„Jong, hau rein in dat schwatt-wiet-Gedreten!“

Zur Erinnerung an Bernd Köppen (1951-2014)

von Frank Becker

Foto © Karl-Heinz Krauskopf
„Jong, hau rein in dat schwatt-wiet-Gedreten!“
Zur Erinnerung an Bernd Köppen
(4.9.1951 - 9.12.2014)
 
Rückblick: Immanuelskirche, Freitag, 28.9.2001 - ein Ensemble hochkarätiger Musiker hat sich zu einem ganz besonderen Konzert um den Wuppertaler Pianisten Bernd Köppen geschart, es gilt, dessen 50. Geburtstag zu feiern – „unErhört goes out!“ steht auf dem Programmzettel, denn Köppens innovative Konzertreihe findet ja sonst in der Neuen Kirche in der Sophienstraße statt.
Am 4.9.1951 in Wuppertal geboren, ist Köppen in den 48 Jahren seines Musikerlebens ein Teil der Kultur seiner Heimatstadt geworden. Schon mit 14 Jahren durfte er das Studium von Klavier und Komposition am Landeskonservatorium Wuppertal aufnehmen, der erst 16-jährige wurde von Dieter Fränzel unter die Fittiche genommen und in den späten 60ern an die internationale Jazz-Szene herangeführt. Es waren die legendären „Impuls“-Zeiten am Viehhof, in denen der Free Jazz aus Wuppertal in die Welt wehte und „die Stücke noch 1 ¼ Stunden dauerten und zu heftigen Diskussionen führten“, erinnerte sich Köppen schmunzelnd. Auch mit den Nachbarn lag man stets im Streit wegen der Lautstärke. Als sich einmal ein massiger Fleischer von nebenan nachts neben seinem Klavier aufbaute und stumm die zwanzig Minuten der Nummer abwartete, sah der junge Musiker gute Chancen für eine Tracht Prügel. Was aber kam, war die trockene Aufforderung des Wuppertaler Gemütsmenschen: „Jong, hau rein in dat schwatt-wiet-Gedreten!“.

Das tat er. In den 70er Jahren klapperte er mit Trios die Jazzfestivals Europas ab, fand Weggefährten wie Uli Weiche und Gerd Dudek, in den 80ern Heinz Becker und Theo Jörgensmann, später Andreas Bär. Stets als Freund an seiner Seite der Maler Gerd Hanebeck. Köppen sah sich von Thelonius Monk, Charles Mingus und Anton Webern geprägt und prägt seinerseits. „Alles, was ich über Musik weiß und kann, habe ich von Bernd Köppen“, wird Tom Tykwer zitiert. Köppen mied Einseitigkeit – „die wäre der Tod meiner Arbeit“. Und er beherzigte einen Grundsatz: „Spiritualität in der Musik und Wahrhaftigkeit im täglichen Leben sind von entscheidender Bedeutung.“
Bernd Köppen lebte mit seiner Familie am Rande des Briller Viertels. Zu Hause kochte der Pianist selbst und wußte einen Bordeaux und Riesling zu schätzen. Köppen schmunzelnd: „Boshafte Zungen behaupten, viele Musiker spielen nur mit mir, weil ich so gut koche.“ Seit dem LP-Debüt mit „Hahneköppen“ (vergriffen und gesucht) sind 46 Jahre vergangen. 1986 entstand die Langspielplatte Theo Jörgensmann / Bernd Köppen ‎– Für Den Letzten Gast“. Seinen „Steinway“ berührte der Musiker gedankenvoll, ja zärtlich. Zum Notenpapier und dem Bleistift ist im Lauf der Jahre der Computer gekommen - „Landscapes“ war eine seiner bekanntesten CD-Veröffentlichungen, ein spannendes Solo-Album, ebenso wie sein Solo „Märchenerzählungen“. In der New Yorker St. Peter´s Church spielte er mit dem Bassisten Joe Fonda und Lou Grassi (dr). Die Wuppertaler Sophienkirche, nur einen Steinwurf von zu Hause, wurde Bernd Köppens musikalische Heimat. Die dort von ihm installierte Reihe „unErhört“ wurde eine weit über die Grenzen des Landes bekannte Institution, bei der u.v.a. Limpe Fuchs und jüngst „das Kwartett“ auftraten. Im Duo „KöppenBär“ mit dem Saxophonisten Andreas Bär fand er neue Musikwege. Die Musikreihe ist sein Vermächtnis. Kann „unErhört“ auch ohne Bernd Köppen weitergehen?
 
Noch ein Blick zurück: Lange Nacht der zeitgenössischen Kammermusik 2003
 
Wuppertal – Zu einem Kammerkonzert ganz besonderer Güte hatte die Neue Reformierte Kirche Sophienstraße im Rahmen der Kammermusikreihe „unErhört“ gebeten. Das Programm aus Werken von Jay Schwartz, György Ligeti, Manfred Niehaus und Arnold Schönberg und die Liste der Mitwirkenden von Bernd Köppen (Klavier), über das Streichquintett des Ensembles 5356 bis zu den heimlichen Stars des Abends, der Cello Klasse Joseph Hasten von der Musikschule Tübingen, waren so attraktiv, daß der Veranstaltungssaal restlos gefüllt war.
 
Es wurde ein für einen Kammermusikabend ungewöhnlich umfangreiches Konzert von mehr als zweieinhalb Stunden Länge – doch in keinem einzigen Moment zu lang. Zwei Werke -Klanginstallationen - des in Köln lebenden amerikanischen Komponisten Jay Schwartz bildeten die aufregende Klammer um diesen Abend der Sonderklasse - dazu gleich. Drei Stücken bildeten den Mittelteil. György Ligetis Sonate für Viola solo wurde von Lila Brown nach einer aufschlußreichen Einführung aufgeführt. Sie beherrschte die mal langsam und melancholisch oder wehmütig im Volkston, mal jazzig im Ton der Country-Fiddle, dann „einfach tierisch schnell“ (O-Ton Brown) oder im Satz „Klage“ mit Aufschrei, Stille und Weinen erklingenden Stimmungen der sechs Sätze virtuos. Zwölf kleine Tangos für Violine und Piano von Manfred Niehaus wurden anschließend von Werner Dickel und dem Pianisten Bernd Köppen im temperamentvollen, mitunter versonnenen Miteinander sensibel interpretiert. Ein hoch komplexes Unterfangen, ein fein ziseliertes Intermezzo voller kleiner Anspielungen – eine Komposition von Weill´schem Format. Arnold Schönbergs Trio op. 45 aus dem Jahr 1946, ein Auftragswerk der Harvard University, schloß den Mittelteil. Von hoher technischer Anforderung an die Interpreten Werner Dickel (Violine), Lila Brown (Viola) und Susanne Müller-Hornbach (Cello) ist es eines der schwierigsten Stücke seines Genres, eine Komposition von höchster Meisterschaft. Die Interpreten wurden ihm in jeder Phase mit Brillanz gerecht.


Foto © Karl-Heinz Krauskopf
 
Zum unvergeßlichen Erlebnis wurde die Aufführung der beiden den Rahmen bildenden Werke des 38-jährigen Amerikaners Jay Schwartz, der bei der Aufführung zugegen war. Der seit 1995 in Köln lebende Komponist und Dozent wurde im Jahre 2000 mit dem Bernd-Alois-Zimmermann-Preis der rheinischen Stadt ausgezeichnet. Seit einigen Jahren hat er sich auf Raum-Klang-Installationen spezialisiert, die er für räumlich angeordnete Ensembles schreibt, wobei die Plazierung des Publikums von hoher Bedeutung ist. In „music for 12 celli“ bilden die zwölf Instrumente einen weiten Kreis um das Auditorium. Im abgedunkelten Raum geben nur die Pultlampen mit mattem Schein die Position der Musiker an, beleuchten zwölf junge, gesammelte Gesichter. Leise, noch von einem Auto draußen übertönt, dann langsam anschwellend begibt sich ein gleichmäßig ästhetischer Ton im Uhrzeigersinn auf die Runde von Instrument zu Instrument. Der Hörer sitzt im Inneren dieser Kreisbahn, ist eingeschlossen und gefangen – gefangen von Klang und Faszination. Ein durchgängiger Baßton unterlegt den kreisenden Ring, der sich zu unerhörten Klängen aufschwingt. Bei geschlossenen Augen entsteht die Illusion des Dröhnens einer viermotorigen Super Constellation, noch übertönt von Luftschutzsirenen, bis der Baßton abbricht, der Sirenenton stehen bleibt, sich vereinzelt und verebbt, bis sich die Musik in das Nichts zurück zieht, aus dem sie gekommen ist. Ein 25 Minuten währender meditativer Zustand wird erreicht, ein mit langem Applaus belohntes beglückendes Erlebnis, vermittelt durch zwölf Schüler der Cello Klasse Joseph Hasten, Tübingen.
 
„music for 17 stringed instruments“ bildete die abschließende Klammer. Auf den Außenring folgte nun ein enger zweifacher Ring im Zentrum des Auditoriums. Der Vorgang wiederholt sich: Licht aus – Pultbeleuchtung an. Mit den Rücken zueinander sitzen die zwölf jungen Cellisten, in ihrem Zentrum steht der Bassist Jörg Schade. Den äußeren Ring bilden Carolin Pook (Violine) und die übrigen bereits genannten Solisten des Ensembles 5356 in den vier Himmelsrichtungen, dem inneren Kreis zugewandt. Wieder entsteht ein in mitreißenden Wogen wellenförmig anschwellender „Kreiston“, ein - an den versunkenen Mienen der förmlich abgehoben spielenden Musiker abzulesen - auch für sie beglückendes Erleben. Von der eigenen Musik eingeschlossen, schicken sie nach außen Töne von enormer Sogwirkung – rauschhaft. Schwartz läßt wieder organisch Klang aus dem Nichts entstehen und vergehen. Es ist Musik wie ein Gottesdienst. Zeugnis von der Qualität und der Begeisterung des Publikums legte der jubelnde Applaus ab.
 
Bernd Köppen, dem diese Rückschau auf einen Ausschnitt seines Lebens gewidmet ist, und den J.E. Berendt „Einen der wichtigen freien Pianisten Europas“ nannte (J.E. Berendt: das große Jazzbuch), ist am 9. Dezember gestorben. Er wird mir und allen die ihn kennen als das in Erinnerung bleiben, was er war: ein richtig feiner Kerl.
 
Die Beerdigung findet am 18. Dezember, 11.00 Uhr, von der Kirche der Niederländisch-reformierten Gemeinde Wuppertal, Katernberger Str. 61 aus statt. - Die Konzertreihe „unErhört“ verabschiedet sich um 19.30 Uhr in der Neuen Kirche, Sophienstr. 39, mit einem kleinen Konzert.