Opern-Skandal in Wuppertal

Gibt Toshiyuki Kamioka sein eben erst angetretenes Amt auf?

von Frank Becker / Michael S. Zerban / Peter Bilsing

Toshiyuki Kamioka - Foto © Frank Becker
Opern-Skandal in Wuppertal
 
Die Westdeutsche Zeitung machte am Donnerstagmorgen für Wuppertal mit der Schlagzeile „Kamioka verlässt Wuppertal“ auf und zitierte dazu u.a. Peter Jung, den Oberbürgermeister der Bergischen Stadt, einen erklärten Fan und energischen Förderer Toshiyuki Kamiokas, des Opernintendanten und Generalmusikdirektors in Personalunion. Das WDR-Studio Wuppertal griff am Abend in seiner „Lokalzeit“ das Thema als Tatsache auf. Die Reaktion des derzeit in Japan weilenden Musikers ließ nicht lange auf sich warten – in einer Pressemeldung (unten im Wortlaut wiedergegeben) dementiert Toshiyuki Kamioka, ihr jedoch gleichzeitig Nahrung gebend, die Meldung.
Der Skandal ist da. Wie will sich Kamioka noch in dieser Stadt behaupten, die ihr einst großartiges Schauspiel willfährig zugunsten seines zweifelhaften Opernkonzepts auf provinzielles Maß geschrumpft hat? Wie will er sein eben erst angetretenes und jetzt nachhaltig beschädigtes Amt noch bis 2016 gewissenhaft ausfüllen und am Pult eines Orchesters stehen, aus dem ihm mittlerweile ein kräftiger Gegenwind ins Gesicht bläst? Diesen Fragen muß sich nicht nur Toshiyuki Kamioka selbst stellen. Hier steht ebenso die verfahrene Kulturpolitik der Stadt Wuppertal an einem schwindelerregenden Abgrund.
Lesen Sie dazu auch die Kommentare von Michael S. Zerban (Opernnetz) und Peter Bilsing (Der Opernfreund).
 
„Stellungnahme von Toshiyuki Kamioka zu den heutigen Meldungen“

Opernintendant und GMD Toshiyuki Kamioka dementiert die heute (13.11.14, Anm. d. Red.) publizierte Nachricht, er gebe bereits 2016 sämtliche seiner Ämter an den Wuppertaler Bühnen und beim Sinfonieorchester auf:

„Ich bin sehr betroffen über diese Meldung, deren Urheberschaft ich nicht nachvollziehen kann. Es spricht aber für sich, dass diese gerade an einem Tag, an dem das gesamte Orchester und ich sich auf einer Gastspielreise im Ausland befinden, publiziert wird.“

Kamioka hatte vor einigen Tagen ein vertrauliches Hintergrundgespräch mit Oberbürgermeister Jung, Stadtdirektor Dr. Slawig und dem Kaufm. Direktor der Wuppertaler Bühnen, Schaarwächter, geführt. Dabei ging es auch um seine Zukunftsperspektiven und mögliche Änderungen bei Ämtern, die er vertraglich innehat. Keineswegs aber hätte dieses Gespräch zur Annahme führen können, er, Kamioka, „schmeisse den Bettel hin“. Bei solch langfristigen Verträgen, wie er sie habe, sei es völlig normal, dass man in interner Runde über Anpassungen und Änderungen spreche. „Ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass aus dieser vertraulichen Runde Informationen oder Gerüchte an die Medien gegangen sind, die zu der jetzt publizierten Meldung geführt haben.“ Am 19.11. d.J. soll im Aufsichtsrat weiter gesprochen werden.

Einen angeblichen Streit mit dem Orchester dementiert er mit allem Nachdruck:  “Es gibt keinen Streit! - Atmosphärische Störungen kommen immer mal wieder bei der Zusammenarbeit in unserem Bereich vor. Dies wäre sicher kein Grund für mich, meinen Vertrag als Chefdirigent überstürzt auflösen zu wollen“, sagt Kamioka. 

Betreffend seine Zukunft als Opernintendant sagt er:  “Zusätzlich zu meiner Doppelbelastung in Wuppertal kommen immer mehr Anfragen als Dirigent, insbesondere aus Japan. Insofern muss ich darüber nachdenken dürfen, ob ich meinen Verpflichtungen als Opernintendant langfristig genügen kann. Auf jeden Fall werde ich diese über volle zwei Spielzeiten erfüllen. Dann muss man sehen.“  

