Pissarro-Ausstellung mit Glanz eröffnet So sollte es bei einem solchen Ereignis sein: vom strahlend blauen Himmel lachte über Wuppertal und seiner Historischen Stadthalle die Sonne, als am 12. Oktober in deren Großem Saal mit einem Festakt vor beinahe 1.500 Besuchern die Wuppertaler Pissarro-Ausstellung eröffnet wurde. Diese einzigartige, erlesene Präsentation von Arbeiten des „Vaters des Impressionismus“, wie ihn Museumsleiter Dr. Gerhard Finckh in seinem Eröffnungsvortrag nannte, und einigen seiner Zeitgenossen aus dem künstlerischen Umfeld in den Räumen des Städtischen Kunstmuseums setzt konsequent die Reihe der französischen Impressionisten fort, die Wuppertal unter der Ägide von Gerhard Finckh bisher mit der Schule von Barbizon, mit Auguste Renoir, Alfred Sisley, Claude Monet und Pierre Bonnard gezeigt hat. Es ist in der Tat auch ein bißchen so, daß die „Fabrikstadt an der Wupper“ dadurch vom zauberhaften Licht des Impressionismus profitiert, einen gewissen Glanz dessen behalten hat.
Dieses nicht zu unterschätzende Verdienst hob auch Kulturdezernent Matthias Nocke in seinen Begrüßungsworten heraus, blieb aber nicht bei der Kunst allein. Matthias Nocke schlug auch den Bogen zur politischen Tagesaktualität. Camille Pissarros jüdische Herkunft und seine dadurch erlittene Diskriminierung durch u.a. seinen Zeitgenossen Renoir, Degas und Cézanne sowie später in Deutschland durch die Nazis gab dazu Anlaß. Nocke wies auf die Besorgnis erregenden Tendenzen feindlicher Aktionen gegen unsere jüdischen Mitbürger, vor allem den Brandanschlag durch arabisch-stämmige Täter auf die Wuppertaler Synagoge hin. Sein Appell, jedweder Judenfeindlichkeit hier und anderswo entschlossen entgegenzutreten, wurde einhellig begrüßt.
Im Anschluß an den Festakt ging es für die Eröffnungs-Gäste, darunter der Landtagsabgeordnete Andreas Bialas, Rolf-Peter Rosenthal und Dr. Rolf Kanzler als Vertreter der Jackstädt-Stiftung, die Kunstmäzene Heinz-Olof Brennscheidt, Loretta und Dr. Werner Ischebeck, Eberhard Robke, Iris und Peter Vaupel – teils mit dem Shuttle-Bus, zu Fuß oder mit dem eigens bestellten und Pissarro-geschmückten Velo-Taxi - zum Museum, das sich für einen wahren Ansturm rüstet. Ist es doch die größte Pissarro-Ausstellung seit 15 Jahren auf deutschem Boden, was auch erklärt, daß bereits weit mehr als 1.000 Führungen gebucht worden sind. Gerhard Finckh knüpft damit an die Serie seiner Ausstellungserfolge an.
Hier ein Auszug aus den Begrüßungsworten des Kulturdezernenten Matthis Nocke :
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Einige von Ihnen, meine Damen und Herren, denken beim Thema Impressionismus auch an die großen Ausstellungen des Von-der-Heydt-Museums zu diesem Thema: 2007 „Die Schule von Barbizon“, danach Renoir, Monet, Sisley und jetzt – Camille Pissaro. Mit dieser Themenserie hat unser städtisches Kunstmuseum eine Tradition begründet, die es so in keinem anderen deutschen Museum gibt. Natürlich finden sich hier und da Ausstellungen zum Thema Impressionismus; so hat das Folkwang Museum in Essen in den späten 90ern die großen Spätimpressionisten Van Gogh, Gauguin und Cezanne gezeigt, aber eine so dichte, konzeptionell ausgereifte und aufeinander aufbauende Reihe ist tatsächlich singulär.
Das freut den Kulturdezernenten, denn ein Museum mit einem solchen Alleinstellungsmerkmal macht unser Haus zu einem Leuchtturm mit Strahlkraft für die Wuppertaler Kulturlandschaft.
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Die siebzehntgrößte Stadt Deutschlands braucht Kultur dringend, nicht alleine als Marketing- oder Standortfaktor, als Ansiedlungsinstrument oder für ihre Wohn- und Lebensqualität oder die kulturelle Bildung. Vielmehr ist Kultur ein wichtiges, ja bestimmendes Element für die Diskussion über die Verbindlichkeit von Werten und Wertvorstellungen in einer Stadt; also die Frage: Was hält unsere Stadtgesellschaft eigentlich zusammen?
