In Mecklenburg passiert alles hundert Jahre später

Peter Nöldechen - „Die Grafen Bothmer“

von Friederike Hagemeyer

In Mecklenburg passiert alles hundert Jahre später
 
von Friederike Hagemeyer

Keinem Geringeren als Otto von Bismarck wird der oben etwas verkürzt wiedergegebene Ausspruch* zugeschrieben, der treffsicher die gesellschaftliche und wirtschaftliche Rückständigkeit Mecklenburgs am Ende des 19. Jahrhunderts charakterisiert. In seinem Buch „Die Grafen Bothmer. Aufgeklärter Adel in Mecklenburg“ (erschienen 2014 im Verlag callidus) bestätigt Peter Nöldechen Bismarcks Einschätzung indem er eine der ganz wenigen Ausnahmen unter den durchweg erzkonservativen Adelsfamilien des Landes zum Thema macht.

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Vollständig lautet das Zitat: „Wenn die Welt untergeht,
gehe ich nach Mecklenburg. Dort passiert alles hundert Jahre später.“
 
Grafschaft Bothmer
 
Die Familie von Bothmer stammt ursprünglich aus Niedersachsen. 1726 erwirbt Hans Caspar Graf von Bothmer (1656 – 1732) im Westen Mecklenburgs Grundbesitz; damit beginnt die Geschichte der mecklenburgischen Grafschaft Bothmer, die zweihundert Jahre später 8.000 ha umfassen wird. Unter den alteingesessenen ritterschaftlichen Familien gelten die Bothmers als „neumodische Zugereiste“; diese Ausgrenzung wird sich halten bis am Ende des Zweiten Weltkrieges alle adligen Gutsbesitzer aus Mecklenburg vertrieben werden oder fliehen müssen.
Graf Bothmer ist ein hochgebildeter, weltläufiger Mann, Diplomat und später Chef der Deutschen Kanzlei in London unter König Georg I. (= Kurfürst Georg Ludwig von Hannover). Im Zentrum Londons bewohnt er ein Haus, das noch heute als Downing Street No. 10 bekannt ist, als Wohnsitz des englischen Premierministers.
In der Nähe des kleinen Städtchens Klütz erbaut Hans Caspar sein Schloss, „so unmecklenburgisch wie möglich“ (S. 17), denn niederländische und englische Gestaltungskonzepte liegen dem Bau zu Grunde.
Von Anfang an erweisen sich die Bothmers als moderne Grundherren, auf ihrem Land wirtschaften selbständige Bauern als Pächter und nicht Leibeigene wie es bis 1822 auf den Rittergütern üblich ist.
 
Weltläufigkeit und Modernität
 
Weltläufigkeit und Modernität in gesellschaftlicher wie auch wirtschaftlicher Hinsicht gehören zu den Charakteristika der Bothmerschen Familientradition. Dazu zwei Beispiele:
Hans Caspar II. Graf von Bothmer (1727 – 1787) tritt in dänische Dienste ein; er wird dänischer Gesandter in London und erlebt als Amtmann im damals zum Königreich Dänemark gehörenden Holstein die aufklärerischen Reformen Struensees und dessen Fall in Kopenhagen mit.
Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gelten für das Deutsche Reich und fast alle Teilstaaten konstitutionelle Verfassungen, übrigens auch für Preußen. Nur in Mecklenburg ist noch immer die auf mittelalterlichen Vorstellungen basierende und 1755 im „Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich“ festgeschriebene Ständeordnung in Kraft. Darin sind vor allem die Privilegien der Ritterschaft, des mecklenburgischen Uradels, konserviert. Kein Wunder also, daß die Konservativen erbitterten Widerstand leisten, als Otto Graf Bothmer (1865 – 1918) 1907 für den Reichstag kandidiert und damit wirbt, eine konstitutionelle Verfassung für Mecklenburg durchsetzen zu wollen. Zwar gewinnt Bothmer das Reichstagsmandat, seine Initiative scheitert jedoch.
Erst die Revolution im November 1918 fegt die vorsintflutliche Ständeordnung Mecklenburgs hinweg.
 
Neuer Blick auf Mecklenburgs Geschichte
 
Peter Nöldechen läßt die Geschichte Mecklenburgs und seines Adels in neuem Licht erscheinen. Vermutlich war unter Historikern bisher kaum bekannt, welch scharfer Konflikt innerhalb des mecklenburgischen Adels zwischen Liberalen und Konservativen mehr als zweihundert Jahre lang bestand. Das Buch ist äußerst gründlich recherchiert mit viel Liebe zum Detail, und es ist sehr gut lesbar. Deshalb sei es sowohl Fachleuten als auch anderen an Mecklenburg Interessierten zur Lektüre empfohlen, allerdings sollten sie es „am besten schon vor dem Besuch auf [Schloß] Bothmer gelesen haben.“ (S. 5)
 
Peter Nöldechen - „Die Grafen Bothmer“ Aufgeklärter Adel in Mecklenburg
© 2014 callidus, Verlag wissenschaftlicher Publikationen, 86 S. Mit Schwarz/Weiß-Abbildungen, ISBN 978-3-940677-13-6
14,50 Euro

Weitere Informationen: www.callidusverlag.de