Kamioka weiter: „Wir haben bereits jetzt die Spielzeit 2015/16 größtenteils durchgeplant. Ich habe ein großartiges Team, und die beiden bisherigen Produktionen (Tosca und Don Giovanni) geben mir die größte Hoffnung, dass das neue Konzept (der Spielbetrieb im Blocksystem statt wie bisher verteilt über die Spielzeit) voll aufgeht. Standing ovations bei allen bisherigen Vorstellungen unserer Neuproduktionen sind ein untrügliches Zeichen, dass die szenische, sängerische und musikalische Qualität beim Publikum bestens ankommt. Auch wenn ich nicht alle geplanten Projekte durchsetzen konnte, bin ich überzeugt, dass sich am Ende dieses Konzept auch wirtschaftlich durchsetzen wird.“
 
 
Michael S. Zerban schreibt dazu in "Opernnetz":
 
Peinlicher Abgang
 
Opernintendant Toshiyuki Kamioka hat seinen Chefsessel noch nicht angewärmt, da verkündet die Lokalausgabe Wuppertal der Westdeutschen Zeitung heute, dass der Generalmusikdirektor in Personalunion sich 2016 in die Heimat verabschiedet. Kamioka ließ ein Dementi umgehend in einer Pressemitteilung folgen. Die Kultur in Wuppertal schliddert der nächsten Peinlichkeit entgegen.
 
Gleich zu Beginn seiner Opernintendanz hat der Musiker Toshiyuki Kamioka erst mal viel Porzellan zerschlagen. Unvergessen, wie er den Begriff Ensemble neu definieren ließ, um der Wuppertaler Bürgerschaft mitzuteilen, dass sie mit seinem Amtsantritt ihr Opern-Ensemble los ist. Nun, gerade mal zwei Produktionen später, die nicht die Hälfte von dem hielten, was Kamioka großmundig versprochen hatte, folgt der nächste Paukenschlag.
 
Am Donnerstag, 13. November, verkündet Lokalreporter Lothar Leuschen in der Wuppertaler Lokalausgabe der WZ, dass Kamioka im Juli 2016 Oper und Sinfonieorchester der Stadt den Rücken kehren werde. In großer Aufmachung wird dort auch Oberbürgermeister Peter Jung zitiert: „Es ist traurig, dass er uns verlässt. Aber für uns geht es nun darum, bis Mitte 2016 einen Dirigenten zu finden.“ Bis dahin ist das unerfreulich, aber aller Ehren wert, wenn ein Mensch erkennt, dass er den gestellten Aufgaben nicht gewachsen ist und seinen Posten deshalb vorzeitig zur Verfügung stellt.
 
Dann aber die große Überraschung. Der Opernintendant und Generalmusikdirektor lässt eine Pressemitteilung verschicken, in der er, na ja, so eine Art Dementi abgibt. Ob da die Kommunikation mit seinem Dienstherrn nicht so ganz funktioniert hat, lässt sich von hier aus nicht feststellen, aber Kamioka eröffnet mit einer reichlich erstaunlichen Feststellung. „ Ich bin sehr betroffen über diese Meldung, deren Urheberschaft ich nicht nachvollziehen kann. Es spricht aber für sich, dass diese gerade an einem Tag, an dem das gesamte Orchester und ich sich auf einer Gastspielreise im Ausland befinden, publiziert wird.“ Nanu? Er will gar nicht gehen, wittert gar Verschwörung. Nach Kamiokas Angaben habe es vor einigen Tagen ein „vertrauliches Hintergrundgespräch“ mit Oberbürgermeister Jung, dem Stadtdirektor Johannes Slawig und dem Kaufmännischen Direktor der Wuppertaler Bühnen, Enno Schaarwächter, gegeben. Es sei, schreibt Kamioka weiter, bei solch langen Verträgen, wie er sie abschließe, in Wuppertal bis 2019, völlig normal, dass man in interner Runde über Anpassungen und Änderungen spreche. Dass er da vielleicht etwas falsch verstanden hat, wird deutlich, wenn er sich zitieren lässt: „Ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass aus dieser vertraulichen Runde Informationen oder Gerüchte an die Medien gegangen sind, die zu der jetzt publizierten Meldung geführt haben.“ Ob er sich das vorstellen kann oder nicht: Oberbürgermeister Peter Jung gehört unserer Erfahrung nach nicht zu denjenigen, die sich besonders gern interviewen lassen, so lange sie nicht selbst etwas zu verkünden haben. Und der bedauert nun in der Lokalzeitung den vorgezogenen Abschied. Besser kann man den Leiter der Oper und des Sinfonieorchesters nicht abservieren.
 
Leuschen sieht in seinem Artikel den Grund für Kamiokas verfrühten Abschied in einem Streit mit dem Orchester. Der sei ausgebrochen, weil etliche Musiker eine Gastspielreise ins strahlenverseuchte Japan nicht antreten wollten. In einer internen Abstimmung seien die Skeptiker knapp unterlegen und hätten daraufhin einen Strahlenexperten bemüht, um die „Gefährlichkeit der Reise zu untermauern“. Fest steht: Die Reise wurde abgesagt, Kamioka flog allein nach Japan. „Es gibt keinen Streit! – Atmosphärische Störungen kommen immer mal wieder bei der Zusammenarbeit in unserem Bereich vor. Dies wäre sicher kein Grund für mich, meinen Vertrag als Chefdirigent überstürzt auflösen zu wollen“, wiegelt hingegen der Musiker ab. Um sich gleich darauf vollends in die Nesseln zu setzen. „Zusätzlich zu meiner Doppelbelastung in Wuppertal kommen immer mehr Anfragen als Dirigent, insbesondere aus Japan. Insofern muss ich darüber nachdenken dürfen, ob ich meinen Verpflichtungen als Opernintendant langfristig genügen kann. Auf jeden Fall werde ich diese über volle zwei Spielzeiten erfüllen. Dann muss man sehen“, erklärt Toshiyuki Kamioka in aller Öffentlichkeit.   Wer will denn allen Ernstes einen Intendanten, der sich mehr für Dirigier-Anfragen interessiert als für das Wohlergehen einer Oper, der er zuvor ein fragwürdiges Konzept übergestülpt hat?
 
Damit dürfte er die ohnehin schon angeschlagene Oper weiter ins Schlingern gebracht haben. Dass der Dirigent, der im Vorfeld nur allzu gern bei den Mauscheleien der Stadtpolitik mitgemischt hat, denen nun selbst zum Opfer fällt, ruft vermutlich kein allzu großes Mitleid hervor. Schlimmer ist die Befürchtung, dass er damit verbrannte Erde zurücklässt, die von den kürzungswütigen Kulturgegnern nur allzu gern genutzt werden wird, um Oper und Orchester weiter zuzusetzen. Ob sich Kamioka selbst überhaupt noch bis zum übernächsten Jahr wird halten lassen, muss man sehen. Die Autorität von Obrigkeiten, deren Abschied ausgemacht ist, lässt bisweilen bekanntlich sehr zu wünschen übrig.
 
Michael S. Zerban, 13.11.2014
 
 
Peter Bilsing von "Der Opernfreund" kommentiert:
 
Wuppertaler Oper auf Kamikaze-Kurs

Opernintendant und GMD Toshiyuki Kamioka dementiert heute per Pressemitteilung offiziell Artikel der Westdeutschen Zeitung vom 12.11.14 und 13.11.14 - darin läßt er aber verlauten:
 
„Zusätzlich zu meiner Doppelbelastung in Wuppertal kommen immer mehr Anfragen als Dirigent, insbesondere aus Japan. Insofern muß ich darüber nachdenken dürfen, ob ich meinen Verpflichtungen als Opernintendant langfristig genügen kann. Auf jeden Fall werde ich diese über volle zwei Spielzeiten erfüllen. Dann muß man sehen.“ 
Auch dementiert er einen angeblichen Streit mit dem Orchester
„Es gibt keinen Streit! - Atmosphärische Störungen kommen immer mal wieder bei der Zusammenarbeit in unserem Bereich vor. Dies wäre sicher kein Grund für mich, meinen Vertrag als Chefdirigent überstürzt auflösen zu wollen.“
Betreffend seine Zukunft als Opernintendant:
„Wir haben bereits jetzt die Spielzeit 2015/16 größtenteils durchgeplant. Ich habe ein großartiges Team, und die beiden bisherigen Produktionen (Tosca und Don Giovanni) geben mir die größte Hoffnung, daß das neue Konzept (der Spielbetrieb im Blocksystem statt wie bisher verteilt über die Spielzeit) voll aufgeht. Standing ovations bei allen bisherigen Vorstellungen unserer Neuproduktionen sind ein untrügliches Zeichen, daß die szenische, sängerische und musikalische Qualität beim Publikum bestens ankommt.“
 
Was soll man dazu sagen?
 
Verehrter Intendant und GMD in Personalunion: Si tacuisses!
Sie führen allen Ernstes die paar lächerlichen Premieren Standing Ovations (ggf. ausgesuchte Hausmitglieder, oder Freunde Ihres Fan-Clubs), die es auch bei jedem Bretterbuden-Alternativfestival gibt, als Beleg für die Qualität und das Gelingen er ersten beiden Produktionen an? 
 
Standing Ovations?
 
