„Wunderliche Fata“ eines Autors Seit 15 Jahren sorgt die Johann-Gottfried-Schnabel-Gesellschaft für die Erforschung des Schnabel-Erbes Wohlgemerkt, die Betonung liegt hier auf „Werk“, denn für den Autor interessierte man sich damals nicht. Selbst Ludwig Tieck, der 1828 eine überarbeitete Neuausgabe veranlaßte und damit den Roman für das Publikum neu entdeckte, machte sich nicht die Mühe, nach dem Urheber dieses bedeutenden Werkes zu suchen. Allerdings schuf Tieck den Titel „Die Insel Felsenburg oder wunderliche Fata einiger Seefahrer“, unter dem der Roman bis heute zitiert wird. Erst um 1880 wird das Pseudonym durch Adolf Stern (Hans Mayer) gelüftet und dahinter Johann Gottfried Schnabel, der Gräflich Stolbergische Kammerdiener und „Hofagent“, entdeckt. Wesentliche Lebensdaten bleiben jedoch bis heute im Dunkeln. Ein geheimnisvoller Autor Was wissen wir also über diesen Autor? Warum Schnabel 1724 mit seiner Familie in die kleine Residenzstadt Stolberg im Harz umzieht und dort Bürgerrechte erwirbt, kann nur vermutet werden; möglicherweise hat er seit seiner Zeit als Feldscher während des Krieges Verbindungen zu einem der Stolberger Grafen und erhofft sich eine Anstellung am Hof. Das gelingt 1729, als er zum Kammerdiener avanciert, später nennt er sich auch „Hofagent“. Aber ob diese Titel wirklich mit einem festen Gehalt verbunden waren? Wohl kaum. Wahrscheinlicher ist, daß Schnabel den Lebensunterhalt für sich und seine Familie hauptsächlich mit Schreiben verdienen muß. Ab 1731 gibt er eine Zeitung heraus, die „Stolbergische Sammlung Neuer und Merckwürdiger
Daneben arbeitet Schnabel an seinem großen Roman „Wunderliche FATA einiger See-Fahrer, absonderlich ALBERTI JULII, eines gebohrnen Sachsens,........“, dessen erster Band 1731 in Nordhausen unter dem Pseudonym „Gisander“ erscheint. Der 2. Band folgt 1732, der 3. 1736 und der 4. und letzte Band erscheint 1743. Bis 1772 erlebt das Werk 26 Auflagen. 1732 verfaßt er einen Bericht über den Zug der protestantischen Salzburger Emigranten durch Stolberg, 1736 publiziert er eine Biographie über den Prinzen Eugen von Savoyen. 1738 erscheint anonym sein zweiter Roman „Der im Irr-Garten der Liebe herumtaumelnde CAVALIER“. Im selben Jahr stirbt Schnabels Gönner, Graf Christoph Friedrich zu Stolberg-Stolberg (*1672). Für den Autor der Insel Felsenburg zeichnet sich eine Krise ab, die 1744 in einer Katastrophe endet, als er aus seiner Unterkunft geworfen wird und buchstäblich mittellos auf der Straße steht. In dem einzigen bisher bekannten eigenhändigen Brief vom 2. April 1744 an Graf Christoph Ludwig zu Stolberg-Stolberg beklagt Schnabel seine verzweifelte Situation. 1750 wird in Frankfurt und Leipzig der höchstwahrscheinlich letzte Roman Schnabels, wieder unter dem Pseudonym „Gisander“, veröffentlicht „Der aus dem Mond gefallene und nachhero zur Sonne des Glücks gestiegene Printz etc.“. Danach verliert sich „Herrn Schnabels Spur“. Wiederentdeckung im 20. Jahrhundert Im 20. Jahrhundert droht Johann Gottfried Schnabel erneut in Vergessenheit zu geraten, denn anders ist kaum erklären, warum sich Arno Schmidt (1914 – 1979) veranlaßt sieht, die „Insel Felsenburg“ und ihren Autor ein weiteres mal für die Leser zu entdecken. In einem seiner Funk=Essays von 1956 macht er auf die „Wunderliche(n) Fata...“ aufmerksam, ein Werk, das „nach dem ‚Simplizissimus’ wieder ... der erste deutsche Roman von globaler Wirkung ist“. Arno Schmidt ist es auch, der 1992, 13 Jahre nach seinem Tode, bei der Gründung der Johann-Gottfried-Schnabel-Gesellschaft am 300. Geburtstag des Autors in Stolberg (Harz), Pate steht - jedenfalls für die bundesrepublikanischen Schnabelfreunde. In Stolberg selber war dessen bedeutender Bürger zu DDR-Zeiten vergessen, aber spätestens seit Peter Gugisch 1966 „Die Insel Felsenburg“ in Leipzig herausgegeben hatte, gab es auch in der DDR einen Kreis von Schnabelforschern. Seit 15 Jahren sorgt die „Johann-Gottfried-Schnabel-Gesellschaft“ und insbesondere ihr rühriger Vorsitzender Gerd Schubert dafür, dass dieses Ziel nicht aus den Augen verloren wird. Und es sind Erfolge zu verzeichnen: Bedeutungsvoll in wissenschaftlicher Hinsicht ist der wiedergefundene eigenhändige Brief Schnabels von 1744 (s.o.) und das gerettete Stolberger „Bürgereidbuch“, in dem 1724 die Aufnahme Schnabels in die Stolberger Bürgerschaft dokumentiert ist. Über alle Aktivitäten der literarischen Gesellschaft berichten die sorgfältig redigierten „Schnabeliana“; darin sind u.a. die Vorträge nachzulesen, die auf den wissenschaftlichen Tagungen gehalten werden. Entgegen anfänglicher Unkenrufe liegen bereits acht Bände vor, der neunte wird demnächst erscheinen. Und darüber hinaus wird „Die Insel Felsenburg“ auch künftig für genügend Diskussionsstoff und immer neue Interpretationsansätze sorgen. Die Johann-Gottfried-Schabel-Gesellschaft wird sich wie bisher diesen Fragen stellen und so darauf achten, daß weder Werk noch Autor je wieder vergessen werden.
Literatur: Hans Mayer: Die alte und die neue epische Form: Johann Gottfried Schnabels Romane, in: Johann Gottfried Schnabel: die Insel Felsenburg. Nach der 1966 von Peter Gugisch hrsg. Ausg. - Frankfurt, M.: Insel-Verl. 1988 (Insel Taschenbuch 953) Arno Schmidt: Herrn Schnabels Spur. Vom Gesetz der Tristaniten, in: Arno Schmidt: Nichts ist mir zu klein. Funk=Essays, Bd. 1. - Frankfurt, M.. Fischer Taschenbuchverl. 1998.
© 2007 Friedrike Hagemeyer für Musenblätter Redaktion: Frank Becker |