Der Zickenpfad

von Joachim Klinger

Foto © Frank Becker

Der Zickenpfad
 
Ich geh' hinauf den Zickenpfad,
auch „Geißenweg“ geheißen.
Da sieht man hinter Stacheldraht
die Braunen und die Weißen.
 
Sie glotzen mit bewegtem Bart
und knabbern Kraut und Zweige.
Mich stört nicht ihre Gegenwart.
Es geht bergan, ich steige.
 
Doch plötzlich kommt mir eine Geiß
auf meinem Weg entgegen.
Sie senkt den Kopf, trifft meinen Steiß
mit Wucht und ungelegen.
 
Ein jäher Fall - mein Körper rollt
hinab den Hang und eilig.
Auch das vollzieht sich ungewollt,
und erst im Tal verweil' ich.
 
Ja, das war wohl ein Schicksalsschlag.
Es gilt, sich abzufinden.
Man tröstet sich: Es kommt der Tag,
da blaue Flecken schwinden.
 
Ich gebe Freunden meinen Rat,
den Zickenpfad zu meiden.
Das Geiß-Gehörn, der Stacheldraht -
man hüte sich vor beiden!
 
 
Joachim Klinger