„Und über allem der bleiche Mond“

„Der Raub der Sabinerinnen“ in einer glänzenden Inszenierung von und mit Katharina Thalbach

von Frank Becker

„Und über allem der bleiche Mond“
 
Der Raub der Sabinerinnen
Schwank von Franz und Paul von Schönthan
Bearbeitung von Curt Goetz
 
Eine Aufführung der Komödie am Kurfürstendamm Berlin
 
Regie:
Katharina Thalbach – Assistenz: Wenka von Mikulicz - Bühne: Mike Hahne – Kostüm: Jenny Schall – Fotos: Joachim Hiltmann
Besetzung: Emanuel Striese/Luise Striese (Katharina Thalbach) – Prof. Martin Gollwitz (Markus Völlenklee) – seine Frau Friederike (Sonja Hilberger) – Tochter Paula Gollwitz (Nellie Thalbach) – Tochter Marianne, verh. Neumeister (Anna Thalbach) – Dr. Leopold Neumeister (Richard Barenberg) – Dienstmädchen Rosa (Wenka von Mikulicz) – Karl Groß (Siegfried Kadow) – dessen Sohn Emil, genannt Sterneck (Ronny Miersch)
 
Titus Tatius
 
„Wenn wir in der Küche die Gurken einlegen, ist der Herr Pro­fessor in der Quarta bei den Punischen Kriegen“, seufzt das Dienstmädchen Rosa zu Beginn und dokumentiert damit die Be­ständigkeit der Abläufe im kleinstädtischen bürgerlichen Haushalt der Gründer­zeit des Gymnasial-Professors Gollwitz. Aber diesmal kommt es anders. Während die „Madame“ (Sonja Hilberger) mit Tochter Paula (Nellie Thalbach) in He­ringsdorf im Bad weilt, entdeckt ihr Gatte Prof. Gollwitz (Markus Völlenklee) in alten Aufzeichnungen eine Jugendsünde, ein Römerdrama aus Studententagen: „Der Raub der Sabinerinnen“. Und weil es der Zufall will, daß eine Wanderbühne in der Stadt ist, deren Direktor Emanuel Striese (Katharina Thalbach) bei Professors seine Aufwar­tung macht und der Herr Professor durch dessen Zureden („Die römischen Tragödien, auf die sind wir nämlich eingefuchst.“) kühn geworden ist, findet die Schmonzette den Weg auf die Bühne des Schützenhauses. Natürlich wird Striese die tragende Rolle des Römerkönigs Titus Tatius übernehmen. Und wie gut, daß die Gnädige erst in einer Woche nach Hause kommt – sie darf ja von alledem nichts erfahren. Wer hätte damit gerechnet, daß die „Frau Professor“ vorzeitig zu­rückkehrt...?


Striese überredet Gollwitz - v.l.: Völlenklee, K. Thalbach - Foto © Joachim Hiltmann
 
Ein turbulenter Klassiker
 
Seit 1884 ist dieser gesellschaftskritische Schwank der Brüder Franz und Paul von Schönthan, der nach turbulenten Verwicklungen und Verwechs­lungen schließlich ein gutes Ende für alle hat, eine Huldigung an den Idealismus des kleinen Wandertheaters, der „Schmiere“, zugleich ein beliebter Kas­senschlager, der seit 1884 volle Häuser garantiert, so auch am vergangenen Rosenmontag im Remscheider Teo Otto Theater. In der prächtigen Ausstattung eines mit Sitzmöbeln vollgestopften Fin de siecle-Salons, der sich durch wenige Handgriffe und Lichteffekte zur Probenbühne wandelt (Mike Hahne), hat Katharina Thalbach eine wohltuend getreue Fassung für die Berliner Komödie am Kurfürstendamm inszeniert und dabei nicht mit köstlichen burlesken Einfällen, running Gags und Slapstick gespart. Das von den Schönthans aufgebotene Personal steht vom drallen Dienstmädchen Rosa (Wenka von Mikulicz) bis zum schlaksigen, talentlosen jugendlichen Bühnen-Liebhaber Sterneck (Ronny Miersch) zuverlässig für Verwechslungen, Turbulenzen, zerbrechende Lügengebäude und zusammenfallende Kartenhäuser.


Was nun? - Nellie Thalbach, Völlenklee - Foto © Joachim Hiltmann
 
„Schmiere“ und Ideal
 
Die Aufführung der „Sabin(ch)erinnen“ gerät erwartungsgemäß zum Desaster, der Professor beschließt zu fliehen („Soviel Trost, wie ich brauche, gibt es im Weltall nicht!“), Striese sieht sich vor dem völligen Ruin. Doch wie zum Glück so oft im Leben wird auch auf der Schmieren-Bühne und der Bühne auf der Bühne alles gut. Bei mit unerhört viel Witz andauernd hoch gehaltenem Tempo brillierten die Darsteller einer wie der andere. Bestechend Katharina Thalbach in ihrer Doppelrolle als das Ehepaar Striese, wobei ihr die Luise in der köstlichen Probenszene – ein Kabinettstückchen! - mit Sterneck (Ronny Miersch) noch besser von der Hand ging als der eigentliche Hauptpart des Emanuel Striese. Doch auch der gelang der Berlinerin mit Herzblut vortrefflich sächselnd, wenn auch die nötige Stimmkraft für den berührenden großen „Schmieren“-Monolog am Ende des 2. Aktes nicht ganz ausreichte. Dafür braucht es einfach wirklich einen Mann mit Volumen, wie z.B. weiland Gert Fröbe:
 
Der große Striese-Monolog

Katharina Thalbach - Foto © Joachim Hiltmann
 
„Schmierentheater! – Hören Sie, jetzt läuft mir die Galle über! Wissen Sie denn überhaupt, was eine Schmiere ist? Es ist wahr, wir ziehen von einem Ort zum andern; aber mein erhabener Kollege, der Herzog von Meiningen, machte es ja ebenso. – Es ist wahr, daß ich meinen Schauspielern fast gar keine Gage bezahlen kann, aber dafür leisten sie desto mehr. Da ist zum Beispiel mein erster Held – ein früherer Apotheker, – das ist ein Beleuchtungsinspektor, wie Sie ihn suchen können; mit Hilfe einer einzigen Petroleumlampe und einer roten Glasscheibe läßt Ihnen der die Sonne untergehen, daß es Ihnen nur so vor den Augen flimmert. Und dabei das Familienleben unter meinen Leuten! Meine Frau kocht für die ganze Gesellschaft, damit meine Sozietäre sich an Entbehrungen gewöhnen. Der Charakterspieler ist nicht zu stolz, die Kartoffeln zu schälen, und mein Jüngster kann gar nicht einschlafen, wenn nicht der Intrigant, der gute Kerl, ihn vorher eine Stunde lang in der Stube herumträgt. Und wie anhänglich mir die Leute sind. Meine jugendlich-naive Liebhaberin ist nun bald achtzehn Jahre bei mir, sie denkt gar nicht daran, wegzugehen. Und was schließlich meine Frau anbelangt – nicht nur, daß sie das Kassenwesen besorgt, den Schauspielern die Haare brennt, in der Stadt die Requisiten zusammenborgt und abends die größten Rollen spielt, nein, sie hat trotz dieser Überbürdung im Laufe der Jahre noch Zeit gefunden, mich mit einer Schar lieblicher Kinder zu beschenken. Sehen Sie, Herr Doktor, das wird an einer Schmiere geleistet, und ich bin der Direktor! Empfehle mich!“
 
Hervorragendes Ensemble
 
Nicht nur in seiner „Zornes-Arie“ gegen Ende des 3. Aktes („Was? Und du auch noch? Ihr seid also alle gegen mich verschworen? Und gerade heute, wo ich mich so auf den gemütlichen Familienabend gefreut habe, treibt Ihr mich mit Gewalt zum Hause hinaus? Gut. Ihr sollt Euren Willen haben. Ich gehe!“) glänzte Markus Völlenklee als Prof. Gollwitz – er gab dem herrlich vertrottelten, gleichzeitig jedoch höchst schlitzohrigen Philologen kluge und höchst sympathische Gestalt, die dem Striese Thalbachs ebenbürtig war. Sonja Hilberger ist zwischen gerechtem Zorn und leichtsinnigem Schwips eine wunderbare Professoren-Gattin.
Besonders erfrischend mit komischem Talent präsentierte sich Nellie Thalbach als kesse Tochter Paula, der mit ihrem Partner Ronny Miersch (Emil Groß, genannt Sterneck) nicht zuletzt durch ihr Mozart-Karaoke ebensoviel Sympathie entgegenschlug wie ihrer Mutter Anna in der Rolle ihrer Schwester Marianne. Drei Generationen Thalbach auf der Bühne in diesem Stück über einen Theater-Familienbetrieb sind natürlich ein zusätzlicher Gag. Richard Barenberg machte seinen Dr. Leopold Neumeister zu einem Sympathieträger und damit zu einer Säule der hinreißenden Inszenierung. Vergessen wir nicht Siegfried Kadow, der in seinen geschwätzigen „Gastauftritten“ im Hause Gollwitz ein zusätzlicher Garant für Verwirrung ist.
 
Denkwürdige Inszenierung
 
Katharina Thalbach ist eine denkwürdige Inszenierung der „Sabinerinnen“ samt Walkürenritt und Kakadu gelungen – mit phantastischer Treffsicherheit immer ein wenig an der Klamotte kratzend aber doch haarscharf vorbei und nie abstürzend, gespickt mit Elementen der Farce a la Feydeau/Labiche und von der ersten bis zur letzten Minute der beinahe drei Stunden fesselnd, urkomisch, zwerchfellerschütternd, lachtränentreibend. Das ist Komödie vom reinsten und feinsten Schrot und Korn, Theater, wie es sein muß und besser nicht geht - vom völlig begeisterten Publikum zu Recht mit stehendem Applaus und Bravi belohnt.

Wir geben Katharina Thalbachs köstlicher, ja kostbarer Inszenierung und dem wunderbaren Ensemble unsere Auszeichnung: den Musenkuß!