Vom guten Essen in guter Gesellschaft (4)

Lukullische Abschweifungen

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Vom guten Essen in guter Gesellschaft (4)
Lukullische Abschweifungen

Ein Sprung und wir sind beim Mozart der Köche: Antoine Carême, Koch der Könige, König der Köche wurde er genannt. Er darf getrost als einer der größten Köche aller Zeiten angesehen werden. Er lebte von 1783 bis 1833, ist also mit fünfzig Jahren gestorben, ausgelaugt und erschöpft.
Die Geschichte seines Lebens beginnt mit einer Herzzerreißenden Erzählung: er hatte 17 Geschwister, der Papa war Gelegenheitsarbeiter und infolgedessen Trinker, man wohnt in der armseligen Rue Bac. Carême erzählt, daß ihn, als er zehn Jahre alt war, sein Papa bei der Hand nahm und mit ihm in die Stadt ging. Man aß in einer Taverne „noix de bœuf en surprise“ und der Kleine durfte ein Glas Rotwein dazu trinken, dann gingen die beiden raus und sein Vater sagte zu ihm: „Lieber Kleiner, ziehe hinaus in die Welt, in eine bessere Welt. Vergiß Vater und Mutter, vergiß, wer du warst. Du wirst im Juni zehn Jahre alt. Mit zehn Jahren kann man schon ein Mann sein, wenn man will. Strebe hinauf, werde ein Licht am Himmel unseres Landes, so du es vermagst, erobere die Welt. Antoine, ich überlasse dich deinem Schicksal. Lebe wohl“, dreht sich um und war weg. Da stand der Kleine an einem kalten Novemberabend mitten in Paris und wußte nicht weiter.
 
„Doch wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her“ haben wir Kinder gescherzt und es natürlich doch nicht geglaubt, bei Carême kam aber ein Lichtlein. Ein Garkoch, der Gerichte über die Gasse verkaufte, sprach ihn an und nahm den Kleinen auf. Ab da begann ein großes Leben.
Mit 16 kam er in die Confiserie Bailly, eine der führenden in Paris und lernte das Zuckerhandwerk. In jeder freien Minute war er in der Nationalbibliothek, las alles über Kochen und Architektur. Er zeichnete Pavillons, Schlösser und Ruinen ab, um es in der Confiserie dann umzusetzen und mit diesen Wunderwerken, z.B. Wasserfälle aus gesponnenem Zucker, wurde er berühmt.
Dieser Erfolg war aber nur der Anfang. Carême wechselte vom Patissier zum Koch und kochte in ganz Europa. Hauptsächlich Talleyrand, der große französische Staatsmann, den Carême kochenderweise begleitete, verbreitete seinen Ruhm.
Er kochte für Talleyrand beim Wiener Kongreß und spielte da eine hervorragende Rolle, es gibt sogar Stimmen die sagen, daß der Wiener Kongreß anders gelaufen wäre, hätte nicht Carême immer wieder alle ruhig gekocht.
Sein Verdienst ist zum einen, die Küche und die Zungen freigemacht zu haben für das wirkliche Schmecken, weg von den überladenen Rokoko – Töpfen, dem gepuderten Essen sozusagen. Er hat, könnte man sagen, die französische Revolution in die Küche verlegt indem er der Natürlichkeit die Tore geöffnet hat.
Er hat zum Beispiel durchgesetzt, daß Fleisch mit Fleisch dekoriert wird und Fisch mit Fisch, „jedes Fleisch erschien im natürlichen Gewand seines eigenen Geschmacks, jedes Gemüse in seinem eigenen Grün“, schreibt Lady Morgan nach einem Menu bei Carême, und das war damals eine Revolution, auch wenn es uns heute selbstverständlich vorkommt.
Seine bahnbrechende Leistung war, von den barbarischen Schüsselschlachten, die bis dahin die Tafel beherrschten, wegzukommen zugunsten der Sinfonie: der Komposition von ganzen Menus unter ein Thema, eine Geschmacksdominante. Ravel drückt es so aus: „Carême hat in die Kochkunst eingeführt, was man in der Malerei die Farbwerte nennt“, er hat gezeigt, daß erst die Wechselbeziehungen der Aromen ein gelungenes Menu, ein Konzert also, ausmachen.
 
