Faszinierende Bilder

Erich Lessing: „Anderswo“ – hrsg. Von Thomas Reche

von Andreas Rehnolt

„Anderswo“
Faszinierender Fotoband
mit Aufnahmen von Erich Lessing
  
Im österreichischen Kunst- und Fotobuchverlag Nimbus ist ein faszinierender Bildband mit dem Titel „Anderswo“ erschienen. Das Buch präsentiert auf 167 Seiten bisher größtenteils unveröffentlichte Schwarz/Weiß-Aufnahmen des aus einer jüdischen Familie in Wien stammenden Fotografen Erich Lessing. Der 1923 geborene Lessing emigrierte 1939 mit dem letzten Schiff über Italien nach Palästina, wo er neben vielen anderen Berufen auch seine Liebe zur Fotografie entdeckte. Bald arbeitete er als Fotograf bei der britischen Armee. Schon ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte Lessing nach Österreich zurück. 1951 durch den berühmten Fotografen Henri Cartier-Bresson gefördert, wurde er Mitglied in der legendären Kooperative Magnum.
 
Der Band zeigt unter anderem Aufnahmen von Lessing über den Ungarn-Aufstand 1956, durch die Lessing berühmt wurde. Weiter sind Nachkriegsbilder aus Wien zu sehen, unter anderem das Bild „Wien, Westbahnhof, 1953“, das einige alte Männer mit dem Rücken zum Fotografen zeigt sowie zwei Fotos vom Vergnügungspark „Prater“ aus dem Jahr 1954. Auf einem schaut ein kleiner Junge sehnsuchtsvoll auf die Auslage eines Büdchens mit Spielsachen. Auch die Aufnahme „Wien, Damenrunde im Demel“ stammt vom Winter 1954.
Weitere Kapitel befassen sich mit Polen erster Miss-Wahl 1956 im Seebad Sopot. Man mag kaum glauben, daß es die pummeligen jungen Damen tatsächlich aufs Treppchen geschafft haben. Andere Bilder zeigen Straßenszenen aus Ost- und Westdeutschland in den frühen 1950er Jahren. Trümmerbilder mit kriegszerstörten Gebäuden unter anderem in Ostberlin und Düsseldorf von 1951, teils poetische Bilder aus dem Prag während des Kommunismus. Ein anderes Kapitel widmet sich den Werftarbeitern in Hamburg und der Stahlindustrie in Belfast und schließlich gibt es das Kapitel „Anderswo“, das dem Buch den Titel gab.
Da sieht man einen abgerissenen Straßenclown im Paris 1952 und sein lachendes Publikum, eine verregnete Kirmes-Szene aus dem polnischen Nova Huta, einen schlafenden alten Kreter im Jahr 1955, der mit seiner Jacke und seinem Stuhl verwachsen zu sein scheint, einen schlafender Gast in einem Straßencafe in Vichy, einen Rübenbauern aus der DDR 1959 bei der Ernte sowie mehrere Fotos von einer Bar Mitzwa 1956 in Krakau, hübsche Touristinnen in einem italienischen Fischerdorf 1960 und Straßenszenen aus Usbekistan und Anatolien 1952.


© Erich Lessing
 
Neben den Bildern sind auch einzelne Zitate von Lessing lesenswert. Einmal schreibt er: „Ich interpretiere nicht, ich verändere nichts in der Dunkelkammer. Ich bin ein realistischer Fotograf.“ Ein anderes Mal bekennt der vielfach ausgezeichnete Lessing: „Als Fotograf muß man eigentlich eine gewisse Ehrfurcht vor dem anderen haben, der sich bedrängt fühlt, wenn er die Kamera sieht.“ Ein weiteres Mal heißt es: „Fotografieren ist für mich ein wunderbares Medium, um zu reisen und Menschen kennen zu lernen. Sie ist aber nicht der Hauptinhalt des Lebens. Der ist das Leben. Die meisten Fotografen sehen die Welt immer nur durch den Sucher.“
 
Erich Lessing: „Anderswo“ – hrsg. Von Thomas Reche
2014 Nimbus-Verlag, 2014, Gebunden, 167 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag, 21 x 30 cm
112 Illustrationen
ISBN: 978-3-907142-98-1
36,- € / 45,00 sFr
 
Mehr Informationen: www.nimbusbooks.ch