Verheerendes Gehirnjogging

von Tina Teubner

© Tina Teubner
Verheerendes Gehirnjogging
 
Wer sich allerdings der kollektiven Verblödung in Studienreisegruppen verschließt, den erwartet an der nächsten Ecke die individualistische Variante. Noch heimtückischer, noch gefährlicher und vor allem: noch unästhetischer. Die Rede ist von Gehirnjogging. Stellen Sie sich das mal vor: Sie haben viel Böses gedacht in Ihrem Leben. Und davon ist zwingend auszugehen: Weder hätten Sie dieses Buch sonst gekauft, noch hätten Sie Freunde, die Ihnen derartige Bösartigkeiten schenken. Zurück zu Ihren bösen Gedanken und dem Gehirnjogging: Nicht auszudenken, was da plötzlich alles rausschwappt! In zehn Jahren gibt es wahrscheinlich den Köln-Marathon nicht mehr. Dann machen alle den Köln-Gehirnjogging-Marathon. Wie ekelhaft! Und stellen Sie sich vor, wer da alles mitläuft: Ursula vo... Richard Ro... Achim Fr... pfui Teufel!
  Mal im Ernst: Warum soll ich meine Zeit mit dem Vervollständigen idiotischer Zahlenreihen oder dem Aufsuchen der Wörter „Haus“, „Säge“ und „Torte“ in einem Wust von Buchstaben vertrödeln, wenn es so viel Schönes zu tun gibt? Sitzen zum Beispiel. Oder Horchen. Kauen, Schlucken, Pupsen, was weiß ich? Und wenn ich schon etwas suche, dann doch lieber den Schlüssel! Geistige „Fitness“ wird doch maßlos überschätzt! Glauben Sie mir: je weniger Sie mitbekommen von dem ganzen Elend in der Welt, desto ausgeglichener werden Sie. Es kann nur ein Ziel geben: Erleuchtung durch Vergessen! (Die meisten Männer haben das längst begriffen.) Auch auf die Ehe trifft das in hohem Maße zu.
    Ich persönlich jedenfalls weiß jetzt, was ich später mache: Ich werde einfach den ganzen Tag im Liegestuhl sitzen und in die Absichtslosigkeit starren. Ich fange an zu kiffen und kaue Bonbons. Mit falschen Zähnen. Und schon geht´s wieder zurück in die Absichtslosigkeit. Und dann überhöhe ich das alles, indem ich es als buddhistische Grundhaltung auslege. Wenn man sich dem Buddhismus zugewandt hat, muß man nicht mehr intellektuell auf dem Zenit sein und Filme im Original mit Untertitel gucken. Immer schön auf Deutsch. Und nicht zu anspruchsvoll. Und wenn ich mal was nicht weiß, dann gucke ich immer wesentlich rum und sage nichts. Genau wie Sie. Dann denken alle immer: „Ah.“ Und schämen sich, weil sie schon wieder den ganzen Nachmittag profanes Zeug geredet haben. Ich aber schweige. „Stille Wasser gründen tief“, denken alle. Die wissen ja nicht, daß auch verschlossene Schränke vorzugsweise leer sind.
    Das Alter bietet so viele Möglichkeiten. Und vergessen Sie nicht: Wir Alten werden in der Überzahl sein. Und zwar wir alten Frauen.
    Ha!
    Wie herrlich muß es sein, dem Jugendwahn entwischt zu sein. Nicht immer dieser Kampf gegen das unsichtbare Übergewicht! Nicht immer diese Spielchen! Wie schön wird es sein, Weil wir uns endlich so gut kennen, daß wir nicht mehr auf diese ätzenden Spielchen angewiesen sind. Nicht immer mit jungen schönen sexy Männern auf dreckige, versiffte, billige Campingplätze. NEIN! Lieber mit meinem abgewrackten, gammeligen, röchelnden, aber durcherzogenen und zahlkräftigen Gatten in überteuerte, mondäne Badeorte. Was für eine zauberhafte Vorstellung!
    Endlich kann man mal so sein wie man schon immer war. Es sagen ja immer alle, daß sich die Macken im Alter verstärken. Das ist doch völliger Quatsch. Die Macken Waren schon immer da. Man traut sich nur damit zu leben. Weil die Zeit viel zu knapp wird, um sich unablässig zu verbiegen.
    Und was meinen Sie, was das für einen Spaß macht! Früher habe ich mich oft verbogen. Ich habe mich sogar aus Verbiegungsgründen zum Flunkern hinreißen lassen! Einfach aus Not. Weil ich mich nicht abgrenzen konnte. Weil ich nicht nein sagen konnte. Wenn früher beispielsweise Kinder geklingelt haben, zum Gripschen an St. Martin, wenn sie von Tür zu Tür gegangen sind, um Süßigkeiten zu bekommen, und ich hatte gerade nichts im Haus, dann habe ich oft gar nicht die Tür aufgemacht. Ich habe mich ganz still ins Dunkel gesetzt und gehofft, sie merken nicht, daß ich zu Hause bin. Was meinen Sie, wie ich mich über das Geklingel freue, wenn ich alt bin! Dann stürze ich mit meinem Rollator zur Tür, und wenn ich dann in die erwartungsvollen Gesichtchen schaue, in die kleinen Sternenäuglein, dann sage ich: „Ja, selbstverständlich hat die Tante was für euch!“ Und schon krame ich aus meinen alten Manteltaschen zwei, drei verklebte Bonbons. Mit Haaren dran. Und Sand. Sanddorn-Haarbonbons. Und ich bestehe darauf, daß sie direkt probieren. Altwerden kann wundervoll sein!
 

© Tina Teubner

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