Scheue Suche nach Theatermitteln

Die schöne Müllerin - Ein Abend für neun SchauspielerInnen

von Martin Hagemeyer

v.l.: Miko Greza, Uwe Dreysel, Thomas Braus, Tinka Fürst, Christoph Schnackertz, Stefan Walz, Philippine Pachl, Julia Reznik, Daniel F. Kamen - Foto © Christoph Sebastian

Scheue Suche nach Theatermitteln
Die schöne Müllerin.
Liederzyklus von Wilhelm Müller und Franz Schubert.
Ein Abend für neun SchauspielerInnen.
 
 
Es war klar, daß die Einstandsinszenierung des neuen Wuppertaler Schauspiels als Programm verstanden werden würde. Bundesweit war die Stadt in den Blick der Theaterszene geraten, als fatales Paradebeispiel für von Sparwut bedrohte Kultur. Am prominentesten sicher 2011, als die seltene Situation zu erleben war, daß ein Ausrichter der NRW-Theatertage im Dunkeln tappte, ob es seine Spielstätte, gar seine Sparte noch lange geben würde.
Daß jetzt die überregionale Presse Jos van Kans „Die schöne Müllerin“ besonders kritisch beobachtet und bewertet, einen szenischen Liederabend mit singenden Nicht-Sängern: Ganz richtig so – schon als Gegenpol zum Konsens lokaler Medien und Politiker, das frisch erbaute „Theater am Engelsgarten“ etwas frech als Ergebnis einer Erfolgsgeschichte zu feiern. Denn klar: Schon frühere Intendanten haben sich für die Gegenwartsdramatik zwar ein Kleines Haus gewünscht. Aber erstens meinte Gerd Leo Kuck damit natürlich keinen Ersatz für das Schauspielhaus, sondern eine Ergänzung. Und zweitens ist der Liederzyklus von Franz Schubert und Wilhelm Müller, ob man ihn hier „schnöde“ (FAZ) findet oder vielmehr „passend“ (Westdeutsche Zeitung), jedenfalls eines bestimmt nicht: Gegenwartsdramatik.
 
Aber „Unverzichtbarkeit demonstrieren“, wie es der FAZ-Kritiker in seinem Verriß vermißt? Das ist vielleicht etwas viel für den Anfang. Als „Gruß aus Wien“ möchte Susanne Abbrederis ihre Wahl verstanden wissen – von wo nicht nur die Intendantin kommt, sondern auch Schubert. Dieser Gruß, um es auf den Punkt zu bringen, ist eher scheu als hochstapelnd geraten. Doch ist das so falsch? Die Regie und die neun Schauspieler des Ensembles führen vor, wie sie hier für schöne Musik nach Bühnenmitteln suchen – nicht mehr und nicht weniger.
 
Konkret: Zwölf quadratische Kästen sind im Bühnenbild von Jan Ros zugleich Spielfläche und Überraschungsboxen. Während die Darsteller zum Spiel von Christoph Schnackertz singen und außerdem aus Selbstzeugnissen Schuberts rezitieren, klappen sie eine Box nach der anderen auf und zeigen, was man sich so alles einfallen lassen kann, um die unglückliche Liebesgeschichte eines Burschen zur Müllerstochter auch sichtbar zu machen. Mal wird darin ein Gerüst aus Seilen sichtbar, das den Bach symbolisieren soll –  für den Verliebten wird er fast so etwas wie ein Gefährte. In einem anderen Kasten verbirgt sich echtes Wasser. Und dann ist ein Holzkasten natürlich auch ein naheliegender Sarg – nachdem Stück für Stück eine Leinwand im Hintergrund entzwei gerissen ist, vielleicht wie die Hoffnung, erhört zu werden. Simple Metaphern, gewiß.
 
Szenisch bietet der Kunstgriff, eine Figur von mehreren Darstellern singen zu lassen, schöne Möglichkeiten zur Illustration im Zusammenspiel. Einmal umschwärmen zum Beispiel gleich zwei Männer, Daniel F. Kamen und Stefan Walz, zeitgleich eine der drei „Müllerinnen“, Tinka Fürst; und daß die sechs männlichen Schauspieler individuell in Alltagskleidung auftreten, verstärkt ebenso wie ihr ganz unterschiedliches Alter den Eindruck: Der Mann, die Männer allesamt stehen im weiblichen Bann.
Bis hin zur Schlußpointe, die prägend ist und daher leider hier verraten werden muß. Der letzte Mann im Geschehen nämlich, der den ganzen Abend tapfer immun blieb, obwohl als einziger immer mitten im Geschehen: Auch er erliegt am Ende doch. Pianist Schnackertz nämlich verläßt schließlich sein Instrument im Zentrum der Bühne, streckt besiegt die Waffen ... und alle viere von sich. Keine originelle Aussage hat das Stück, richtig – aber hier doch eine ziemlich originell vermittelte.
 
Womit wir wieder beim Einstieg wären: Für einen schlagenden Beweis von Notwendigkeit des Theaters reicht das alles sicher nicht. Es ist die Frage, ob man den Fortbestand eines kommunalen Theaters mit eigenem Haus als einen Wert für sich anerkennt. Wer das tut, vielleicht als Basis für gesellschaftlich oder künstlerisch Relevanteres: Der wird nicht leugnen, daß „Die schöne Müllerin“ zum Einstand so einiges vorführt, was Theater kann. Etwa: Bilder und Aktion nutzen; Rätsel aufgeben und Ideen aufdecken; aus einem Werk sein eigenes Ding machen. Und keinesfalls zuletzt: Begegnungen mit echten Menschen bieten, die man erlebt, wie sie spielen, sich präsentieren … und das tut man selbst da, wo manche von ihnen sich fast spürbar abmühen zu singen.
 
Mit: Thomas Braus, Uwe Dreysel, Tinka Fürst, Miko Greza, Daniel F. Kamen, Philippine Pachl, Julia Reznik, Konstantin Shklyar, Stefan Walz.
Am Flügel: Christoph Schnackertz – Regie: Jos van Kan – Bühnenbild: Jan Ros - Kostüme: Dorien de Jonge - Musikalisches Arrangement: Marlijn Helder - Musikalische Einstudierung: Christoph Schnackertz – Dramaturgie: Susanne AbbrederisRegieassistenz: Mona vom Dahl
 
Weitere Vorstellungen: 2. und 5.11.2014
 
Informationen:  www.wuppertaler-buehnen.de