Kandinsky als Pädagoge

Magdalena Droste (Hrsg.) – „Wassily Kandinsky. Lehrer am Bauhaus“

von Rainer K. Wick

Kandinsky als Lehrer am Bauhaus
 
Mit der der gerade zu Ende gegangenen Ausstellung „Wassily Kandinsky. Lehrer am Bauhaus“ im Berliner Bauhaus-Archiv rückte der Begründer der gegenstandslosen Malerei nicht als Künstler, sondern als Pädagoge in den Fokus der Aufmerksamkeit.
 
Obwohl kein Lehrer von Beruf, hat Kandinsky früh begonnen, pädagogisch zu wirken, zu Anfang des 20. Jahrhunderts zunächst in München, wo er in seiner privaten Kunstschule „Phalanx“ Malunterricht erteilte, nach der Oktoberrevolution in Moskau als Professor an den als WCHUTEMAS bekannten Moskauer „Höheren künstlerisch-technischen Werkstätten“. 1922 kam er an das Staatliche Bauhaus in Weimar. An dieser berühmtesten Kunst- und Designschule der Zwischenkriegszeit, die 1925 nach Dessau und 1932 nach Berlin umzog, lehrte er bis 1933, als die Nazis die Schließung des Bauhauses erzwangen. Seine Schriften „Über das Geistige in der Kunst“ (1912) und „Punkt und Linie zu Fläche“ (1926) hatten einen nachhaltigen Einfluß auf die Kunst der Moderne, und zahlreiche Studierende, die am Bauhaus seinem Form- und Farbunterricht beigewohnt und seine „freie Malklasse“ besucht hatten, wurden nach 1945 zu Multiplikatoren seiner Ideen über Kunst und Gestaltung.
Anläßlich der erwähnten Ausstellung ist ein aufschlußreiches Katalogbuch erschienen, das sehr gut nachvollziehbar macht, wie der Bauhaus-Unterricht des Künstlers konkret ausgesehen hat. Um dies zu zeigen, wurden Lehrmanuskripte aus den Beständen des Getty Research Institute in Los Angeles, von Kandinsky im Unterricht benutztes Abbildungsmaterial aus dem Fonds Kandinsky im Centre Pompidou in Paris sowie Unterrichtsmitschriften, Übungsarbeiten und Briefe der Studierenden aus dem Bauhaus-Archiv in Berlin herangezogen. In dem üppig bebilderten Katalogbuch kann der Leser Kandinsky „als verehrten und verständnisvollen Meister, als undogmatischen Analytiker, spirituellen Impulsgeber und Inspirator, aber auch als abgehobenen, oft frei assoziierenden Theoretiker“ entdecken – so die Direktorin des Bauhaus-Archivs Annemarie Jaeggi.
Magdalena Droste, die lange am Bauhaus-Archiv tätig war und nun seit fast zwanzig Jahren in Cottbus Kunstgeschichte lehrt, stellt unter der Überschrift „Der pragmatische Professor“ Kandinskys „Lehralltag unter drei Direktoren“ vor. Dabei zeigt sie, wie sich die diversen Kurswechsel des Bauhauses zwischen 1922 und 1933 auch in Kandinskys Lehre niederschlugen – von seiner Tätigkeit als sog. Formmeister in der Werkstatt für Wandmalerei, seinen Kursen „Analytisches Zeichnen“ und „Abstrakte Formelemente“ über das „Farbseminar“ bis hin zur sog. Freien Malklasse.
 
Karl Schawelka, der bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand an der Bauhaus-Universität in Weimar Professor für Geschichte und Theorie der

Wassily Kandinsky o.T. 1924 © Bauhaus-Archiv Berlin
Foto: H Kiessling
Kunst war, unterzieht die Farbenlehre Kandinskys einer kritischen Betrachtung. Er macht deutlich, daß aus der Sicht der heutigen Farbforschung (und sogar schon vor der Folie der naturwissenschaftlich und physiologisch fundierten Farbtheorien der damaligen Zeit) manche Sachaussagen Kandinskys unhaltbar waren, daß der Erfolg seiner Lehre aber aus der enormen Suggestion von Gesetzmäßigkeit, Exaktheit und Wissenschaftlichkeit resultierte, die Kandinsky zu vermitteln verstand. Denn spätestens ab 1923 und seit Gropius‘ Postulat einer „neuen Einheit“ von Kunst und Technik war Wissenschaftlichkeit eine maßgebliche Bezugsgröße der Bauhaus-Pädagogik, auch wenn es sich tatsächlich oft um pseudowissenschaftliche Praktiken handelte, wie beispielsweise Kandinskys berühmt gewordene, allerdings von naivem Empirismus zeugende Umfrage bezüglich der Zusammenhänge zwischen den Grundfarben Blau, Rot und Gelb und den Grundformen Kreis, Quadrat und Dreieck belegt. Trotz aller Spiritualität, die vor allem für das frühe künstlerische Schaffen Kandinskys charakteristisch ist, war sein Form- und Farbunterricht am Bauhaus streng rational ausgerichtet:„Ich verlange von meinen Schülern, daß sie sehr genau denken, daß sie rein kopfmäßige Übungen exakt machen, wir besprechen die gelieferten Arbeiten auch rein theoretisch.“
 
