Kochmüller hat neue Kunde von Mailburger.

von Christian Oelemann

Kochmüller hat neue Kunde von Mailburger.
 
Kochmüller hat neue Kunde von Mailer. Wie diese an ihn (Kochmüller) gelangt sei, bleibe bis zur Stunde ungeklärt. Fest stehe, daß Kochmüller nach dem gestrigen Erhalt einer Mail, die von niemand anderem als Mailburger stammen könne, seinen PC nicht mehr in mailender Art und Weise nutzen könne, die für ihn die einzig notwendige, da der PC unvermöge sei, Befehle, noch die der einfachsten Art, entgegenzunehmen geschweige in der Folge Taten umzusetzen. Es handele sich zweifelsfrei, so Kochmüller, um einen fortgeschrittenen Verseuchungsgrad, der durch einen Virus der Sorte Lambda herbeigeführt worden sei, da die auftretenden Symptome eben die seien, die man dem mittlerweile sagenumwobenen Lambdavirus zuschreibe. Da Kochmüller bis zum Erhalt von Mailers Mail, derer aus unerklärlichen Gründen gar Mailburger kenntlich geworden sei, es müsse ein Fall von Bespitzelung vorliegen, wie er, Kochmüller, ja immer wieder und zu allen Zeiten, vor allem aber seit seinen amerikakritischen Tönen, die er in letzter Zeit in verstärktem Maße von sich zu geben genötigt gewesen war, bespitzelt und ausgehorcht und mißbraucht worden sei, damit habe er sich längst abgefunden, seinen PC habe einwandfrei nutzen und benutzen können, läge die Frage nahe, inwieweit Mailer Verantwortung für seine, Kochmüllers Gesamtlähmung jeglicher PC-Aktivitäten trage. Wenn Mailer, der seiner Zeit den Bass so folgsam gezupft habe, in der Infizierung seines (Kochmüllers) PCs quasi ein Solo extra nachfordere, so nehme er, Kochmüller, an, daß Mailer weder die Statuten der Viersener Schule noch die der Barmer Schule zur Gänze gelesen, wenn aber doch, dann zumindest nicht verstanden haben könne. Sowohl Mailburger am Piano wie auch er, Kochmüller, an den Vibratoren hätten zu Quartettzeiten den Sidemen solistische Profilierung untersagt, vielmehr seien Faxstatt (Triangel) und Mailer (Bass) von Maximilian und ihm (Kochmüller) geradezu aufgefordert worden, die Sau herauszulassen (d.i. ans Geniale grenzender Ausbruch), doch sei weder von Mailer seinerzeit, noch vom Freiherrn die Sau herausgelassen worden, sodaß das Sauherauslassen immer eine Sache für Mailburger und ihn selbst gewesen sei, damals, zu Quartettzeiten. Wenn Mailer ihn, Kochmüller, durch Infizierung seines (Kochmüllers) PCs a posteriori hindern und enrayieren wolle, so nehme er, Kochmüller dies allegorisch als hingeworfenen Handschuh, diese Fede könne er wechseln, so Kochmüller. Er habe den PC in einem Akt selbstloser Hingabe, die nichts im Geringsten mit Aufgabe zu tun gehabt habe, ausgeschaltet und sich, der wütenden Kochmüllerin im Nebenzimmer eingedenk, Aufnahmen jener Zeit hervorgekramt, Live-Mitschnitte des legendären Quartetts, welches mal unter dem Bandnamen Maximilian Faxburger Four, mal unter dem Bandnamen Kochmüllerquartett aufgetreten gewesen sei, und er habe sämtliche in seiner Habe befindlichen Mitschnitte in Gänze nachgehört. Nach über 4 Stunden habe er den Kopfhörer abgesetzt und geseufzt und ein Wort von sich gegeben: Shit.
