Züge, Landschaften, Begegnungen

Am Zug - Neue Texte über das Bahnfahren

von Frank Becker

Züge, Landschaften, Begegnungen
 
Es sind wohl die Begegnungen, die den größten Reiz des Bahnfahrens ausmachen, so oder so. Meine Schwester, über Jahre erfahrene Bahn-Geschäftsreisende, pflegte eben deshalb die meisten ihrer Reisen im Speisewagen zu verbringen. Ich tat es ihr nach, bis die Deutsche Bahn das Bistro einführte, das dann schnell zur Proleten-Kneipe verkam. Die Kultur des Reisens verkam, als die gepflegten Tische mit weißen Tischdecken und hübschen Lampen Stehbiertischen wichen, die livrierten Kellner, gepflegten Gerichte und guten Kuchen verschwanden, in der Folge das gediegene Publikum dort ausblieb. Von den guten Zeiten in den Speisewägen der ÖBB und der Deutschen Bundesbahn erzählen z.B. Karl-Markus Gauß, Gerhard Roth und Erika Pluhar (eine zauberhafte Liebesgeschichte) in ihren Beiträgen für die brillant zusammengestellte Anthologie „Am Zug – Neue Texte übers Bahnfahren“, die kleine literarische Glanzlichter über das Bahnfahren zusammengestellt hat.
Den Heraugeber (oder war es eine Herausgeberin?) würde ich gerne an dieser Stelle loben, doch er wird nicht genannt. Denn diese so gefühlvoll zusammengebrachte Sammlung hat mir bei Bahnfahrten und zugegebenermaßen auch im Bus Stück für Stück allerhöchstes Lese-Vergnügen geschenkt.
 
Der Verlag: Wer schreibt, ist auch viel unterwegs: Lesereisen und Recherchen, kleine Fluchten und große Fahrten, Spurensuche und Fernweh. Manchmal geht es auch nur darum, die Welt vorbeiziehen zu lassen und sich selbst dabei fremd zu werden. „Am Zug“ versammelt Texte zeitgenössischer Autoren rund um das Bahnfahren: aufregende Bahnhöfe und unfreiwillige Aufenthalte, End- und Zwischenstationen, flüchtige Begegnungen und schicksalhafte Zufälle, Schlafwagenabenteuer und Speisewagengeplänkel. Reisen bei Tag und bei Nacht stehen im Mittelpunkt eines vergnüglichen Lesebuchs, das uns von Station zu Station begleitet.
Das kann man getrost so stehen lassen.
 
Peter Rosei läßt in „Wohin die Reise geht“ internationale Eisenbahn-Impressionen aufblitzen, auch er beklagt: „Es gibt keine Speisewägen mehr.“ Kurt Palm singt das Lob des Meditativen, das dem Bahnfahren anhaftet, Susanne Scholl erzählt vom dramatischen Ende einer italienischen Bahnreise – auch hier spielt der Speisewagen eine Rolle, Tex Rubinowitz läßt russische Reisetage von Moskau bis Peking inklusive Erinnerung an Wenedikt Jerofejew, Sowjet-Kommunismus, und Hotel „Kosmos“in „Trance-Sibirische Eisenbahn“ vorbeirattern, Ilja Trojanow beschreibt zum Mitschwitzen das Abenteuer Afrika in „Der Himmel über Kapiri Mposhi“. Jedem, der das Reisen mit der Bahn kennt, liebt oder darunter leidet, zu Lektüre wärmstens empfohlen. Tim Parks ist in dieser Sammlung nicht vertreten, deshalb erwähnen ich hier zur Vollständigkeit auch sein Buch „In vollen Zügen“ noch einmal.
 
„Am Zug – Neue Texte übers Bahnfahren“
Mit Texten von Alois Brandstetter, Karl-Markus Gauß, Daniel Kehlmann, Michael Köhlmeier, Kurt Palm, Erika Pluhar, Julya Rabinowich, Peter Rosei, Eva Rossmann, Gerhard Roth, Tex Rubinowitz, Susanne Scholl, Julian Schutting, Ilija Trojanow, Anna Weidenholzer.
© 2014 Residenz Verlag, 192 Seiten, gebunden, allseitiger Rotschnitt, Schutzumschlag, Lesebändchen, Autorenbiographien   
ISBN: 9783701716388  -  ISBN ebook: 9783701744824
14,90 / sFr 21,20
 
Weitere Informationen:  www.residenzverlag.com