Kino mit den Ohren
Nic Raine und das Sinfonieorchester Wuppertal
entführten ins Reich der Leinwand-Illusion
Alles ist im Kino möglich, wenn das Saal-Licht ausgeht, der Vorhang sich öffnet (mit einem Seufzer muß ich bekennen, daß letzteres schon lange her ist und für mein Alter spricht) und die Bilder sich bewegen. Kino, Kintopp, „Cinema Paradiso“. Romanze, Krimi, Drama, Horror, Abenteuer, Phantastik wird im Film lebendig. Seit schließlich der Pianist oder Kino-Organist in Rente geschickt wurde und große, durchkomponierte Filmmusiken von der Leinwand her die Filme aller Genres begleiten, sind Bilder und Melodien zu grandiosen Einheiten verschmolzen. Daß man mit den bei vielen Filmen ebenso populär wie Handlung und Darsteller gewordenen Melodien Bilder im Kopf erzeugen kann, bewiesen am Dienstagabend die hervorragend aufgestellten Musiker des Sinfonieorchester Wuppertal unter ihrem Dirigenten Nic Raine, der das Konzert zudem mit britischem Humor moderierte.
Womit als mit der Gänsehaut-Fanfare aus Richard Strauss´ „Also sprach Zarathustra“, mit der 1968 der Stanley Kubrick-Film „2001“: Odyssee im Weltraum“ legendär und unsterblich wurde, könnte man einen solchen Abend besser beginnen? Eben. Das tat das Orchester unter sensibler Führung von Nic Raine mit gewaltigem Einsatz, vor allem Martin Schacht an den Pauken und Hartmut Müller an der Tuba hatten, wörtlich zu nehmen, ihre Sternstunde. Für beide hielt das Konzert während der ganzen zweieinhalb Stunden noch manche prächtige Passage bereit, so u.a. beim düsteren „Batman“-Thema von Danny Elfman, bei Miklos Roszas Paso Doble-gefärbtem Marsch aus „El Cid“ (1961), in John Williams´ „Hook Suite“ mit ordentlich Futter für die Pauken und bei Hans Zimmers Filmmusik zu „Fluch der Karibik (3)“ aus dem Jahr 2007.
Suggestiv malte das Orchester wunderschöne Bilder von den Sonnenuntergängen über den Weiten der Plains im amerikanischen Mittelwesten aus Bruce Broughtons Thema zum Western „Silverado“ (1985) und noch einmal mit John Barrys Oscar-gekrönter Musik zu „Der mit dem Wolf tanzt“ (1990), bei der Flöte und Oboe in einen traumhaften Dialog einstiegen. Als ebenso ein Traum präsentierte sich Elmer Bernsteins Filmmusik zu „Wer die Nachtigall stört“ (1962) – hier beeindruckten Klavier und Flöte, die auch in James Horners „Legenden der Leidenschaft“, vor allem im unsagbar sanften Ausklang delikate Kunst zeigten.
Vorhin fragte ich, womit man wohl ein solches Konzert hätte beginnen können. Es hätte noch eine Alternative zu „2001“ gegeben – und mit der läutete Nic Raine brillant den zweiten Teil des Abends ein: Ron Goodwins Thema zu den „Miss Marple“-Filmen nach Agatha Christie (1961). Die phantastischen Wuppertaler Streicher machten diese Filmmusik mit Erinnerungswert zu einer wahren Delikatesse, was übrigens auch für die bis ins Detail genial interpretierte „Mary Poppins Suite“ (1964) von Richard M. Sherman gilt, bei der Harfe, Flöte und Akkordeon-Klänge (übrigens auch bei der „Karibik…“) Großes zeigten. Die Wuppertaler Erstaufführung von Vangelis´ „Chariots of Fire" (1981 für Synthesizer geschrieben), von Nic Raine für großes Orchester bewegend arrangiert, war purer Genuß für Ohr und Gemüt.
Ein ganz wunderbarer, begeisternder Konzertabend vor ausverkauftem Haus im Großen Saal der Historischen Stadthalle, der bei geschlossenen Augen auch zum Kinoabend wurde, und der zeigte, wie man junges Publikum von sinfonischer Musik überzeugen kann – mehr als 50 % der Zuhörer gehörten nämlich den jüngeren Generationen an.
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