Something Stupid

„Der Menschenfeind“ - Amüsement mit Biß im WTT, neu gefaßt von Claudia Sowa

von Frank Becker

Björn Lukas als Der Menschenfeind - © Frank Becker
Something Stupid
oder
Molière mit Selfie
 
„Der Menschenfeind“ - Amüsement mit Biß
frei nach, aber dicht bei Molière
Neu gefaßt von Claudia Sowa
 
Premiere am 4.10.2014
 
Inszenierung: Claudia Sowa – Bühne: Peter Strieder – Kostüme: Lolita Erlenmaier – Licht & Ton: Nils Blumenschein - Regieassistenz: Kim Preyer
Besetzung: Björn Lukas (Alceste) – Célimène (Verena Sander) – Aydin Isik (Philinte) – Anne Schröder (Eliante) – Björn Lenz (Oronte/Alcaste) – Claudia Sowa (Arsinoe)
 
Vorspiel auf dem Theater
 
Schon allein das schlagfertige „Vorspiel auf dem Theater“ zwischen Alceste und Philinte sowie mit dem pseudolyrischen Fant Oronte vor geschlossenem Vorhang, nur eine Armlänge vom Publikum, hätte den Besuch des „Menschenfeind“ im WTT gelohnt. Hier zeigten drei Schauspieler im nahtlosen Übergang die Verschmelzung des Mimen mit der Rolle. Ein Bonbon.
 
Der erfolgreiche Dichter Alceste (Björn Lukas), der sich nach lautstarkem Bekunden nur der Wahrheit verpflichtet sieht, tatsächlich aber ein undiplomatischer, rechthaberischer Wadenbeißer ist, steckt seinem Naturell geschuldet in mancherlei Dilemmata. Wegen Mißbrauchs des eigenen Namens durch einen Dilettanten liegt er mit jenem vor Gericht – und beleidigt den Richter. Von dem eitlen poetischen Stümper Oronte (Björn Lenz), dem er wie gefordert, aber nicht erwünscht, den ehrlichen, vernichtenden Kommentar zu dessen Sonett gibt, wird er seinerseits wegen Ehrabschneidung vor Gericht gezerrt. Und dann ist da noch die zauberhaft kokette Célimène (Verena Sander / heute Abend: Lola Blau), die er zu lieben glaubt, die aber leichtfertig mit seinen Gefühlen (und denen aller anderen) ihr höfisches Spiel treibt. Was braucht es mehr, um einen Mann endgültig zum Misanthropen zu machen? Björn Lukas gibt dem gradlinig Figur und Ausdruck, ein Alceste, so gültig heute wie 1666.


Vor dem Sonett... v.l.: Björn Lenz, Aydin Isik, Björn Lukas - Foto © Frank Becker


... nach dem Sonett. v.l.: Björn Lenz, Aydin Isik, Björn Lukas - Foto © Frank Becker
 
Allerbeste Unterhaltung
 
Molières Komödie ohne Happy End bietet eben auch 350 Jahre später reichlich Stoff für eine Gesellschaftssatire, weil sich Wahrheit und Verstellung im sozialen Miteinander, das sie geistreich durchleuchtet, hier am Beispiel der Upper Class, nicht geändert haben. Claudia Sowa hat den Text auf der Basis der Enzensberger-Übersetzung deutlich eleganter, um einiges gekürzt und leichtfüßiger bearbeitet, den Stoff samt der angeprangerten Dekadenz mit gehörigem Pfiff auch ins sprachliche Heute übertragen, ohne auf das entscheidend wichtige Versmaß zu verzichten und in opulenter Ausstattung (Bühne: Peter Strieder / Kostüme: Lolita Erlenmaier) für das Westdeutsche Tournee Theater inszeniert. Durch die originelle Verschmelzung des gepuderten barocken Bildes mit technischem Heute (Plattenspieler, Telefon, Türklingel, Digital-Selfie) und das Einbringen übermütiger Choreographien zu Raffaella Carràs „Far l´amore“ und Sinatras „Something Stupid“ (hörenswertes, göttlich schiefes Duett Philinte/Eliante) hat der Klassiker ein Format bekommen, das generationenübergreifend allerbeste Unterhaltung bietet.


v.l.: Björn Lenz, Verena Sander, hinten: Björn Lukas Aydin Isik, Anne Schröder - Foto © Frank Becker


Aydin Isik, Anne Schröder - Foto © Frank Becker
 
Komödianten
 
Das Ensemble entfaltet trotz auf sieben Rollen für sechs Schauspieler geschrumpftem Personal mit viel Spielwitz die ganze Bandbreite der gesellschaftlichen Heucheleien und Intrigen unter der Leuchtschrift „Ego“ wie beim Schlürfen der Hausmarke gleichen Namens. Zwischen den lautstarken verlogenen Freundschaftsbekundungen allenthalben (unser Alceste natürlich ausgenommen) entspinnt sich ganz leise eine zarte Liebe zwischen dem derben Philinte, Alcestes einzigem wirklichen Freund und der zagen Eliante, die von Anne Schröder ganz zauberhaft stammelnd gegeben wird. Komödianten sind sie alle, durch und durch. Björn Lenz darf das gleich zweimal beweisen, in dem pikierten Oronte nämlich und dem Travolta-Verschnitt Acaste – und besteht in beiden Fällen, zum großen Amüsement des Premierenpublikums im ausverkauften Saal.
Den Vogel allerdings schießt Regisseurin Claudia Sowa als Arsinoe ab, eine vertrocknete, frömmlerische alte Jungfer, nichtsdestoweniger fiebernd notgeil, im elisabethanisch streng hochgeschlossenen schwarzen Gewand. Ihre Auftritte, in denen sie mit ungeheurer Bühnenpräsenz die Szene durch kleinste Gesten, die Sprache des Körpers, feinste Mimik, mit dem raschen Auf und Ab von Stimmung und Stimme sowie spitzen „Huchs“ beherrscht, wurden zu den gefeierten Höhepunkten des Abends. Von der Kunst der leisen Andeutung bis zum rauschenden Abgang spielt sie köstlich überschminkt die ganze Klaviatur des Theaters.
 
Für diesen wundervollen Theaterabend gebührt allen Beteiligten unsere Auszeichnung: der Musenkuß!
 
 
Die nächsten Vorstellungen werden am 8., 9. und 23. November im Rittersaal von Schloß Burg gegeben und zu Silvester wieder im WTT.
Kartenreservierung unter Tel. 02191-32285 oder wtt-remscheid@t-online.de

Weitere Informationen:  www.wtt-remscheid.de