehmen. Ralf Budde hat aus dem großen Topf des semi-professionellen Wuppertaler TiC-Theaters mit sicherer Hand die wesentlichen Rollen hervorragend besetzen können. In Robert Flanze hat er genau den rachedurstigen Grübler gefunden, den es hier braucht, um trotz überbordender Gefühle nicht zum impulsiven Totschläger zu werden. Auf Augenhöhe mit Alexander Bangen, der dem König Claudius, Brudermörder und verhaßter Onkel, ein hartes, böses Gesicht gibt, ringt Flanze mit diesem quasi Stirn an Stirn. Ein fesselndes psychologisches Duell. Er hat als betrogener Sohn ganz klar die unwillkürliche Sympathie des Zuschauers. Der Bösewicht hingegen ist da natürlich stets im Hintertreffen. Bangen wetzt diese Scharte brillant aus. Ein packendes Paar, vor dem der Rest zwar nicht Schweigen, so doch aber blaß sein müßte, wären da nicht noch Ophelia (Sophie Schwerter) und weitere treffsicher besetzte dramatis personae.   

Wahnsinn

Sophie Schwerter (Ophelia) - Foto © Martin Mazur
 
Sophie Schwerters „Wahnsinnsarie“ der gebrochenen Ophelia gehört unbestreitbar zu den Glanzpunkten dieser außergewöhnlichen, spannenden „Hamlet“-Inszenierung. Haben wir sie kurz zuvor noch als jugendlich-elegante, doch verunsicherte höfische Schönheit im verführerischen schwarzen Abendkleid kennengelernt, tritt uns nach der gewalttätigen Auseinandersetzung mit Hamlet, die sie in ihren Grundfesten erschüttert, eine hinreißende Irre entgegen, deren Kleinmut, Ausbrüche, Stimmungsschwankungen ganz hohes Niveau zeigen. Damit könnte die bemerkenswert wandlungsfähige Darstellerin auch an professionellen Bühnen reüssieren. Großes Kompliment! Ein solches übrigens auch dem Kostümbild dieser beiden Ophelien.

Hier übrigens, wie auch an einigen weiteren Stellen müssen dem eingeweihten Zuschauer ob der starken Striche zwangsläufig die gerissenen (sic!) Lücken auffallen. Was den Shakespeare-Fanatiker vielleicht ärgern wird, ist jedoch für eine verdauliche, jedermann zugängliche Fassung unabdingbar. Dem Tiefgang schadet es nicht, denn
Zusammenhänge müssen dem Uneingeweihten nicht wirklich fehlen.
 
Shakespearsches Gemetzel + drastische Komik
 
Das für dessen Verhältnisse fast noch harmlose Shakespearsche Gemetzel mit nur Sieben, die auf Kronborgs königlicher Walstatt ihr Leben aushauchen, bleibt nicht aus, gibt aber auch ein wenig Anlaß zum Schmunzeln. So ist Polonius´ Tod hinter dem Vorhang durch Joachim Rettigs leicht Dialekt-gefärbten letzten Seufzer „Ich bin ermordet“ von großer drastischer (unfreiwilliger?) Komik und geben auch das spätere dramatische Hinscheiden durch Gift und Klinge in ihrer Überhöhung Stoff zum Abstand vom Ernst der Lage.

Die Filmeinspielung des das Mordkomplott Claudius´ offenbarenden Theaterstücks ist mit Plan überzogen wirklich ulkig.
Zwei komödiantische Paarungen servieren auch Lara Sienczak und Lars Grube im schnellen Rollenwechsel als servile Güldenstern und Rosencrantz und als die beiden philosophischen Totengräber.

Das TiC-Theater serviert mit seinem „Hamlet“ eine sehenswerte, actionreiche Aufarbeitung des klassischen Stoffs – Abendunterhaltung mit Spannung und Drama, sehr dicht an William Shakespeare. Hingehen!

Nächste Aufführungen am 2., 3., 7., 8., 9., 10. Mai

Weitere Informationen:  www.tic-theater.de