Neue Einsichten in die Lehrtätigkeit Kandinskys bietet der Beitrag der Kunsthistorikerin Angelika Weißbach, die auch die Berliner Ausstellung kuratiert hat. Gegenstand ihres Essays ist die mehrere hundert Abbildungen umfassende Materialsammlung aus den Bereichen der Bildenden Kunst, des Theaters und des Tanzes, der Industrie und der Technik sowie aus fernen Kulturen und aus der Pflanzenwelt und dem Tierreich, die Kandinsky für seine Lehre zusammenstellte und ab 1928 in seinem Unterricht als Anschauungsmaterial nutzte. Angelika Weißbach sieht hier eine Parallele zu dem berühmten Bilderatlas „Mnemosyne“ des Hamburger Kunsthistorikers Aby Warburg aus den 1920er Jahren, auch wenn Kandinskys Abbildungssammlung kleiner gewesen ist und sich hinsichtlich Inhalt und Zielsetzung deutlich von jener Warburgs unterschied.
Paul Weber, zu dessen Forschungsschwerpunkten neben Marcel Duchamp und Mies van der Rohe auch Kandinsky gehört, analysiert in einem abschließenden, höchst elaborierten Beitrag die Pädagogik des Künstlers „aus der Perspektive seiner Theorie der Verschiebung“. „Verschiebung“ meint in der Terminologie Kandinskys eine Praxis des Freilegens der „tragenden und massgebenden Konstruktionsgesetze“ historischer Werke und deren „Übersetzung“ in eigene, abstrakte bzw. gegenstandslose Werke, was Weber an einer Reihe von Einzelbeispielen detailliert nachweist. Unterrichtsmanuskripte und Schülermitschriften belegen, daß Kandinsky diese Strategie im Rahmen des „Analytischen Zeichnens“ auch in seinen Bauhaus-Unterricht eingebracht hat.
 
Mit dem Katalogbuch „Wassily Kandinsky. Lehrer am Bauhaus“ ist eine Publikation erschienen, die zahlreiche neue Einsichten in das facettenreiche kunstpädagogische Wirken des Malers bietet. Schade nur, daß das Layout, die Typographie und die buchbinderische Verarbeitung (daß der Buchrücken fehlt, ist kein Versehen, sondern Absicht) offenbar dem Wunsch der Gestalter geschuldet sind, auf jeden Fall aufzufallen und „originell“ zu sein. Etwas mehr „bauhäuslerische“ Sachlichkeit hätte hier sicherlich nicht geschadet.
Wer an einer stärker erziehungswissenschaftlich und bildungstheoretisch orientierten Untersuchung des Pädagogischen bei Kandinsky
interessiert ist, sei abschießend auf die im letzten Jahr erschienene Dissertation „Kandinsky als Pädagoge“ von Alexander Graeff hingewiesen, die Kandinsky als einen „von den Diskursen der Zeit um 1900 geprägten Pädagogen, im Besonderen als einen Rezipienten und Verfechter reformpädagogischer Ideen.“ Der Autor bettet diesen Ansatz zutreffend in den übergreifenden Kontext der Lebensreformbewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ein, er setzt sich mit Kandinskys kritischer Haltung zum Positivismus und Materialismus auseinander, thematisiert folgerichtig die okkult-esoterische Gegenposition des Künstlers und analysiert die „‘spiritualistische’ Dimension [seines] pädagogischen Konzeptes“, die allerdings, wie erwähnt, am Bauhaus schon wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg unter den Vorzeichen einer zunehmenden Wissenschaftsorientierung deutlich in den Hintergrund.
 
Magdalena Droste (Hrsg.): Wassily Kandinsky. Lehrer am Bauhaus
© 2014 Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung, Berlin, 194 Seiten; ISBN 9783922613503; im Bauhaus‐Archiv 29,00 €, per Bestellung über den bauhaus-shop (www.bauhaus.de/de/) 33,00 €
 
Alexander Graeff: Kandinsky als Pädagoge
Shaker Verlag, Aachen 2013; 328 Seiten; ISBN 978-3-8440-1999-5; 34,00 €