Richard Nonas: „More“

Arbeiten aus den Jahren 1970 bis 2015

von Christian Sabisch

Richard Nonas - Foto © Christian Sabisch

Richard Nonas: „More“
Arbeiten aus den Jahren 1970 bis 2015

von Christian Sabisch
 

„Alles muß einen Sinn ergeben,
außer dem unerwarteten, unerklärlichen Ergebnis.“
(Richard Nonas)
 
In diesem Jahr feiert die Düsseldorfer Galerie Hans Mayer ihr 50jähriges Bestehen. Den Auftakt zu diesem Jubiläum bildet eine Ausstellung mit Arbeiten des amerikanischen Bildhauers Richard Nonas. 1936 in Brooklyn geboren, studierte Richard Nonas Sozialanthropologie und arbeitete zehn Jahre lang mit amerikanischen Indianerstämmen in Nordamerika sowie im Norden von Mexiko; er unterrichtete an der Universität von North Carolina und dem Queens College in New York. Vor etwa 40 Jahren gab er seinen Beruf auf und widmet sich seither Skulpturen, die weltweit in Galerien und Museen ausgestellt wurden und Bestandteil prominenter Sammlungen geworden sind. Neben diesen Arbeiten hat Richard Nonas zahlreiche Schriften verfaßt, die sich mit den kulturellen, intellektuellen und emotionalen Dimensionen von Skulptur, Raum und Ort auseinandersetzen.
 
Wenn man Richard Nonas nach den Anfängen seiner Auseinandersetzung mit diesen Themen fragt, erzählt er gern von seiner Erfahrung als Anthropologe und betont, daß, um sein Werk zu verstehen, man bedenken muß, daß er eben nicht Kunst oder Kunstgeschichte studiert hat, sondern mit amerikanischen Indianern in Nordkanada arbeitete und „in der Wüste von Nord-Mexiko zwei Jahre in einem Dorf mit 50 Menschen lebte. Das war eine außergewöhnliche Zeit, so als lebte ich in einem surrealistischen Gemälde, wo alles für alle Menschen um mich herum einen Sinn ergab, nur für mich nicht.“
Besonders diese Erfahrung in Mexiko von beobachteter Vertrautheit und eigener Befremdlichkeit prägte sein Gespür dafür, wie die Menschen dort die Welt begriffen und räumlich wahrnahmen, eine Auffassung, die nichts mit seiner kulturellen Erfahrung zu tun hatte: „Ich schrieb damals darüber, wie wir uns die Welt zurecht legen, um sie zu verstehen. Damals besaß ich einen Schlittenhund, den ich aus Kanada mitgebracht hatte und verbrachte jeden Tag ein oder zwei Stunden mit ihm im Park. Dabei fiel mir auf, daß ich zufällig Holz aufsammelte, irgendwie zusammenfügte und damit - das ist unglaublich - ein starkes, besonderes Gefühl auslöste. Es war ein bestimmbares Gefühl ohne jegliche Erzählung, eine entkörperlichte Emotion, die ich weder ergründen, noch erklären konnte.“ Die Folge war seine Erkenntnis, daß es möglich ist, abstrakte Gefühle direkt mit Gegenständen auszudrücken, anstatt sie indirekt mit Worten zu umschreiben.


