Max Liebermann - Maler und Gourmet

Betrachtungen in vier Abteilungen - 1. Abteilung

von Konrad Beikircher

Max Liebermann Selbstporträt 1916

Max Liebermann -
Maler und Gourmet

Betrachtungen in vier Abteilungen
von Konrad Beikircher
 
1. Abteilung
Es gibt zwei Sätze, die mich in Zusammenhang mit Max Liebermann ganz besonders beeindruckt haben. Der eine stammt von Egon Friedell, dem großartigen Wiener Schriftsteller, Kulturhistoriker und einem der letzten wirklichen Universalgenies, der Max Liebermann geisterverwandt war, was die Nazis und deren Welt anging und der vor ihnen am 16. März 1938 aus dem dritten Stock in den Tod gesprungen ist – übrigens auf unnachahmlich wienerische Art: es ist verbrieft, daß er im Sprung den Passanten umsichtig zurief: „Treten Sie zur Seite!“.
Dieser Egon Friedell schrieb in seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ über Max Liebermann den Satz: „Liebermann beginnt, allgemeinen Verdruß zu erregen!“ und meinte damit, daß Liebermann keineswegs ein reaktionärer bürgerlicher Maler ist, sondern ein Avantgardist im Sinne eines Künstlers, der in Bewegung ist und nicht in selbstgefälliger Freude über das Erreichte erstarrt, auch wenn er die Expressionisten nicht mochte.
Dieser Satz sollte heute noch gereicht werden, wenn es um Max Liebermann geht, so massiv ist die ungerechtfertigte Neigung der Bourgeoisie, ihn sich als staatserhaltenden Bürgerpinsler, die preußische Antwort auf die parfümierten Franzosenpointilisten etc  einzuverleiben.
 
Der andere Satz stammt von Liebermann selbst. Das Kind Max Liebermann wurde in der Schule vom Lehrer nach dem Mond gefragt und antwortete: „Der Mond ist in der Leipziger Straße am größten.“
Na, ist das ein Satz? Poetischer und gleichzeitig frappierender kann einer nicht dokumentieren, daß er ein Künstler ist, geistig unabhängig von dem, was man halt zu denken und zu sagen hat, daß er die Welt auf seine Weise sieht: unbestechlich, klar und radikal persönlich. 
Der Mond ist in der Leipziger Strasse am größten - das heißt, daß da einer ist, der seinen Augen traut und der sich nichts vormachen läßt, von keinem Lehrer, keinem Kaiser, keinem Bismarck, keinem Mainstream, keiner Mode, keinen Auszeichnungen, keinen Preisen. Liebermann hätte sicher den grandiosen Satz, mit dem Billy Wilder sich 1993 für den Goldenen Bären, mit dem er für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, bedankt hat, aus vollem herzen unterschrieben. Wilder sagte nämlich bei der feierlichen Verleihung - Bundespräsident und die gesamte deutsche staatse Prominenz saß vor ihm in Frack mit Orden an Brust, Hosenband und vorm Kopp – da also sagte er am Ende seiner eh schon launigen Rede: „Mit den Orden, meine sehr verehrten Damen und Herren, isses so wie mit Hämorrhoiden: am End kriegt sie jedes Oarschloch!“
Bei Max Liebermann war es wohl, wie es aussieht, in allen Lebensbereichen so, also daß er von solchen Dingen weitgehend unabhängig war, und das allein wäre schon Grund genug, ihn sich als Beispiel zu nehmen, vor allem in einer Zeit, die ohne Herdentrieb gar nicht mehr auszukommen scheint. Wir kaufen, was alle kaufen, wir hören, was alle hören, wir gucken, was alle gucken – ohne diesen Herdentrieb kann man sich die Existenz von solchen Perversionen wie RTL, SAT 1 oder Pro 7 doch gar nicht erklären, oder?! – wir finden Kunst, was alle Kunst finden und wenn uns Gault-Millau oder Michelin nicht sagen würden, daß das, was auf dem Teller ist, zwei oder drei Sterne wert ist – wir trauten uns nicht, es uns schmecken zu lassen. So einer malt dann auch – wie es Max Liebermann 1879 in München getan hat – den zwölfjährigen Jesus im Tempel einfach so hin, wie er es aus seiner eigenen jüdischen Kindheit kannte: als jüdisches Kind, ein bißchen ärmlich und mit dunklen Haaren, normal: blond ist da unten einfach selten, oder?! Und schon schreit die Welt auf, nennt ihn „Herrgottsschänder“ und der bayerische Landtag debattiert zwei Tage lang über diese vermeintliche Blasphemie. Das war der Start seiner Karriere in der Welt der Kunst – wiewohl seine Familie ihn gerne woanders gesehen hätte, aber dazu kommen wir, vielleicht, noch -  und das alles war der Hintergrund für den schönen Satz von Egon Friedell: „Liebermann beginnt, allgemeinen Verdruß zu erregen!“.
Nun hat er Verdruß nicht nur allgemein in der Öffentlichkeit erregt, dazu war auch in der Famillich genügend Grund da: er kam ja aus einem besser als gut situierten Elternhaus, wie wir wissen, und hätte ja eigentlich in die unternehmerischen Fußstapfen der Eltern und Großeltern treten sollen, aber da war nix.
 
