Wir befinden uns in der Hand von Kaufleuten

von Hanns Dieter Hüsch
Wir befinden uns in der Hand
von Kaufleuten
die sich wiederum in der Hand
von Kaufleuten befinden
die wiederum ihrerseits
sich in der Hand von Kaufleuten
befinden
von Kaufleuten die sich aber keineswegs
als Kaufleute empfinden
vielmehr als vielseitig Interessierte
sagen wir
sich als hochkomplizierte Seelen, unter
wenn's sein muß
eiskalter Haut
dargestellt wissen wollen
weil eventuell alte Schule
hanseatisch etc.
sich demnach natürlich mit bildender Kunst
überhaupt mit Kunst
sich als Kaufleute
die wiederum in der Hand von noch
feineren Kaufleuten
sich befassen und auseinandersetzen
in der Obhut
wohlgemerkt in der Obhut
von angestammten Kaufleuten
die das Halsabschneiden weit von sich weisen
auch dem Sohne das Halsabschneiden nicht
auch nicht unter vier Augen
gelegentlich angeraten
weil abermals dieser schon
in den Händen von anderen
wissenschaftlich gebildeten
hochaufgeschossenen Kaufleuten
mit jener konservativen Chuzpe
die Marktlücke im Tornister
sich befindet
also schon Handlanger eines weiteren
angesehenen Zirkels
der wiederum in der Hand eines anderen
Zirkels und so weiter
sich befindet
und so das Halsabschneiden auch nicht so
vordergründig betrachtet
sondern
als kleineres Übel zum Wohle des Ganzen
zum Wohle der lmbißbuden
der Currywurstphilosophie
die ja den Deutschen nicht nur längst eigen
sondern auch
gleichfalls Europa
den Geist und das Abendland
ja den abendländischen „Austernesser“ erleuchtet
Würstchen und Piepen!
verkleistert mit Dialogen aus Operetten
aus dem Munde von Kaufleuten
die hinter der Hand
oder unter der Hand
oder mit beiden Händen schon zugedrückt
zugeschlagen
während wir noch den Traum in der Tasche
gekritzelt auf kleinen Zetteln mit uns schleppen
und Hoffnung haben
lächerlich -
So ist denn der Arzt kein Arzt
und der Künstler kein Künstler mehr.
der Pfarrer kein Pfarrer
und der Richter kein Richter
der Sänger kein Sänger
der Arbeiter kein Arbeiter
der Bauer kein Bauer
und der Bäcker kein Bäcker mehr
die Frauen sind keine Frauen
die Männer keine Männer
und die Kinder sind keine Kinder mehr und so weiter
Große leergedachte Gesichter
auf verhältnismäßig kleinen Körpern
oder auf verhältnismäßig großen Körpern
kleine abgewetzte Gesichter
Wir befinden uns in der Hand von Kaufleuten
meinen jedoch nicht in der Hand von Kaufleuten zu sein
weil wir selbst Kaufleute geworden
dies aber nicht so empfinden
oder dargestellt wissen wollen
weil wir immer noch Menschen sein möchten
dies aber nicht mehr können.
 
1972
 



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus dem Band "Den möcht´ ich seh´n..." in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung