Der Spott der kleinen Dinge

Die Motten

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Die Motten
 
Neulich habe ich die Gefahr der Schönheit erkannt. Ich wollte im Drogeriemarkt Mottenpapier kaufen. Ich durchschaue die Ordnung von Drogeriemärkten nicht. Eine Verkäuferin, die ein Brillengestell mit Brillant-Imitaten trug, wies mir den Weg, blieb aber, wo sie war. Ich verlief mich. Erst stand ich vor Strümpfen mit Stützeffekt, im Gang dahinter traf ich auf Klosteine mit Pfirsichgeschmack.
   »Hier, junger Mann!«, rief die Frau mit der Brillantenbrille im Ton einer Kindergärtnerin, die es gewohnt ist, daß ihre Kundschaft alles verkehrt macht. Ich dachte: »Wer dich junger Mann nennt, dem helfen auch Brillanten nicht«, und folgte ihrem Ruf. »Das ist die Hausmarke«, sagte die Frau und drückte mir Mottenpapier in die Hand. »Aber wenn Sie etwas Besonderes wollen …«, sie machte eine theatralische Pause, »dann nehmen Sie den Insektenvernichter mit Dekor-Effekt.« Ich bat um Bedenkzeit, sie ging müde zu den Windeln.
   Der Dekor-Effekt ist ein Schmetterling. Ich betrachtete den vergifteten Falter. Eine Greisin rammte mit dem Einkaufswagen meinen linken Oberschenkel. Da verstand ich: Der Schädling sieht einen Schmetterling. Für eine Motte ist er der Größte: Motten sind zwar auch Schmetterlinge, aber niemand sieht es ihnen an. Und dann wartet auf dich dieses sexy Teil: groß und stolz und schön. Als Motte denkst du: »Verdammt, das darf doch nicht wahr sein!« Ist es auch nicht. Es ist dein Ende.
   Ich fragte mich, warum wir zu selten erkennen, was uns schadet. Ich dachte an lächerliche Promi-Paare, an Frauen, die einen »junger Mann« nennen, aber auch, daß der Papst sich kürzlich bei Horst Seehofer erkundigt hat, ob die Piraten Bayern bedrohen. Tränen traten mir in die Augen, ich stellte den Tod zurück und suchte etwas Unverbindliches wie Gefrierbeutel. Die Frau mit der Brillantbrille rief Richtung Kasse: »Gitti, ich mach jetzt Mittag!« Die Greisin legte Drei-Wetter-Taft aufs Band. Auf der Dose erkannte ich Heidi Klum. Manche Dinge sind zu schön, um wahr zu sein.
 
 
 
© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.
Ab heute jeden Sonntag in den Musenblättern.