Ein vergessener Expressionist ?

Davoser Bergwelten von Philipp Bauknecht im Kirchner Museum Davos

von Jürgen Koller

Hirtenknabe vor 1919-20 - © Kirchner Museum Davos
Ein vergessener Expressionist ?
 
Davoser Bergwelten von Philipp Bauknecht
im Kirchner Museum Davos
 
Fast drei Jahrzehnte war der deutsche Expressionist Philipp Bauknecht in Vergessenheit geraten. Erst die Amsterdamer Galerie „Kunstzaal Monet“ machte im Jahre 1961 Werke des Deutschen – Gemälde, Aquarelle und Holzschnitte – der Öffentlichkeit zugänglich. In einem längeren Beitrag publizierte seinerzeit „Der Spiegel“ in seiner Ausgabe 34/1961 die Hintergründe, warum der 1933 in Davos verstorbene Expressionist so ganz aus dem Gedächtnis der Kunstwissenschaft verloren gegangen war. Bauknechts Frau, eine vermögende Holländerin, hatte „nach dem Tod ihres Mannes das gesamte Werk von Davos in ihr Haus in der niederländischen Kleinstadt Baarn bei Hilversum überführen lassen und auch dort während der deutschen Okkupation verborgen gehalten, zumal Bauknecht-Bilder, die in den zwanziger Jahren von Sammlungen in Berlin, Münster und Stuttgart erworben worden waren, nach 1933 zur „Entarteten Kunst“ gezählt und vernichtet wurden oder verloren gingen“. Noch im Jahre 1961 hielt die Witwe den größten Teil der Werke Bauknechts zurück – sie behielt sich die exklusiven Rechte auf den Maler bis zu ihrem Tode vor.
Festzuhalten ist, auch nach dem erneuten Bekanntwerden der Werke Bauknechts in den Sechzigern mußte die Geschichte des deutschen Expressionismus nicht neu geschrieben werden, wenngleich Zeitungen euphorisch von Bauknecht als einem „Pionier“ und „einem der ursprünglichsten Künstler des deutschen Expressionismus („Die Welt“) schrieben oder die „Deutsche Zeitung“ Bauknechts Arbeiten „in ihrem Gehalt und ihrer künstlerischen Kraft zu den wichtigsten Arbeiten des deutschen Expressionismus“ zählte. Der „Amsterdamer Telegraaf“ nannte Bauknecht einen „zu Unrecht vergessenen Maler“ und der Amsterdamer „Het Parool“ fragte, wer Bauknecht war und warum er bis jetzt unbekannt geblieben sei.
 
Philipp Bauknecht wurde 1884 in Barcelona von deutschen Eltern geboren, die bereits 1892 nach Deutschland zurückkehrten. Sein Vater war Goldschmied und Uhrmacher. Der junge Philipp absolvierte eine Schreinerlehre in Nürnberg und schrieb sich danach gegen den Widerstand der Eltern an der Königlichen Kunstgewerbeschule in Stuttgart ein. Einer seiner Lehrer war Bernhard Pankok. Im Jahre 1910 erkrankte Bauknecht an Tuberkulose, Heilung versprach er sich im hochalpinen Luftkurort Davos in der Schweiz, dort verblieb er bis zu seinem Tod im Jahre 1933.

Ringkämpfer vor 1924 - © Kirchner Museum Davos
Recht bald findet der Maler in der Schweizer Bergwelt zu seinem expressiven Stil. „Landschaft und bäuerliches Alltagsleben werden in seinen Werken zum unmittelbaren Ausdruck von Ursprünglichkeit und elementaren menschlichen Gefühlen und Handlungen. Bauknecht schafft mit seinem Gemälde „Hirtenknabe“ (1914 – 1916) das erste modern aufgefasste Bild der Landschaft von Davos.“ (Kirchner Museum). In diesem Bild bedient er sich einer übersteigerten Farbigkeit bei gleichzeitiger Deformierung der Wirklichkeit - von einer Idealisierung des Lebens in den Bergen ist nichts zu spüren, ganz im Gegenteil, die „Landschaft (wird) zunehmend zeichenhaft komprimiert und durch starke subjektive Farbkontraste ins Existenzielle gewendet“. Die freundschaftliche Beziehung zu dem älteren Ernst Ludwig Kirchner, der im nahen Frauenkirch wohnte und arbeitete, zerbrach nach wenigen Jahren. Später wurden sie unversöhnliche Feinde, der „asketische Bauknecht warf dem genialischen Kirchner vor, daß er nur noch 'im Alkoholrausch' malen könne.“ Im Gemälde „Schwinger“ (Ringkämpfer) von 1918 -1924 stellt er die zerrütteten Beziehungen zwischen den beiden Künstlern als verkrampften Zweikampf dar. Allerdings erhielt Bauknecht durch die Fürsprache Kirchners die Möglichkeit, in den zwanziger Jahren in Deutschland zu Ausstellungen eingeladen zu werden. Neben kleineren Ausstellungen in Berlin, München, Dresden und Barmen (Wuppertal) war seine wichtigste Ausstellungsbeteiligung 1924 in der Schau der „Neuen deutschen Kunst“ im Kunstgebäude am Stuttgarter Schlossplatz, wo Bauknecht neben Beckmann, Schmidt-Rottluff, Heckel, Dix, Grosz, Klee, Kokoschka und Kirchner mit neun Gemälden und sechs Holzschnitten vertreten war. Das alles hielt aber Bauknecht nicht davon ab, sich in jeder Form von einer künstlerischen Verwandtschaft zwischen sich und Kirchner zu distanzieren. So vermerkte er beispielsweise handschriftlich auf einer Rezension des „Schwäbischen Merkur“: „Wenn zwei im gleichen Zeitalter, in gleicher Gegend und unter gleichen Lebensumständen schaffen, kann man nicht gut von Beeinflussung sprechen.“(Der Spiegel) Eine gewisse Einflussnahme auf die großformatige Holzschnittkunst Bauknechts durch Kirchner und die „Brücke-Künstler“ insgesamt ist aber nicht zu leugnen, waren es doch gerade diese Expressionisten, die dem Holzschnitt in Deutschland zu einer Renaissance verhalfen.
Bauknecht galt als eigenbrötlicher Menschenverächter. Das kommt in seiner „Neigung zur knochig-ungelenken Überzeichnung der bäuerlichen Bevölkerung“ zum Ausdruck, die bei ihm oftmals stumpfsinnig beieinander hockt. Gleichermaßen verachtet er die Davoser Honoratioren und die reichen, sich intellektuell gebenden Sanatoriumsgäste.
 
Das Kirchner Museum Davos zeigt in Zusammenarbeit mit dem Museum Würth in Künzelsau und der Galerie Iris Wazzau in Davos eine umfangreiche Retrospektive zu Philipp Bauknecht – Werke, die in einem Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren in den Schweizer Alpen entstanden sind. Zur Ausstellung ist ein reich illustrierter Katalog im Swiridoff Verlag erschienen.


Winterlandschaft bei Davos Laret, 1928 - © Kirchner Museum Davos
 
Ausstellungsdauer
23. November 2014 – 19. April 2015
Öffnungszeiten
Dienstag - Sonntag, 10 – 18. Uhr
Montag geschlossen
Öffentliche Führungen
Dienstags und sonntags jeweils um 16 Uhr
 
Tel. +41 81 410 63 03