Die entstaubte Braut

Bedrich Smetanas tschechische Nationaloper in Dortmund gesehen

von Peter Bilsing

Warum sollen wir nicht froh sein...

Christine Mielitz inszeniert eine mächtig entstaubte „Braut“


"Die verkaufte Braut"

Komisches Singspiel in drei Akten
Libretto von Karel Sabina

Musik von Bed
řich Smetana

Premiere in Dortmund am 15. Dezember 2007

Es gibt kaum einen Komponisten, der volksliedhafte Melodien je so prächtig in eine Oper eingebracht hat wie Bedrich Smetana. Bemerkenswert, daß er keine dieser scheinbar traditionellen Stücke aus dem tschechischen Volksliedgut übernahm, sondern wirklich alles selber komponierte. Das hat dazu geführt, daß „Die verkaufte Braut“ zu Recht auch als quasi „tschechische Nationaloper“ bezeichnet wird. Aufgrund der einfachen Handlungsstruktur und ihrer Nähe zum „Volksmusikantenstadel“ nimmt sie einen Dauerlieblingsplatz im Abo der Theatergemeinden und Volksbühnen ein, obwohl (ehrlich gesagt) das Stück eigentlich mit seinen unendlichen Textwiederholungen viel, viel zu lang ist. Wenn man den Text ökonomisiert, also alle Wiederholungen streicht, paßt er auf knappe vier Seiten. Nach dieser Methode könnte man Wagners „Ring“ allerdings auch schnell und leicht auf haushaltsübliche Operngröße schrumpfen. Nichtsdestotrotz ist bei Smetana die Gattungsbezeichnung „komische Oper“ durchaus mit Vorsicht zu genießen. Zwar ist es ein wirklich unverwüstliches Stück (selbst Karin Beier hat es nicht kaputt gekriegt!), aber doch keine nur melodieselige Tanz- und Musizieroper. Smetana teilt uns neben der Fröhlichkeit auch viel Ernstes über das Leben mit, was nicht direkt auf den ersten Blick erkenn- bzw. hörbar wird.

Spagat gelungen

Hier setzt die kluge Inszenierung von Christine Mielitz an. Glücklicherweise bringt sie uns eine kräftig „entstaubte Braut“ auf die Bühne des Dortmunder Musiktheaters. Indem sie die Geschichte nicht im 19. Jahrhundert (wer hätte das auch erwartet?) in einem böhmischen Dorf inszeniert, entbeint sie


Foto: Thomas Jauk/Stage Picture GmbH
Smetanas grundsolide Oper dankenswerterweise von jedweder aufoktruierten Operettenseligkeit, falsch-naivem Folklorismus und unsinnig evozierter Bilderbuchvolkstümelei. Sie schafft mit ihrem genialen Bühnenbildner Christian Rinke ein Dorf im Nirgendwo und transferiert die Handlung in ein zeitloses Heute. Damit schafft sie den schwierigen Spagat zwischen musiktheatralischem Kunstanspruch und durchaus volkstümlich vitalem Realismus. Die von Rinke geschaffenen avantgardistisch anmutenden Bühnenelemente mit den wunderbar schiefen Dächern schaffen je nach Situation den Raum, oder die Enge, welche mit dem Beziehungsgeflecht der Protagonisten und der musikalischen Dramaturgie in idealer Weise korrespondieren.

Licht!

Die tieferen Dimensionen des Stücks werden schon anfangs mit einer frappierenden Licht- und Schatten-Optik angedeutet, wo eine düstere, fast klaustrophobische Lichtregie, kongenial genau den Noten entsprechend, die Bühne vom beklemmend gefährlich anmutenden Dorf-Kollektiv zum fröhlichen Begegnungsplatz der Dorfgemeinschaft öffnet. Später verwandeln sich die vielen, sich ständig in Bewegung befindenden (Wohnraum und Mauer)-Elemente in schmale Gassen oder bedrohliche Raumteiler, gestalten wunderbar fließende Szenenübergänge und formen die diversen Bühnenräume wie von Geisterhand umschlossen. Die im Grunde stetig pastos wirkende weiche Lichtregie in ihrem türkisen pastellfarbenen Grundtenor mit abgezirkeltem Roteinschlag, auch auf den Bühnenelementen, beeindruckt auf nachhaltige Art und Weise. Und es ist neben dem mobilen Bühnenkonstrukt auch immer wieder diese fabelhafte Lichtregie, die auch über die Längen des Stücks spannungsvoll trägt.