Ein Chemie-Studium scheiterte, weil er wegen „Studienunfleißes“ von der Uni geschmissen wurde, genauer gesagt: er ist exmatrikuliert worden, er ist halt lieber geritten und hat gemalt als nach Molekularstrukturen zu forschen oder den Unterschieden von H2SO4 zu H2SO3 nachzugehen, von CH2O2 ganz zu schweigen, der ätzenden Säure, welche die Seckome, die Pißameisen, absondern, wenn man die Hand hinhält. Dann erst durfte er Kunst studieren und der Rest ist ja bekannt.
Wie er sein Leben den Kindern erzählt hat, dazu kommen wir noch.
Jetzt müssen wir uns ja nicht mir dem künstlerischen Leben dieses Originals befassen, das kann man nachlesen. Liebermann attestierte sich das „Pelikan-Syndrom“, womit er darauf anspielte, daß bei den Pelikanen - also bei den Vögeln, nicht bei den Füllern, den sogenannten Kolbenbrütern - die Männchen die Eier ausbrüten und sich sogar die Brust für die Brut aufreißen, die Brust, wohlgemerkt.
Bei uns Menschen ist das, was wir uns aufreißen, anatomisch etwas verrutscht, vielleicht aber hat Papa Liebermann noch gesagt: „Ich reiß mir hier die Brust auf, während der Herr Sohn von der Uni aus dem Chemiestudium geschmissen wird!“, wer weiß.
Als alter Herr hat er Ende der zwanziger Jahre, einer Dame, die ihm Modell saß, einmal gesagt, zu Hause sei er meistens mürrisch, „nur das Kind, wenn das da ist, da bin ich immer freundlich. So’n Kind! Da ist man doch Schuld dran. Das ist doch eigentlich ‚ne Gemeinheit, so’n armes Ding in die Welt zu setzen. Es kann doch nichts dafür. Nun muß man ihm doch wenigstens das Leben angenehm machen.“
Eine schöne Haltung, wie ich finde, oder?
Also mit dem Leben und der kunsthistorischen Einordnung und ob er das alles überhaupt verdient etc. pp. müssen wir uns zum Glück nicht abgeben, dafür gibt es Berufenere, wir wollen heute mal genießen, was er genossen hat, ich meine: er hat ja nicht nur in Öl gemalt, er hat ja auch gerne in Öl gekocht, oder, also:
die Botaniker und Apostel des grünen Daumens genießen oben auf dem Dach den Liebermann-Garten, zumindest die Erinnerung daran, und wir Genuß-Menschen das Essen, das er genossen hat und auch das in Erinnerung daran, denn ganz so, wie er damals bekocht wurde, isst man heute nicht mehr, da sei Escoffier vor.
Der Max hat damals noch ein bisschen deftiger gekocht und gegessen als wir heutzutage, deshalb begrüßt man das Eisbein ja heute noch, wenn es mit fettgleißender Schwarte auf Erbspürree und Sauerkraut dahergewabbelt kommt und die Galle sich schon beim bloßen Anblick auf einen mehrtägigen Stellungskrieg einstellt, in Erinnerung an ihn ehrfürchtig mit „Mein lieber Mann, es dat ne Ömmes!“
 