Womit wir bei Auguste Escoffier wären, dem Kaiser der Köche, was übrigens auf unseren Wilhelm II. zurückgeht. 1913 wurde Escoffier nach Hamburg eingeladen, er sollte zur Taufe des Dampfers IMPERATOR kochen. Und weil der Dampfer so hieß, war auch Kaiser Willhelm Zwo eingeladen. Das Ganze ging so los, daß das Volk Escoffier mit Hochrufen und Vivatjebrülls begrüßte – die Hamburger verwechselten ihn mit dem Grafen Zeppelin, der Escoffier sehr ähnlich sah. Vielleicht deshalb ließ sich der Kaiser den französischen Koch vorstellen, jedenfalls: die beiden unterhielten sich lange miteinander und im Laufe dieses Gesprächs tat Seine Majestät den Ausdruck:
 „Wir sind beide Kaiser: ich Kaiser aller Deutschen, Sie Kaiser aller Köche!“ – na ja, was so einem Hohenzollern halt so einfällt. Derselbe Wilhelm hat ja auch bei der Eröffnung der Schwebebahn in Wuppertal, als man sich von Barmen, also Westfalen, Elberfeld, also dem Rheinland näherte, den legendären Satz zu seiner Frau gesagt: „Auguste, setz den Hut auf, wir kommen in die Stadt!“
August Escoffier ist der dritte Koch, der das Kochen wirklich revolutioniert hat.
 
Er hat den Spruch getätigt: „Eine gute Küche ist das Fundament allen Glücks“
und hat genau das umgesetzt und gelebt. Er war Küchenchef der großen Hotels seiner Zeit: Ritz, Savoy, Carlton.
Bei der Eröffnung des Carlton in London präsentierte er eine Erfindung, die direkt um die Welt ging: für die große Primadonna Nellie Melba, die er sehr verehrte, trug er Peches à la Melba auf und zwar – er hatte sie als Elsa im Lohengrin gesehen und bewundert – in einem aus Eis gemeißelten Schwan. Die Primadonna war hingerissen und die Welt lag ab da beiden zu Füßen.
Es geht ganz einfach: die Pfirsiche in Vanilleläuterzucker pochieren (das ist der berühmte Trick dabei!), erkalten lassen, in einer Schale auf einer Lage Vanilleeis anrichten und mit Himbeerpüree überziehen – so formuliert es der Meister selbst.
Konsequent nur der Zunge und dem Geschmack verpflichtet hat er den Nahrungsmitteln ihre Eigenart zurückgegeben, hat die Großküche und die professionelle Küche als erster wirklich systematisiert, hat hygienische Standards eingeführt, die heute noch nicht immer eingehalten werden – in so mancher Küche kommt der Herd auf Pfiff zum Koch! – hat alles, was man nicht essen kann, von den Dekorationen verbannt,
hat der geschmackvollen Einfachheit den Weg freigemacht und hatte dabei immer eines im Auge: Essen soll ernährungsphysiologisch sinnvoll sein, gleichzeitig aber auch in höchster Vollendung frisch zubereitet auf den Teller kommen. Das waren Standards, die bis dahin unerhört waren. Erst er hat sie uns zur Selbstverständlichkeit gemacht. Aber er war auch fantasievoll, ein Künstler:
Als kleines Beispielseiner Phantasie aber möchte ich das Weihnachtsmenu vom 25. Dezember 1870 vorlesen.
Die Preußen haben einen Ring um Paris gezogen, hermetisch war alles abgeschlossen. Die Gourmets aber wollen essen. Was also gab es, wenn es nix gab? Wenn kein Huhn aus der Bresse, kein Lämmchen presalé vom Atlantik, keine Austern aus Arcachon durchkamen?
 
Es gab am 25. Dezember 1870, dem 99. Tag der Belagerung, wie ganz oben auf der Speisekarte stand, eher Exotisches für die Pariser Gourmets, Escoffier hatte nämlich auf der Suche nach Frischfleisch den - Zoo entdeckt. Also gab es:
1. Gang
Butter, Radieschen, gefüllter Eselskopf,  Sardinen
2. Gang
Pürée von roten Bohnen mit Croutons
Consommé vom Elefanten
3. Gang
Frittierter Gründling
Gebratenes Kamel à l’Anglaise
Känguruh-Pfeffer (Le Chivet de Kangourou)
Gebratenes Bärenkotelett in Pfeffersauce
4. Gang
Wolfskeule in Rehsauce
Katze an Ratten (Le Chat flanqué de Rats)
Kresse-Salat
Antilopen-Terrine mit Trüffeln
Steinpilze à la Bordelaise
Kleine Erbsen in Butter
5. Gang
Reiskuchen mit Konfitüren
6. Gang
Gruyère – Käse
 
Bei den Weinen allerdings kann es einem anders werden:
Latour Blanche von 1861
Mouton Rothschild von 1846
Romanée Conti 1858 - die Älteren werden sich daran erinnern, was das für ein Granaten-Jahrgang war!

Und für uns gibt es jetzt: 
Düsseldorfer Senfrostbraten vom Kalbsfilet mit Röstzwiebeln, grünen Bohnen, krossem Speck und Kartoffelmousseline.
 
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher
 
 
 ©  2014 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker