Der Spott der kleinen Dinge

Alte Filme

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Alte Filme
 
Neulich habe ich einen Film gesehen, der die Welt verändert hat. Meine jedenfalls. Es war ein alter Film. Er fing ganz harmlos an. Frauen schmierten Kindern die Brote, Männer gingen mit einem Hut und einer schwarzen Tasche zur Arbeit. Abends hörten sie Radio und unterhielten sich. Alle waren zufrieden. Daran erkannte man, daß der Film älter war: Filme, in denen Frauen zufrieden Brote schmieren und Männer mit Hut gerne zur Arbeit gehen, sind selten geworden.
    In dem Film ging das alles eine ganze Weile gut, bis auffiel, daß unter diesen ganzen Durchschnittsbürgern hundsgemeine Monster waren. Sie kamen von einem anderen Stern, hatten sich in die Hülle brotschmierender Frauen und ihrer Männer gemogelt und stellten jetzt die Welt auf den Kopf. An Kleinigkeiten merkte man, daß sie nicht die richtigen Menschen waren. Manche brauchten keinen Schlaf oder haßten warme Milch. Sonst wirkten sie normal. Ein Monster hatte sich sogar für den Polizistenberuf entschieden. Was zu einer Szene führte, die die Zuschauer vor 50 Jahren wahrscheinlich sehr aufgewühlt hat. Ein Kind rannte zum Schutzmann und rief: »Hilfe, Hilfe, meine Mutter ist nicht echt!« Und der Schutzmann, von dem die Zuschauer längst wußten, was für ein eiskalter Marsianer er ist, sagte: »Keine Sorge, mein Junge, ich kümmere mich drum!« Das war ein echt gemeiner Spruch.
    Wie der Film ausging, weiß ich nicht. Meine Mutter rief an. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, daß es meine Mutter war. Sie sprach wie meine Mutter, erzählte von den Krankheiten ihrer Hunde wie meine Mutter und ärgerte sich über Schalke wie meine Mutter. Aber natürlich konnte das auch ein hundsgemeines Monster sein, das sich nach meinem Befinden erkundigte. Ich wünschte der Stimme am anderen Ende alles Gute.
    Durch den Film sah ich meine Welt vollkommen anders. Im Supermarkt fielen mir vor allem mehrere sehr ähnlich aussehende Rentnerinnen auf. Alle trugen gehäkelte Mützen und große Kunstlederbeutel, alle aßen unentwegt Probierhäppchen neuer Frischkäsesorten (Chili-Mandarine), alle drückten Kiwis. Eine von ihnen sagte zur Kassiererin, sie hätte die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Ich fand, daß sie verdächtig munter wirkte.
 


© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.