Die Großeltern kamen aus märkisch Friedland und die Familie hielt die Erinnerung an diese Herkunft lebendig in Erinnerung, so, daß auch Max Liebermann sie vor Augen hatte. Das bedeutet: Jude zu sein, war ihm selbstverständlich und er trug diese Zugehörigkeit mit Respekt und Stolz. Er sagte: „Ich bin als Jude geboren und werde als Jude sterben“, aber er sagte auch, vielleicht auf dem Hintergrund dieser klaren Identität: „Ich habe es mein Leben lang so gehalten, daß ich immer zuerst gefragt habe: Was ist das für ein Mensch? Niemals danach, ob er Jude, Christ oder Heide war.“
Wenn wir aber den Gründen für jüdisches Genießertum nachgehen wollen, dann müssen wir einen Blick in das Alte Testament werfen, denn dort zeigt sich, daß schon die Juden aus der Zeit Abrahams, Josefs und Salomons Leute waren, denen Essen wichtig war und zwar nicht nur zum Satt-Werden. Sie waren, könnte man sagen, echte Schmecklecker. Das geht ja schon in der Genesis los, im Garten Eden, wo ja, wie wir wissen, die Schlange der Eva nicht etwa einen Cheesburger anbot oder einen leckeren Manna-Döner oder so, sondern einen wunderschönen Apfel.
 
Jetzt wissen wir leider nicht, welche Sorte das war: Pink Lady, die diebische Elstar oder Gala, wir wissen nur eines: es scheint der falsche Apfel gewesen zu sein, denn direkt nach dem Genuß mußten die beiden das Paradies verlassen. Vielleicht haben sie nach dem Genuß herausbekommen, daß uns Herrgott die Äpfel auch unter der CO2 Folie hat überwintern lassen oder sie waren aus Holland, jedenfalls: gepitscht und aus dem Paradies abgeschoben, damals hat man sich das noch getraut, und dat wor et dann und wir müssen es auslöffeln. Egal.
Weiter mit dem Alten Testament: „Darum pries ich die Freude“, sagt Salomon, „daß der Mensch nichts Besseres hat unter der Sonne denn zu essen und zu trinken und fröhlich zu sein“, was ein schöner Satz ist. So was kennen wir nicht von den Hethitern, den Assyrern oder dem Neandertaler, oder?! Und selbst bei Zoroaster oder Zarathustra sucht man so was vergeblich.
Und man hat in israelitischen Kreisen ganz schön zugeschlagen: Als David gen Goliath zu Felde zog und ihn mit der Kraft der Schleuder erledigte, gabs vorher was zu essen, und zwar: „Da eilte Abigail und nahm zweihundert Brote und zwei Krüge Wein und fünf zubereitete Schafe und fünf Maß Röstkorn und hundert Rosinenkuchen...“
Sie sehen: man war nicht zimperlich. Das ganze AT ist voll von solchen Stellen, Stellen, die zeigen, wie gaumenorientiert das auserwählte Volk damals war. Und beim Auszug aus Ägypten geht ein Gourmet-Klagelied ohnegleichen los: „Wer wird uns Fleisch zu essen geben? Wir denken an die Fische, die wir in Ägypten umsonst aßen. Und an die Kürbisse, die Melonen, den Lauch, die Zwiebeln und den Knoblauch.“ Klingt wie der Einkaufszettel oder?!
Moses hatte es mit so verwöhnten Gaumen in der Wüste nicht leicht. Selbst als er Manna verteilte, mußte er einen Riesenzirkus veranstalten um sich bei den Seinen ins rechte Licht zu rücken und ihr Misstrauen zu überwinden: er habe Gott um Hilfe gebeten und Gotte habe dieses Manna vom Himmel geschickt. Das klappte auch und es schmeckte ihnen „wie Koriandersamen und war weiß und hatte einen Geschmack wie Semmel und Honig“.
Daß es in Wirklichkeit anders war, hat man erst später herausgefunden: Schildläuse nämlich saugen den Saft aus Tamariskenzweigen. Das Ergebnis sind weißliche, süße Kügelchen, die die Tiere zu Boden fallen lassen und dat es dann dat Manna. Das erinnert uns doch sehr an etwas, wofür heute die Ober-Gourmets in ihre Tempel pilgern, den Kopi Luwak Kaffee aus Indonesien: der wird aus dem Kot der Zibetkatze hergestellt. Die Tiere vertilgen eine große Menge von Kaffeekirschen und scheiden die Bohnen aus. Pro 100 Gramm müssen umgerechnet etwa 470 Euro bezahlt werden, weil nur ca. 200 kg pro Jahr produziert werden können, oder so. Et jitt jo nix, wat et nit jitt!
Und manche Rezepte kommen von Gott höchstpersönlich, z.B. im 3. Buch Mose:
„Willst du aber als Speiseopfer etwas im Ofen Gebackenes darbringen, so nimm Kuchen von feinstem Mehl, ungesäuert, mit Öl vermengt, oder ungesäuerte Fladen, mit Öl bestrichen. Ist aber dein Speiseopfer etwas auf der Pfanne Gebackenes, so soll’s von ungesäuertem Mehl sein, mit Öl vermengt und du sollst es in Stücke zerteilen und Öl darauf gießen“.
Und auch das Gelobte Land, in das der Herr die Seinen zu führen versprach, wird mit Gaumenfreuden beschrieben: „...ein Land, darin Weizen, Gerste, Weinstöcke, Feigenbäume und Granatäpfel wachsen, ein Land, darin es Ölbäume und Honig gibt, ein Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt.“
Und einmal, im 2. Buch der Könige, werden wir sogar Zeugen einer echten kochtechnischen Erfindung. Der Prophet Elisa, vormals Elisäus, kommt nach Gilgal: „Da war Hungersnot im Lande. Als die Prophetenjünger vor ihm saßen, sprach er zu seinem Diener: Setze einen großen Topf auf und koche ein Gemüse für die Prophetenjünger! Da ging einer aufs Feld, um Kraut zu sammeln, und fand ein Rankengewächs und pflückte sein Kleid voll mit wilden Gurken. Und als er kam, schnitt er’s in den Topf zum Gemüse – sie kannten es aber nicht – und legte es den Männern zum Essen vor. Als sie nun von dem Gemüse aßen, schrien sie und sprachen: O Mann Gottes, der Tod im Topf! Denn sie konnten’s nicht essen. Er aber sprach: Bringt Mehl her! Und er tat’s in den Topf und sprach: Lege es den Leuten vor, daß sie essen! Da war nichts Böses mehr in dem Topf.“
Er hat also, was man heute noch tut, den bitteren Gurkengeschmack mit Mehl neutralisiert, eine gurkentechnisch gesehen bahnbrechende Erfindung!
Wat ich damit sagen wollte, ist: der Max Liebermann kommt aus einer Tradition, die schon Tausende von Jahren auf den Gaumen geachtet hat, so hat er’s eben auch gehalten. Zum Glück.
Dabei muß er, abgesehen davon, daß er ein guter Gastgeber gewesen sein muß, ein exzellenter und dankbarer Esser gewesen sein, für den es Freude gemacht hat, zu kochen. Ein Esser, wie ihn sich alle Köche – und noch mehr alle Köchinnen – wünschen: einer, der was vom Essen und Kochen versteht, den Künstlern aber nicht dreinredet sondern sich auf das Produkt freut.
 
 
Lesen Sie in der kommenden Woche an dieser Stelle
die zweite Abteilung von Konrad Beikirchers kulinarischen
Max Liebermann-Betrachtungen

Redaktion: Frank Becker