Niederrheinisch wohnen (2)

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Niederrheinisch wohnen (2)

Das ist keine Übertreibung mein erstes Lesebuch
auf der Penne hieß damals
Wagen und Wirken
Unterstufe
Verlag Velhagen & Klasing
Und das zweite Buch Mittelstufe hieß
Schauen und Schaffen
Und das dritte das wär eigentlich ganz logisch
könnte doch Sitzen und Sinnen heißen
So ist es ja dann auch gekommen
Ich hatte damals ja auch sone kleine Bilder-Sammlung
so von Zigaretten da konnte man so ganze Alben
mit vollkleben so kleine Bilder mit Goldrand
historische Serien
Und da gabs ein Bild aus dem 30jährigen Krieg
da stand drunter Wörtlich drunter
Der Söldnerführer Ernst von Mansfeld erwartet
stehend den Tod
Gestützt von zwei Landsknechten
Das hat mir das muß ich zugeben das hat mir
damals irrsinnig imponiert
Nun werden Sie natürlich fragen mit Recht fragen
Was soll eigentlich all dieser Blödsinn diese
merkwürdigen Assoziationen diese Sprünge und
diese entschuldigen Sie aber ich kann Ihnen das
wirklich nur ganz naiv erklären
Das ist Niederrhein
ja der Niederrhein ist ja für mich gar keine
Landschaft sondern das ist diese Kieler-Anzug-
Mutation früher gabs das ja heute is das ja nicht
mehr so aber früher seinerzeit zu meinerzeit gabs ja
diese für Buben und Mädchen so zwischen 6 und
15 diese merkwürdige Matrosenverkleidung alle
deutschen Mädchen und Buben alles Matrosen alles
Matrosen
Kaiser Wilhelm unser Lotse
Wir hatten damals den Ahoi-Komplex
Tiefenpsychologen würden wahrscheinlich von
einem sogenannten Wasserkanten-Zwang sprechen
Jaaa immer propper angezogen
Tja fein gemacht hieß es dann
Das war ja diese Phase: Scheitel mit naß Wasser
Immer schön grade nein der Niederrhein ist
für mich Wirklich keine Landschaft für mich ist das
eine verschleppte Erkältung
Immer wenn ich huste obwohl wenn ich so im Jahr
so ein zweimal hinfahre und wieder zurück dann
stecken die mir immer noch Äpfel und Butterbrote
in die Tasche so mit dem Gefühl wer weiß was der
Junge morgen zu Essen hat das ist diese große
Ortskrankenkassenzusammengehörigkeit
Und es is ja auch rührend man muß das ja auch mal
von der anderen Seite dialektisch und so sehen
Denn es steckt ja die Sorge dahinter die Sorge die
steckt dahinter doch die steckt dahinter oder
doch oder nicht
Na lassen wirs offen
Wenn Sie mal einen typischen Niederrheiner
identifizieren müssen brauchen Sie nur folgendes zu
machen
Sie picken sich irgendeinen heraus aus mehreren
Leuten und bitten ihn
er möge Ihnen doch mal ein modernes technisches
Gerät erklären sagen wir mal einen Fotoapparat und
nun is das einer der davon keine Ahnung hat aber
meinen Sie vielleicht der sagt dann
Tut mir furchtbar leid da müssen Sie mal bitte einen
anderen fragen nein der fängt an zu erklären
Jaaa und so wird man natürlich auf die Dauer
Kabarettist
Ich sage immer das ist diese flämische Uferlosigkeit
Ich hatte mal zwei Vettern die hatten Hände so lang
wie Pferdeköpfe richtige Pianisten-Chirurgenflossen
sag ich immer aber die hatten so was Irisches die
standen einem Bauernhof vor da konnte man
stundenlang da gingen wir sonntags immer zu
Besuch hin also wir zu Euch und Ihr zu uns und da
konnte man stundenlang über die Äcker gehn immer
so gucken ob auch noch alle Morgen da waren
Waren meistens immer noch alle da manchmal
kamen noch en paar dazu
Das war immer sonntags
Und samstags immer auf den Friedhof jeden
Samstag auf den Friedhof jaa war ne gute Vorübung
Ordnung muß a sein wo kämen wir sonst hin
Das muß man ja alles mal durchspielen
Auch wegen Kompost und so


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus „Das schwarze Schaf vom Niederrhein“

in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung