Zu(m) Wort gekommen

Karl Otto Mühl und Konstantin Shklyar bei den „Engelsgartentexten“

von Martin Hagemeyer

Foto © Sebastian Klement

Zu(m) Wort gekommen
 
Auftakt zu „Erinnern für die Zukunft“
beim Wuppertaler Schauspiel
 
„Engelsgartentexte“: So heißt die neue Lesereihe, zu der das Wuppertaler Schauspiel künftig ins Café Ankerpunkt des Historischen Zentrums einlädt, gegenüber vom „Theater am Engelsgarten“. Am nüchternen Ort für die Kaffee-Verpflegung der Museumsgäste hat die Veranstaltung spontan etwas von Volkshochschulkurs, aber die Ausgabe zum Auftakt von „Erinnern für die Zukunft“ hielt einige Überraschungen bereit.
 
Die Erinnerung an die Reichspogromnacht und die NS-Verbrechen liegt Susanne Abbrederis am Herzen, und so war sie auch heute im Kreis der etwa 35 Zuschauer (was volles Haus bedeutet) selbst anwesend. Schon der Name des Abends, „Nackte Hunde und lange Unterhosen“ war dann zwar schnell erklärt als Titel-Mix aus heute gelesenen Texten, blieb aber angesichts des Themas doch wenigstens ungewöhnlich. Es las zum einen Karl Otto Mühl aus eigenen Texten; Dorothea Renckhoff, die die Reihe organisiert und moderiert, kennt den erfolgreichen Wuppertaler Schriftsteller seit langem, hat Entstehung wie Inszenierung einiger Stücke begleitet (die Kommunikation zwischen beiden war allerdings heute nicht die beste). Zu Wort kam durch Ensemblemitglied Konstantin Shklyar außerdem der argentinische Autor Ariel Magnus, dessen Roman Bezüge zu Wuppertal aufweist und in der deutschen Übersetzung ebenjenen Titel trägt „Zwei lange Unterhosen der Marke Hering“. Magnus‘ Großmutter hatte es 1938 ins Tal verschlagen; sie überlebte dann die Vernichtungslager und kam schließlich wieder nach Deutschland. Der Enkel will nun keinen Holocaust-Roman schreiben, sondern die Lebensgeschichte der „Oma“ erzählen, und Shklyar liest einen wohl zentralen Satz: „Sie wollte nicht zurückkehren, sondern nie weggewesen sein.“ Fast flapsig kommt manches daher, ehe einem das Lachen im Hals steckenbleibt; etwa wenn der Enkel über ihr Verhältnis zum Essen vermutet, das komme wohl daher, „weil sie Oma war, und nicht weil sie Auschwitz überlebt hatte“.
 
Verdaulicher der Humor bei Mühl, dessen Thema allerdings ja auch weniger die Judenverfolgung war als das Aufwachsen im Dritten Reich. Munter las der mittlerweile 91-Jährige erst aus seinem Prosawerk „Nackte Hunde“, das sich bei aller Nähe zum Autobiografischen um eine fiktive Figur dreht; und nach dem Vortrag aus Ariel Magnus stellte er noch eine Neuheit vor, die offen Mühl-Erlebnisse schildert. Und was nun hier überraschen mochte, hatte damit zu tun, wie sehr beide Texte sich ähnelten: Hier wie dort ein Junge der 30er und 40er Jahre, dessen Gedanken zum Nationalsozialismus seine arglose Naivität offenbaren. Die Romanfigur fragt sich, ob „die Nazis nicht schimpfen würden“, wenn jemand „nun einmal Jude war“. Und Mühl als Mühl rechnet zu Beginn seines Berufslebens fest mit einer unaufhaltsamen Karriere, „wenn nicht gerade versehentlich jemand starb“. Ganz ähnlicher Tonfall – bis der Lesende dann doch die Pogromnacht und andere historische Daten erwähnt – und dem Zuhörer vielleicht jetzt erst so recht klar wird: Die zweite Geschichte hat der Herr ja wirklich selbst noch erlebt.
 
Empfehlung: Zu Wort kommen in diesen Tagen auch zwei bekannte Opfer der Judenverfolgung: Anne Frank gilt eine Lesung des gesamten Ensembles, das am 8.11. um 19.30 Uhr das Stück „Anne“ von Leon de Winter und Jessica Durlacher vorstellt. Inge Deutschkron, die 2013 eine vielbeachtete Rede zum Holocaust-Gedenktag im Bundestag hielt, kommt zu Lesung und Diskussion am 9.11. um 18 Uhr ins Theater am Engelsgarten.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de