Bei Mielitz sind die Menschen stets lebensnah; es gibt keine Ikonen, keinen artifiziellen Rampengesang, keine albern winkenden Choristen oder emotionale Einheitsgestik. Das tut dem verstaubten Werk gut und wirkt geradezu beflügelnd auf die Solisten und die Chorgemeinschaft. Der von Grannville Walker bestens vorbereitete Chor singt prächtig und ist meistens auch passabel textverständlich. Zwar ist die Honolka-Übersetzung nicht gerade das Gelbe vom Ei, und es wäre natürlich wunderbar, das Stück einmal in der Originalsprache zu hören, allerdings würde ich bezweifeln, daß der Spaßfaktor beim allgemeinen Publikum dann noch besonders groß sein würde. Und dieses „Lachen nach Übertexten“ wird halt leider allzu oft zum realsatirischen Selbstläufer insbesondere, wenn die Technik schläft und die Einblendungen zu früh, zu spät oder gar nicht kommen.

Hie passabel, da gar großartig

Schön, daß der Vorhang bei der schwierig zu spielenden Ouvertüre geschlossen blieb. Dies ließ die alleinige, unabgelenkte Konzentration auf das Spiel der Dortmunder Philharmoniker unter Simon Rekers zu, die nicht unbedingt bravourös, aber doch konzentriert und passabel ans Werk gingen. Die Holzbläser-Kantilenen könnten sensibler klingen, und ich wünschte mir etwas mehr Kontrastreichtum, Differenzierung und rhythmische Vitalität. Manches klang zu dünnflüssig. Große Orchesterleitung


Foto: Thomas Jauk/Stage Picture GmbH
findet, bei aller mäßigen Aufgeregtheit, allerdings im dritten Akt statt, wo die wirklich romantisch schwelgende Wärme des großen Bogens gelingt. Ganz im Gegensatz zu den erwähnten Schwächen die durch die Bank großartigen Solisten:

Peggy Steiner ist eine bezaubernd wandlungsfähige „Marie“. Ihr gelingt der schwierige Spannungsbogen vom anfangs in Koketterie und Leidenschaft übersprühenden Mädel zur später warm leuchtenden dramatischen Innerlichkeit der enttäuschten Frau ganz bravourös. So setzt sie alle Seelenzustände bewundernswert in Musik um, ohne dabei jemals allzu plakativ und outriert zu wirken. Eine temperamentvoll präsente, in jeder Nuance überzeugende Sänger-Darstellerin mit viel Entwicklungspotential.
Timothy Richards gibt seinen „Hans“ als eine Art Softrocker mit Lederjacke, frisch aus der Großstadt kommend. Er ist ein optischer Fremdkörper, von der Dorfgemeinschaft erst geliebt, dann verprügelt. Die höhenmäßig sehr schwierige Tenorpartie bewältigt er zufriedenstellend. Er hat Schmelz in der Stimme, beachtliche Kraft und eine genügend hohe Tessitura.
Bart Driessen ist ein fast mozartscher Spielgeist. Mit pfiffiger Bauernschläue schlägt er überzeugend den Bogen vom parlandohaften Rossini-Komödianten zum eloquenten Versicherungsvertreter unserer Tage. Ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll, seine wandlungsfähige Bühnenpräsenz oder seinen rabenschwarz humorvoll eingesetzten Bass.

Der Star ist Akzeybek

Doch der Star des Abends ist für mich Tansel Akzeybek in seinem rührenden Rollenportrait als überaus sympathischer „Wenzel“. Von der Regie als ein Traum aller Jungmädchen gezeichnet; hübsches lockiges Haar, sportliche Erscheinung mit gewinnendem Lachen und dazu noch adrett gekleidet, erscheint er als ein spitzbübisch charmanter Eulenspiegel. Ein liebenswert naiver Softie zum Knuddeln. Seine Traurigkeit ist schließlich so überzeugend, daß etliche Damen im Parkett

 
sicherlich spontan bereit gewesen wären, in aufmunternd zu herzen. Welch süßer Bursche; auch gesanglich mehr als überzeugend. Und wenn die Regisseurin im Finale zumindest ein wenig andeutet, daß dieser Herzensmensch sicherlich die bessere Wahl gewesen wäre, dann hätte nicht nur die Mehrzahl der Frauen, diese spekulative „Publikumsfrage“ bestimmt zu 99 Prozent mit „Ja!“ beantwortet.

Erwähnenswert noch der Zirkusdirektor Hannes Brock und seine prächtige Artistentruppe; vom Feuerschlucker über die Muskel-Nanny bis hin zur Boden- und Hochseilartistik bot man eine bunte, überzeugende Truppe auf.

Am Ende steigt Wenzel verzweifelt auf Zirkusdreirad. Der so arg Getäuschte will fliehen. Fort, weg aus dieser bitterbösen Welt. So fährt er davon und will sich mit seinem Gefährt scheinbar in den Abgrund des Bühnengrabens stürzen…will er wirklich? Wir werden´s nie erfahren: denn das von Mielitz bei sich schließendem Vorhang wundervoll eingefrorenes Finalbild, ist ein offenes, Versöhnlichkeit suggerierendes schönes Ende.

Weitere Informationen unter : www.theaterdo.de