Max Liebermann - Maler und Gourmet

Betrachtungen in vier Abteilungen - 3. Abteilung

von Konrad Beikircher

Portrait Julie Elias - Max Liebermann 1914
Max Liebermann -
Maler und Gourmet

Betrachtungen in vier Abteilungen
von Konrad Beikircher
 
3. Abteilung


Konsequent nur der Zunge und dem Geschmack verpflichtet hat Auguste Escoffier den Nahrungsmitteln ihre Eigenart zurückgegeben, hat die Großküche und die professionelle Küche als erster wirklich systematisiert, hat hygienische Standards eingeführt, die heute noch nicht immer eingehalten werden – in so mancher Küche kommt der Herd auf Pfiff zum Koch! – hat alles, was man nicht essen kann, von den Dekorationen verbannt, hat der geschmackvollen Einfachheit den Weg freigemacht und hatte dabei immer eines im Auge: Essen soll ernährungsphysiologisch sinnvoll sein, gleichzeitig aber auch in höchster Vollendung frisch zubereitet auf den Teller kommen. Das waren Standards, die bis dahin unerhört waren. Erst er hat sie uns zur Selbstverständlichkeit gemacht.
Als kleines Beispielseiner Phantasie aber möchte ich das Weihnachtsmenu vom 25. Dezember 1870 vorlesen. Die Preußen haben einen Ring um Paris gezogen, hermetisch war alles abgeschlossen.
 
Die Gourmets aber wollen essen. Was also gab es, wenn es nix gab? Wenn kein Huhn aus der Bresse, kein Lämmchen presalé vom Atlantik, keine Austern aus Arcachon durchkamen?
Es gab am 25. Dezember 1870, dem 99. Tag der Belagerung, wie ganz oben auf der Speisekarte stand, eher Exotisches für die Pariser Gourmets, Escoffier hatte nämlich auf der Suche nach Frischfleisch den - Zoo entdeckt. Also gab es:
 
1. Gang
Butter, Radieschen, gefüllter Eselskopf, Sardinen
2. Gang
Pürée von roten Bohnen mit Croutons
Consommé vom Elefanten
3. Gang
Frittierter Gründling
Gebratenes Kamel à l’Anglaise
Känguruh-Pfeffer (Le Chivet de Kangourou)
Gebratenes Bärenkotelett in Pfeffersauce
4. Gang
Wolfskeule in Rehsauce
Katze an Ratten (Le Chat flanqué de Rats)
Kresse-Salat
Antilopen-Terrine mit Trüffeln
Steinpilze à la Bordelaise
Kleine Erbsen in Butter
Dessert
Reiskuchen mit Konfitüren
Abschluß
Gruyère – Käse
 
Bei den Weinen allerdings kann es einem anders werden:
Latour Blanche von 1861 - Mouton Rothschild von 1846 - Romanée Conti 1858 - die Älteren werden sich daran erinnern, was das für ein Granaten-Jahrgang war!
 
Von ihm nun hat eine ganze Generation abgeschrieben, auch Julie Elias. Sie mußte sich dabei inflationsbedingt natürlich etwas nach der Decke strecken – es gab Zuschriften nach dem Erscheinen ihres Breviers der feinen Küche, die das auch aussprachen, so schreibt z.B. Johannes Guthmann 1925 aus Schlesien:
 
„Sehr verehrte, liebe gnädige Frau!
Ihr Kochbuch ist prachtvoll und ich danke Ihnen herzlich für das willkommene Weihnachtsgeschenk, das Sie unserem Haushalt damit gemacht haben...wenn wir auch unter den obwaltenden Verhältnissen eine große Anzahl der Gerichte in der Phantasie werden auskosten müssen.“
 
Das nun war aber nicht Max Liebermanns Thema. Ich meine: wenn sich einer eine Wohnung direkt neben dem Brandenburger Tor leisten kann, mit Garten etc. pp, der findet auch in der schlechten Zeit ein Blümchen und eine Vase, ein Stück Fleisch, einen Fisch un jet Jemös dabei, um sich wat Leckeres zubereiten zu lassen.
Außerdem wuchs ja eine ganze Menge in seinem Garten!
Jetzt muß man allerdings sagen, daß Max Liebermann nicht der raffinierte Gourmet war, der sich mit Jürgen Dollase über die Textur von Orangen-Thymiannocken unter geräucherter Lammzunge (ein Rezept vom Hans Stefan übrigens) hätte unterhalten können, er war eher der Mann des klaren, geraden Geschmacks, er schätzte sehr, wenn der Blumenkohl nach Blumenkohl schmeckte und die Erbse nach Erbse. Fein!
Und als solcher schrieb er seiner Freundin Julie Elias, nachdem ihr Mann ihm das „Brevier der feinen Küche“ gebracht hatte, u.a. folgendes:
 
„Freilich sagt man, daß der Fresser nicht geboren, sondern zum Fresser erzogen wird. Ich scheine zum Gourmet „prudestiniert“ zu sein. Doch dem sei, wie ihm wolle: an einer guten Mahlzeit habe ich große Freude.
Kunst und Natur sei auch im Essen eines nur: die matière première muß gut sein, aber nur die Kunst kann aus ihr das Meisterwerk für uns’ren Gaumen machen.
In seinem Tagebuch aus Braunschweig sagt Stendhal, daß die Deutschen ausgezeichnete Menschen seien, aber sie tränken Bier statt Wein: Hätten wir statt Kommißbrot Weißbrot gegessen, hätten wir vielleicht den Krieg nicht angefangen!
In Deutschland verstehen nur die Juden zu essen und die jüdische Küche hat die meiste Ähnlichkeit mit der italienischen, aus der erst die französische hervorgegangen ist. Es lebe die koschere Küche! Und mit diesem Rufe will ich schließen...
 
Ihr sehr ergebener
Max Liebermann“
 
 
Lesen Sie in der kommenden Woche an dieser Stelle
die vierte und letzte Abteilung von Konrad Beikirchers kulinarischen
Max Liebermann-Betrachtungen

Redaktion: Frank Becker