Der Spott der kleinen Dinge

Der Sprachtest

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Der Sprachtest
 
Neulich hat meine Nichte diesen Sprachtest im Kindergarten bestanden. Bei der hohen Durchfallquote hatte ich eine große Reaktion der Familie erwartet. Ein Straßenfest. Eine Guten-Morgen-Anzeige in einer großen Regionalzeitung. Ein Barbie mit Cabrio. Oder eine neue Frisur. Die haben aber einfach nur Pizza bestellt. Es ist ja oft so, daß die Genies bescheiden sind. Einstein zum Beispiel hat gesagt, er habe keine besondere Begabung, er sei bloß neugierig. Umgekehrt gibt es viele, die bloß neugierig sind und sich für Einstein halten.
     Eine Aufgabe im Kindergarten war, Kunstwörter nachzusprechen. Kunstwörter sind solche, die es nicht gibt. Fußschweiß ist kein Kunstwort, Schlupperfitz und Huckemai aber wohl. Sie sind also vier Jahre, der Tag hat ganz normal angefangen, mit einem warmen Bett, einer Mama, einem Waschlappen, hernach etwas Nutella aufs Brot und was des Tagewerks eines jungen Menschen mehr ist, aber dann steht plötzlich eine Frau vor Ihnen und ruft: „Pituski! Hilemka!“ (fingierte Beispiele des NRW-Schulministeriums). Wenn Sie als Vierjährige nicht die Graupe des Tages sein wollen, rufen Sie den Käse zurück: »Pituski! Hilemka!« Die Frau, die zuerst „Pituski! Hilemka!“ gerufen hat, macht ein Häkchen. So gehen Karrieren in Deutschland.
     Als ich einen Tag später mit dem Bus nach Hause fuhr, saß mir ein sehr altes Paar gegenüber. Es sprach praktisch überhaupt nicht. Er machte ab und an ein Geräusch mit dem Mund. Es war ein nachdenkliches „Mmmmpfh“, so wie wenn man sich auf einen zu vollen Koffer setzt, um ihn zuzukriegen. Die Frau hat auf jedes „Mmmm-pfh“ sowas wie „tchetchetche“ gemacht. Es klang, wie wenn man mit einem Fleckenschwämmchen einen Popelinemantel bearbeitet. Die beiden wirkten sehr zufrieden. Und haben mit „Mmmmpfh“ und „tchetchetche“ vielleicht bald Diamantene. Einstein dagegen hatte schon früh eine Cousine als Zweitfrau.
     Abends habe ich auf dem Balkon gesessen und auf meine Nichte getrunken. Im Laufe dieser solistischen Feier habe ich mir selbsterfundene Kunstwörter zugerufen, die ich dann laut nachsprechen mußte. Oft bestand ich. Es war ein schönes Gefühl; mir war fast ein bißchen Huckemai zumute.
 


© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.