Literarische Sternstunden

Franz Hohler – „Der Autostopper“ - Die kurzen Erzählungen

von Frank Becker

Am Ende eines jeden ganz
normalen Tages zu lesen
 
 
Gerechtigkeit wird es niemals geben.
Umso wichtiger, daß es Gerechte gibt.
(Franz Hohler)
 
Mit Verlaub: dieses Buch gehört nicht unter den Weihnachtsbaum! Zumindest nicht unter den eigenen. Es sind ja noch sechs Wochen bis dahin! Wer möchte, nachdem es nun einmal in der Welt ist, schließlich so lange darauf warten, das kompakte Gesamtwerk der kurzen Erzählungen Franz Hohlers aus den letzten 40 Jahren endlich in Händen zu halten? „Der Autostopper“ eine Erzählung aus dem Band „Die blaue Amsel“ (1995) gibt dem 764 Seiten starken Buch, das Hohlers ganze literarische und sprachliche Bandbreite demonstriert, den Titel. Liebesgeschichten stecken darin, heitere, moralische, melancholische Erzählungen, Alltagsbeobachttungen, Skurriles und Anrührendes. Wie schwer mag es Franz Hohler wohl gefallen sein, einen einzigen der etwa 260 Titel, die für dieses wunderbare Buch zusammengestellt worden sind, auszuwählen?
So wie man ihn kennt, vielleicht doch nicht allzu sehr, denn genau diese Geschichte gehört zu seinen Favoriten aus seinem Lieblingsrepertoire bei Bühnen-Auftritten:
 
Der Autostopper
 
Der Teufel machte einmal außerhalb von Bellinzona Autostop, aber niemand wollte einen Typ mit Hörnern und einem Dreizack mitnehmen. Endlich, es ging schon gegen Abend, hielt ein Amerikanerwagen an, und der Fahrer, ein jüngerer Mann mit langen Haaren und sanften Augen, hieß den Teufel einsteigen. Dieser setzte sich neben den Fahrer und gab als Reiseziel Rom an. Dorthin fahre er auch, sagte der sanfte Langhaarige und lächelte dem Autostopper zu. Dieser schaute den Fahrer immer wieder an und fragte ihn schließlich: „Kennen wir uns nicht von irgendwoher?“ „Ich glaube, wir haben uns zuletzt in der Wüste gesehen“, sagte der und hob freundlich seine durchlöcherte Hand. „Und was willst du in Rom?“ fragte der Teufel. „Den Papst erschrecken“, sagte der Fahrer, „der glaubt doch schon lang nicht mehr an mich.“ „Darf ich mitkommen?“ fragte der Teufel. „Aber gern“, sagte der Fahrer, „zusammen sind wir stärker.“ Beide lachten, und Jesus gab Gas. 
 
Jedes Mal trägt Franz Hohler, der seit Jahrzehnten zu den liebenswertesten Menschen der Literatur- und Kabarettszene zählt, diese wie alle seine anderen Geschichten mit dem gleichen freundlichen Humor vor. Was mir das Stichwort gibt: bitte, liebe künftige Leser, hören Sie sich vor der eigenen Lektüre zunächst einmal Franz Hohler von Schallplatte, CD oder auf einer der Internet-Plattformen an, die in großer Zahl abgerufen werden können. Er trägt nämlich seine Texte am besten vor, und mit seiner Stimme im Ohr ist der Genuß wenigstens verdoppelt.
Wer nun also Hohlers „Idyllen“, „Wo?“, „Ein eigenartiger Tag“, „Der Mann auf der Insel“, „Da, wo ich wohne“, „Die blaue Amsel“, „Zur Mündung“ und „Das Ende eines ganz normalen Tages“ im Regal hat, kann den ganzen Schwung zum Antiquar tragen und durch diese Prachtausgabe ersetzen. Aber Obacht! Nicht gleich alles von Hohler ausräumen, denn z.B. seine „Wegwerfgeschichten“, „Wanderungen“, die „Einseitigen Geschichten“ und vieles andere mehr sind im neuen Sammelband nicht erfaßt.
Schenken Sie sich dies köstliche Buch selbst und zwar sofort. Und bestellen Sie bei ihrem Buchhändler gleich noch ein oder zwei Exemplare mehr. Die dürfen Sie dann für Ihre Lieben oder Ihre besten Freunde doch unter den Weihnachtsbaum legen.
 
Das Ziel
 
„Zur Uni, bitte.“
„Uni-Spital?“ fragte der Taxifahrer.
„Nein“, sagte ich aufatmend, „nur Uni.“

 
Franz Hohler – „Der Autostopper“ - Die kurzen Erzählungen
Mit einem Nachwort von Beatrice von Matt
© 2014 Luchterhand Literaturverlag, 764 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag und Lesebändchen  -  ISBN 978-3-630-87456-2
19,99 € [D] | 20,60 [A] € | 28,50 sFr
Alle
Musenblätter-Beiträge über Franz Hohler  → hier.
 
Weitere Informationen:  www.luchterhand-verlag.de