Einen vergessenen Meister gebührend feiern

Die Pianistin Sofja Gülbadamova widmete dem Komponisten Ernst von Dohnányi

von Daniel Diekhans

Sofja Gülbadamova - Foto © Marius Doltu


Einen vergessenen Meister gebührend feiern
 
Die Pianistin Sofja Gülbadamova widmete sich im Bayer-Klavierzyklus
dem Komponisten Ernst von Dohnányi (1877-1960)
 
Programm:
„Winterreigen (Zehn Bagatellen)“
 „Sechs Klavierstücke“
 „Vier Klavierstücke“
 
Als Sofja Gülbadamova zum ersten Mal vom Komponisten Ernst von Dohnányi hörte, sagte ihr der Name nichts. „Ich wollte einfach mehr wissen und fing an zu graben.“ Aus Neugier wurde „eine ganz große Liebe“. Inzwischen kennt die junge Pianistin das Werk des am 9. Februar 1960 verstorbenen Ungarn genau. Aus Anlaß des 55. Todestages gab sie in der Wuppertaler Stadthalle eine spannende Einführung in seine Klaviermusik. Beeindruckt vom konzentrierten, technisch ausgereiften Spiel, folgte ihr das Publikum auf diesem Rundgang gern.
 
Ein echter Schatz ist „Winterreigen“. Komponiert auf Viktor Heindls gleichnamiges Gedicht, bezeugen diese „Bagatellen“ von Dohnányis eigenen Ton zwischen romantischer Tradition und früher Moderne. Die „Widmung“, die Robert Schumann Tribut zollt, interpretierte Gülbadamova agil und mit festem Anschlag. „Sphärenmusik“, einer Luftballonfahrt nachempfunden, bestach durch dichten Klaviersatz, sparsam eingesetzte Ornamente und einen geradezu hymnischen Aufschwung. Die folgenden Nachtstücke forderten noch stärker heraus. In wenigen Takten erreichte „Um Mitternacht“ einen Höchstgrad an Intensität. Beim Ritt der „Tollen Gesellschaft“ schienen linke und rechte Hand einander jagen zu wollen. Furiose Tastensprünge begleiteten das „Morgengrauen“. Die ausgehaltenen Klänge des „Postludiums“ schlossen den Zyklus ab.
 
Daß auch das Frühwerk des Komponisten seinen Reiz hat, zeigte Gülbadamova mit den „Vier Klavierstücken“. In bester Laune widmete sie sich den zupackenden Themen des „Scherzo“. Lebte das „Intermezzo a-Moll“ vor allem von der virtuosen Gestaltung, arbeitete die Pianistin beim „Intermezzo f-Moll“ den Gegensatz von wogenden Läufen und gedämpftem Akkordspiel heraus. Die kühne dramatische Anlage des „Capriccio“ erinnerte von ferne an Beethoven und von Dohnányis Fürsprecher Brahms. In jedem Fall gewann es noch durch Gülbadamovas delikate Interpretation.
 
Die späten „Sechs Klavierstücke“ entstanden 1945. Doch der Zweite Weltkrieg ist hier kein Thema. Grund dafür ist vermutlich von Dohnányis Fähigkeit, beim Komponieren die Wirklichkeit auszublenden. Die absolute Trennung von Kunst und Leben gelang ihm allerdings nicht. „Cloches“, das Schlußstück der Sammlung, schrieb er nach dem Kriegstod seines Sohnes Matthias. Damit konnte Sofja Gülbadamova ein weiteres Mal glänzen. Die linke Hand genügte ihr, um gewaltige Töne anzuschlagen – rein wie Glocken und hell wie der Chor eines Requiems.
Die Frage, ob Ernst von Dohnányi ein großer Komponist war, konnte auch die Interpretin Gülbadamova nicht abschließend beantworten. (Seine zwielichtige Rolle während des Zweiten Weltkriegs – einerseits Aushängeschild des nazifreundlichen Horthy-Regimes, andererseits Beschützer jüdischer Musiker – wirft da noch ganz andere Fragen auf.)
Gülbadamova bewies vielmehr, daß von Dohnányis Klaviermusik Bestand hat. Und das ist doch schon sehr viel.


Sofja Gülbadamova - Foto © Marius Doltu

Weitere Informationen unter: www.kultur.bayer.de und www.stadthalle.de