Das Wiederhören dieser Quartettaufnahmen habe ihm den Rest gegeben, er sei danach ein anderer gewesen, kein Geringerer, sondern ein Erhöhter, denn das, was er sich da habe anhören müssen, sei so entsetzlich gut gewesen, daß er, Kochmüller, sich ernsthaft die Sinnfrage gestellt habe und noch stelle und bis auf weiteres Abstand von jeglichen Studien nehme, weder über „Persönlichkeitsprothesen“ noch über einen antizipierten Erzählband werde er nunmehr nachdenken, nur seinen neuen Roman „Die Bruderschaft“, die ein gewisser Grisham andersmeinend vorgelegt gehabt habe, werde er, zwar wortgetreu, doch in einem ganz anderen Sinn, seinem Verlag vorlegen.
Die Quartettaufnahmen seien ein Meilenstein der Jazzgeschichte, so Kochmüller zu Kochmüller, es hapere zwar an High Fidelity, aber Mailburgers Pianospiel sei trotz Knisterns und Knarzens ein unglaubliches gewesen, in Mailburgers Pianospiel stecke der ganze Bach und der ganze Brubeck, der halbe Evans und der halbe Jarrett. Interessant sei ihm beim Anhören einer Version von All the things you are, die das in Rede stehende Quartett in der Bonner Jazzgalerie anno 1992 vor 23 Zuschauern vorgetragen gehabt habe, ein Baß-Solo Mailers, der damals noch Keinfax geheißen habe, weil dieses Solo, daß er, Kochmüller , gänzlich vergessen gehabt habe, die exakte Umkehrung des Eingangsthemas von „Macht hoch die Tür“ vorgestellt habe, worauf Mailburger, auch das erkenne er erst jetzt beim Nachhören, mit einer Umkehrung des Eingangsthemas von „Sie gleicht wohl einem Rosenstock“ geantwortet gehabt habe, freilich in Brubeckscher Akkordisierung. Er, Kochmüller, habe damals weder das eine noch das andere Thema erkannt gehabt, erst jetzt wisse er, was seine Mitstreiter in Sachen Jazzgalerieenthusiasmierung vorantrieb, er, Kochmüller, habe keinerlei deutsches Liedgut im Kopf gehabt und Peterson zitiert, genauer Petersons zweiten Chorus aus der LP „Swinging breasts“.
Habe ihm die Attya- Fassung des Maximilian Faxburger Four bereits die Schuhe geöffnet, so seien ihm selbige vollständig ausgezogen worden durch eine Kochmüllerquartettversion von „Autumn leaves“, freilich identisch besetzt, mitgeschnitten durch Mailburgers Sohn, der in nahe liegender Weise auf den Namen Bop gehört habe. Eigentlich könne er, Kochmüller, diesen Gassenhauer nicht mehr hören, weil „Autumn leaves“ ihn langweile, aber die von Bop Mailburger, also Mailburger jr. mitgeschnittene Fassung von Otto läuft (i.e. Autumn leaves) während eines Konzerts des Kochmüllerquartetts sei das Größte, das Herausragendste, was diesem Gassenhauer je widerfahren sei. Eine Sternstunde des Jazz. Der Freiherr habe einleitend zwei Triangeln gegen einander geschlagen gehabt und die Schlegel Schlegel sein lassen, Keinfax (d.i. Mailer) sei mit einem ostinaten E-A-G-D irgendwann hinzugekommen, und Mailburger habe den bekanntermaßen kniffligen langsamen Satz aus Beethovens Sturmsonate darüber gelegt. Ihm, Kochmüller, sei es oblegen gewesen, die Melodie von Autumn leaves auf die Metallplatten seines Vibraphons zu hauchen, und das alles habe in einer Weise zu einander gepaßt, daß es eine einzige Freude sei, allerdings für ihn erst jetzt, weil zur Zeit des Entstehens dieser Unerhörtheit Selbige frostiges Beifallverhalten des Wiener Publikums nach sich gezogen habe.
 
 
© Christian Oelemann