Heutzutage ist diese amerikanische Unsitte leider bei jeder Premiere, egal wo, anzutreffen. Was soll denn der Rest des Publikums machen, wenn vorne ein paar Idioten aufstehen? Da die hinteren Reihen nichts mehr sehen, müssen sie sich auch erheben, um den Künstlern ihren verdienten Applaus zu sichern. Das ist also ein teilweise unvermeidbarer Gruppenzwang, wenn man nicht zwei Meter groß ist.
Tatsache ist doch, daß diese zwei Wuppertaler Premieren überregional erst gar nicht wahrgenommen wurden. Was waren das noch für Zeiten unter z.B. Meyer-Oertel wo man über große Wuppertaler Premieren (z.B. dem phänomenalen Ring) in fast allen deutschen Zeitungs-Feuilletons etwas lesen konnte. Heuer liest man schon ein paar Kilometer von Wuppertal entfernt nichts mehr. Oder Kritisches.
 
Opernnetz
Das renommierte „Opernnetz“, schrieb zu Don Giovanni „Mit den emotionalen Arien kann der Regisseur weniger anfangen, so daß sie schnell zum Rampensingen verkommen.“ Weiter „so plätschert die Musik vor sich hin. Gerne hört man den Musikern zu, aber ergriffen wird man dadurch nicht.“ Fazit: „Die Zuschauer, das bekommt man über den Abend deutlich mit, fühlen sich gut unterhalten. Wie oberflächlich das ist, wird sich am nächsten Morgen zeigen. Dann hat man die Komödie womöglich schon wieder vergessen. Nachhaltigkeit scheint in Wuppertal derzeit keine große Rolle zu spielen.“
 
WAZ
Die regional meistgelesene Tageszeitung WAZ schrieb: „...so banal ist die abgründige Geschichte lange nicht interpretiert worden...“
 
Der Opernfreund
Und zur TOSCA schrieb unser Puccini-Fachmann Martin Freitag „das konzentrierte Kammerspiel, das packende Psychodrama, findet nicht statt“ weiter „Die Protagonisten bleiben recht papierene Opernklischees mit Stehen, Knien und Legen“ Fazit: „Insgesamt die langweiligste „Tosca“ meines Lebens.“
 
Soviel zum Start, zum „untrüglichen Zeichen“, daß die szenische, sängerische und musikalische Qualität stimme. Sie stimmt eben nicht!
Es wird sich noch zeigen, daß sich für die Stadt Wuppertal dieses so hoch gelobte Stagione-Prinzip kaum lohnen wird - ich fürchte, das Gegenteil wird eintreten. Kein einziges Opernhaus weltweit hat bis heute durch dieses Prinzip größere Summen gespart. Doch abgerechnet wird zum Schluß.
Kamiokas Ausführungen sprechen für sich.
 
Peter Bilsing, 13.11.4
 
P.S.:
Ich wiederhole an dieser Stelle noch einmal gerne die Sätze unseres Chefredakteurs, Dr. Manfred Langer, aus seinem Opernfreund-Artikel Quo Vadis, Theaterstadt Wuppertal :
„Wenn jemand wie ihr Rezensent, der als ehemaliger Wuppertaler noch die Zeiten von Grischa Barfuß und Arno Wüstenhöfer erlebt hat, sich heute auf den weiter gewordenen Weg ins Tal macht, geschieht das nicht ohne Anwandlung von Trauer. Das erst 50 Jahre alte, unter Denkmalschutz stehende Schauspielhaus, damals Stolz der Bevölkerung, verkommt hinter einem Cinemaxx und ist wegen Baufälligkeit geschlossen; das Musiktheater wird zu einem Wanderzirkus. Seine organisatorischen Experimente nehmen kein Ende und sind schon wieder einmal Thema im Foyer. Die Kommentare gegenüber dem neuen Operndirektor Toshiyuki Kamioka fallen meistens nicht nett aus, vor allem nicht für seine fintenreich durchgesetzte Idee des Stagione-Betriebs ohne festes Sängerensemble. Der hat sich trotz der möglichen höheren Qualität und trotz des damit verbundenen Einsparpotenzials (noch weniger Aufführungen!) im deutschsprachigen Raum bislang nirgends durchgesetzt; denn das entspricht nicht den Erwartungen an die deutsche Theaterlandschaft. Aber ist Wuppertal noch Theaterstadt, Teil dieser Landschaft? Wo bleibt das beherzte Einschreiten des interessierten Teils der Bevölkerung?  Der neue  Operndirektor, der selbst auf drei Hochzeiten tanzte, hatte kein Problem damit, das Opernensemble fortzuschicken! In der nächsten Spielzeit will er mit einem erzkonservativen Programm das Publikum zusammenhalten. Wie will man das zusammen halten, wenn Opernspielpausen von über einem Monat eingelegt werden und drei Monate lang gar keine Neuproduktion vorgestellt wird? Nur weil man einige gut bekannte Solisten verpflichtet hat? Schaut man auf andere kleinere Theater in viel kleineren Städten, z.B. Bremerhaven, Gießen oder Heidelberg: da geht man genau den umgekehrten Weg und das mit großem Erfolg.“
 
 Redaktion: Frank Becker