Richard Nonas, Installation - Foto © Christian Sabisch
 
Als er einem Freund seine damals noch selbst als kurios empfundenen Arrangements zeigte, lachte dieser ihn aus: Das sei schließlich Kunst, Skulptur, Bildhauerei, die er da produziere. Vielleicht nicht in dem Augenblick, vielleicht erst später begriff Richard Nonas, daß Skulptur mehr ist als eine räumliche Vergegenwärtigung, sei es eines Bücherstapels auf dem Boden oder wie Schreibutensilien auf einem Schreibtisch arrangiert werden. In den 1970er Jahren kam Richard Nonas bald in Kontakt mit anderen Künstlern wie etwa Gordon Matta Clark oder Alanna Heiss, die wie er versuchten, ihre eigene Ausdrucksweise zu finden. In der Rückschau meint Richard Nonas, daß er eigentlich nicht sehr lange brauchte, um sein eigenes Vokabular zu finden. „Das skulpturale Werkzeug, das mich am meisten interessierte, war Ausdehnung: eine lineare Ausdehnung, die in die Welt geworfen ist.“
Bis heute interessiert Richard Nonas nicht das Auseinandernehmen von Dingen, die fundamentale Analyse, die in der Summe oder in der sezierenden Reihung einzelner Bestandteile ihre Antwort findet, um die Welt zu begreifen. Ihn interessiert vielmehr, was passiert, wenn alles beieinander bleibt und eine Einheit bildet, und zwar nicht als außenstehender Beobachter oder notwendigerweise als Künstlers, sondern selbst als Teil des Ganzen. In Mexiko erkannte er, daß es Orte und Räume gibt, die tief von menschlicher Sinnhaftigkeit durchdrungen sind, die eine enorme Kraft auf uns ausüben, Orte, die uns in einer entschieden weltlichen Art bewegen. Solche Räume stehen bis heute Modell für die Art von Kunst, die er in die Welt wirft.
 
Setzt seine Art von Skulptur-Schaffen nicht ein gewisses Maß an erworbenem Wissen voraus? Bohlen oder Steine zu arrangieren, könne schließlich jeder, lautet ein gängiges Vorurteil. Richard Nonas ist sich seiner Verantwortung dem Betrachter gegenüber durchaus bewußt. „Meine Arbeiten müssen offen sein, aber es ist meine Aufgabe, die Menschen mitzunehmen. Es ist meine Aufgabe, ihnen ihre Orientierung zu nehmen. Die Art der Wahrnehmung, die ich anstrebe, kommt von der Orientierungslosigkeit. Es ist eher das, was man im Vorübergehen aus dem Augenwinkel verwundert wahrnimmt, als das, was man bereits kennt.“
Richard Nonas arbeitet mit Stein, Metall und Holz. Sein Ziel ist dabei stets eine Erdverbundenheit - was nicht mit gravitätischer Schwere verwechselt werden sollte. Für ihn besteht ein fundamentaler Unterschied, ob er eine Linie aus Holz oder dieselbe Linie aus Stein oder Metall erstellt. Die hölzerne Linie sei langsamer, sauge auf, sowohl sprichwörtlich als auch metaphorisch, bekennt er. „Sie ist zart, aber wackelig. Die Augen tanzen an ihr entlang. Die Stahllinie ist hart und schnell und kalt. Deine Augen rasen. Meine Aufgabe ist, diese Unterschiede zu nutzen.“


Richard Nonas, Installation - Foto © Christian Sabisch
 
Er benutzt Gegenstände und erzeugt damit Räume. „Was ich will, sind Gegenstände, die sich wie Orte anfühlen“, schreibt er. Ein Ort ist für ihn eine bereits existierende Einheit, ein vibrierendes Ganzes, immer abstrakter und vielschichtiger, komplexer und verschwommener als ein einziger Gegenstand oder ein Mensch - also ein Individuum, das schier Unteilbare - je sein kann. Dieser Bildhauer, der seinen Werken keine Erzählung, keine Geschichte, keinen Plot, keine Narration zugestehen will, erweist sich im Gespräch und in seinen Schriften als überaus eloquenter Schöpfer von assoziativen, hintergründigen Wortbildern, etwa wenn er - nicht einmal verschmitzt, sondern völlig ernst - erklärt, sein Ziel sei, eine Beinahe-Klarheit über eine Nicht-ganz-Verwirrung. Mehr noch, ein kaum wahrnehmbarer Mißklang von Ort, Kunst, überkreuzender und miteinander streitender menschlicher Bedeutung, die eine endlos wirkliche Welt durchschneidet. Kurzum, wie der Titel der Ausstellung andeutet: ein stetes Verlangen nach Mehr.
 
Die Ausstellung in der Galerie Hans Mayer, Düsseldorf, Grabbeplatz 2 ist täglich geöffnet bis Ende März 2015.
Weitere Informationen: www.galeriehansmayer.de/