In unserer Stadt leben Menschen aus etwa 160 verschiedenen Nationen, mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Religions-zugehörigkeiten zumeist friedlich zusammen. Dies gelingt nicht immer. Deshalb sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß es erst einige Wochen her ist, als drei junge Männer, nach eigenen Angaben arabischer Herkunft, Mitbürger in dieser Stadt, versucht haben unser jüdisches Gotteshaus in Brand zu setzen, was erfreulicherweise aufgrund der mangelnden Tauglichkeit dieses Anschlags nicht gelang.
Genau an dieser Stelle erhält unsere Pissaroausstellung einen tagesaktuellen Bezug, den Camille Pissaro war nicht nur „Ausländer“, da er 1830 auf der dänischen Antilleninsel St. Thomas geboren wurde, sondern auch jüdischer Abstammung. Viele Jahre lang spielte dieser Umstand in seinem Leben nicht die geringste Rolle, aber als 1894 die Dreyfus Affäre über Frankreich hereinbrach und der jüngste Offizier im französischem Generalstab, der Hauptmann Alfred Dreyfus, beschuldigt wurde, durch Geheimnisverrat an Österreich Landesverrat begangen zu haben, kochten die Emotionen in Frankreich hoch und die Gesellschaft spaltete sich in zwei Lager: Diejenigen, die Dreyfus für unschuldig hielten und die diejenigen die ihn für schuldig hielten und damit die ganz jüdische Bevölkerung Frankreichs zu Landesverrätern erklärte. Es zeigte sich plötzlich ein wüster Antisemitismus, der selbst die Gruppe der Impressionisten spaltete. Camilla Pissaro, eben noch ein beliebter Freund und Kollege wurde diskriminiert. Plötzlich wollte Renoir nicht mehr mit dem „Juden Pissaro“ ausstellen und Degas wechselte die Straßenseite, wenn er seinem alten Freund Pissaro in Paris begegnete.
Pissaro schrieb am 24.11.1899 an seinen, in London weilenden Sohn Lucien: „Wenn hier nur nichts dazwischenkommt, denn hier wird schon von der Austreibung der Juden geredet. Das wäre ein Höhepunkt!“.
Dreißig Jahre später ging dieser dann nicht mehr in erster Linie religiös, sondern rassistisch begründete Antisemitismus in Deutschland so weit, daß Pissaro selbst in wissenschaftlichen Werken – wie dem von Karl Scheffler „Die großen französischen Maler des 19. Jahrhunderts“ von 1942 (in der 2. Auflage 1949 leider unverändert) erst gar nicht mehr vorkam. Man hatte ihn sozusagen posthum ausradiert.
Heute ist es wichtig, daß in Deutschland, in unserer Gesellschaft für Antisemitismus, sei er religiös, rassistisch oder moderner: antizionistisch begründet, kein Platz mehr ist und wir ihn ächten und bekämpfen, wo wir ihn treffen – auch wenn er noch so charmant daherkommt, mit dem Cocktailglas in der Hand.
Solche Ereignisse, meine Damen und Herren, wie sie Camille Pissaro widerfahren sind, sind nicht nur für das betroffene Individuum, für Familien und Bevölkerungsgruppen grausame, schreckliche und unerträgliche Erlebnisse und Belastungen; solche Ereignisse sind tödlich für das Zusammenleben in demokratisch verfassten Staaten und kommunalen Gemeinschaften.
Natürlich steckt dahinter häufig ein böser Wille, vor allem aber ist es die mangelnde Kenntnis von der Kultur des Anderen, ein Nichtwissen und nicht wissen wollen von dem, wie andere Menschen leben welchen Vorstellungen, welchem Glauben, welchen Riten sie verpflichtet sind und welche Kultur sie leben.
Gerade da aber muß unsere Bildungsarbeit ansetzen. Es muß uns gelingen, über die Vermittlung von Wissen über den Anderen ein Verständnis für das andere herzustellen, damit solche schrecklichen Ereignisse wie z. B. ein Angriff auf die Bergische Synagoge verhindert werden. Wir brauchen die Kultur und die kulturellen Einrichtungen dieser Stadt, nicht nur, um uns an herrlichen Bildern zu erfreuen oder gar an der Lichtmalerei der Impressionisten zu berauschen; wir brauchen dieses Museum vielmehr um uns dort zu treffen und Gedanken auszutauschen. Kunst und Kultur brauchen öffentliche Räume in der Stadtgesellschaft um im öffentlichem Diskurs neues über die Kunst und die Welt zu erfahren, um unseren Horizont zu erweitern und relevante Themen zu diskutieren und aus dieser Sicht auf das größere Ganze eine neue Offenheit für die Phänomene dieser Welt zu generieren, die unsere Engstirnigkeit wegbläst wie trockenes Herbstlaub.
(…)
(Redaktion: Frank Becker)
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