Vom guten Essen in guter Gesellschaft (6)

Lukullische Abschweifungen

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Vom guten Essen in guter Gesellschaft (6)
Lukullische Abschweifungen

 

Zum Abschluß meiner lukullischen Abschweifungen möchte ich zu einem kleinen Kapitelchen Humor kommen, Humor in der deutschen Gourmet-Geschichte. Dazu darf man schon sagen, daß wir Deutsche nicht wirklich durch Gaumenfreuden und Humor in der Welt glänzen. Bei uns fristen die Sinnenfreude und der Humor ein eher verstecktes Dasein – ich meine: Sinnenfreude und Humor. Weil: Exzesse und Häme, davon haben wir ze basch! Wir sind keine kontrollierten Spiegeltrinker wie der Franzose, der für einen Romanée Conti bereit ist, seine Familie zu verkaufen um an eine zweite Flasche dran zu kommen, wir schlagen direkt zu, Hauptsache es haut rein und zeigt Wirkung. Ich meine: wir haben das Koma-Trinken erfunden und das nicht etwa in den letzten Jahren sondern schon im 19. Jahrhundert in Kreisen der schlagenden Verbindungen! Es gibt aber dennoch auch bei uns dieses zarte Pflänzchen der Sinnenfreude und des Humors und sie wächst, da gebe ich die Hoffnung nicht auf, trotz aller Stefan Raabs, Ingo Appelts oder Oliver Kalkofes.
Der Max Liebermann war ja auch so einer, manchmal ein bißchen drastisch, aber nie bösartig und immer geschmackvoll.
 
Die Tafelspitz – Probleme
 
Waren Sie mal im Sacher in Wien? Oder im Schloß Aigen in Salzburg? Haben Sie da die Spezialitäten des Hauses genossen: Rindfleisch in jeder Form? Ja? Dann brauchen Sie jetzt nicht mehr weiter zu lesen, denn Sie wissen, worüber ich berichte: über das, was danach passiert.
Da sitzt dann die feine Gesellschaft nach dem Essen noch locker beisammen, man plaudert, aber keiner hört dem anderen richtig zu, weil jeder nur noch ein Problem hat: wie bekomme ich Fleischfasern aus meinen Zahnlücken wieder raus? Jetzt Augen auf und einfach nur schauen, was geschieht.
Da gibt es die Toilettengänger: mit verzerrtem Gesicht stehen sie auf und verschwinden in Richtung Diskretion. Dort aber stehen sie in Viererreihen vor dem Spiegel, pulen mit beiden Händen im weit aufgerissenen Mund herum, spucken oder schmieren die Reste an die Wand und benehmen sich überhaupt sehr mittelalterlich.
 
Nach dieser Erleichterung kehrt der Toilettenjünger als Sieger an den Tisch zurück. Er weiß: das, worunter die noch leiden, hat er hinter sich. Nicht ohne Infamie vestrickt er sie nun in besonders anregende Gespräche, um sich an ihren Qualen weiden zu können.
Dann gibt es die Vorsorglichen. sie verfügen über einen privaten Stocherkiel im Silberetui. Feinste Gans, zugespitzt, mit Silberfassung von Cartier (der Brite gibt Bambus den Vorzug, um zu suggerieren, er habe sich aus der Kolonialzeit immerhin noch ein Tigergebiß gerettet).So gestylt darf gestochert werden. Elegant führen sie das Gerät zwischen die geschlossenen Lippen, ein kurzes „Zuzeln“, fertig ist der Fall. Hier gehen Luxus, Design und Notwendigkeit eine kokett-dezente Verbindung ein.
Die Fingerlinge sind ebenfalls eine Gruppe für sich: mit dem Zeigefinger oder dem kleinen Finger (es soll Gourmets geben, die nur deshalb den Nagel am kleinen Finger lang tragen) wird gepult, gestochert, gebohrt und geschabt, daß es eine Freude ist. Herrlich die Beidhänder: mit der rechten Hand pulen sie, was das Zeug hält, mit der linken versuchen sie, die Mundöffnung zu verdecken. Wie verzweifelt die Augen über den Rand der linken Hand schauen! Wie unterschiedlich Zäpfchen gebaut sein können! Filmreife Klein-Dramolette, eines Bunuel würdig.
Und es gibt die Biederen: sie verlangen nach einem Zahnstocher und beweisen damit, daß sie nur zufällig in einen dieser Rindfleischtempel geraten sein können. Nachsichtig bringt man ihnen das Verlangte und die Rechnung gleich mit.
Wie angenehm ist das Leben des Gebißträgers! Er ißt, was er kann, verschwindet dann im Klo, wartet dort einen unbeobachteten Augenblick ab und schwupp! Zähne raus, unters Wasser gehalten und schwupp! Zähne rein, fertig ist die Laube. Das ist Fortschritt und Eleganz. Das ist die Überlegenheit des Alters und der Erfahrung. Das ist Freiheit! Und das ist der Grund, warum insbesondere der ältere Mensch immer mehr zum Rindfleischkenner wird.
 
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher
 
 
 ©  2014 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker