Reisen. Fotos von unterwegs

Fotos von Schriftstellern aus dem Literaturarchiv Marbach

von Johannes Vesper

Arthur Schnitzler, Karerpass Bozen 1925
Foto: DLA Marbach

Reisen. Fotos von unterwegs

Fotografien von Schriftstellern
aus dem Literaturarchiv Marbach
 
Im Literaturmuseum der Moderne zu Marbach werden noch bis zum 5. Oktober 2014 Fotos aus dem Bestand des Marbacher Archivs gezeigt, gezeigt, die in den Jahren 1892-2013 von Schriftstellern auf Reisen geschossen worden sind. Gezeigt werden Reisefotos u.a. von Harry Graf Kessler, Hermann Hesse, Armin T. Wegner, Arthur Schnitzler, Ernst Jünger, Siegfried Kracauer, Karl Löwith, Hilde Domin, Heinz Czechowski, Siegfried Lenz, Jörg Fauser, Bernward Vesper, Peter Handke, W.G. Sebald, Nora Gomringer, Rainald Goetz, Ludwig Klages. Sie sind zumeist nur unvollständig beschriftet, sodaß Objekt, Ort und Zeit der Entstehung oft nur erahnt werden konnten. Ordnung scheint auch bei Schriftstellern nicht verbreitet zu sein. Hilde Domin z.B. hat ihre Fotos einfach in einer Fotoschachtel abgelegt. Was zeichnet nun Fotografien von Schriftstellern auf Reisen vor anderen touristischen Urlaubsfotos aus? Die künstlerische Qualität der gezeigten Aufnahmen ist mit denen professioneller Fotografen nur gelegentlich zu vergleichen. In wieweit die Fotos das philosophische und literarische Werk der fotografierenden Schriftsteller widerspiegeln, müßte im Einzelfall untersucht werden. Die fotografischen Objekte sind, auch wenn Schriftsteller knipsen, in vielen Fällen unspezifisch: Landschaft, berühmte Bauwerke, selbstinszenierte Bilder finden sich wie im Fotoalbum bzw. heutzutage auf der Festplatte jedes Touristen. Vielleicht ist es kein Zufall, daß Massentourismus und Fotografie um 1840 fast gleichzeitig erfunden wurden. Dem Beitrag von Freddy Langer im Katalog ist zu entnehmen, daß die Unfähigkeit des Engländers Henry Fox Talbot auf seiner Hochzeitsreise die Landschaft am Comer See zu zeichnen, ihn zu seinen Experimenten und Forschungen veranlaßt hat, in Folge derer ihm 1835 seine erste fotografische Aufnahme gelang. Als dann 1839 Daguerre seine ersten Dagos in Frankreich vorlegte, entstand selbstverständlich ein Urheberstreit zwischen den beiden. In den ersten

 Claire Goll, New York - Foto: DLA Marbach
Jahrzehnten nach Erfindung der Fotografie lichteten Reisefotografen die Welt ab und brachten sie in riesigen Folianten dem Publikum nahe. Und nachdem 1888 die Kodak Nr. 1 herauskam und Fotos vom Rollfilm auf Papier gebracht werden konnten, wurde massenhaft alles und von jedem fotografiert.
 
Die Weltreise zu Beginn der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts des damals 24-jährigen Harry Graf Kessler war fotografisch außerordentlich ergiebig. Dabei sind nicht alle seine Fotos von ihm. Das Foto der furchtbaren chinesischen Leiche (Kopf und Arme abgehackt) hat er anscheinend von einem professionellen Fotografen gekauft. Trotz unzureichender Beschriftung seiner zahlreichen Fotografien weiß man relativ viel über ihn, da er jahrzehntelang sehr genau Tagebuch geführt hat. Später schuf er ja sehr, sehr schöne Bücher mit seiner Cranach-Presse, über die gerade anläßlich des 100-jährigen Jubiläums in der Anna-Amalia-Bilbiothek Weimar eine Ausstellung läuft.
Hermann Hesse dokumentiert in Alpenlandschaften wie auch in den Fotos seiner Asienreise subjektive Augenblicke und erinnerungswürdige Episoden, schießt also eher als Tourist seine Bilder, während die Aufnahmen des Sanitätsoffiziers Armin T. Wegner zur Vertreibung der Armenier 1915 schon eher Bildgeschichten eines Reporters entsprechen, auch wenn er später als Urlaubsreisender mit seiner Frau auf dem Motorrad erneut in den Orient reist. Sein Kriegsschiff auf dem Mittelmeer läßt das Pathos erahnen, mit dem der 1. Weltkrieg geführt wurde. Auch die Kriegsfotos von Ernst Jünger haben etwas von einer Bildberichterstattung, wie z.B. seine Blicke durch das Scherenfernrohr oder auf völlig unzureichende militärische Anlagen („Sichtschutz“, S. 226). Andere Fotos spiegeln aber auch individuelle Erlebnisse wider, und seine Sardinienfotos von 1994 sind frei von subjektivem Erleben, teilweise ästhetische Schattenstudien zeigen Schafe in der Landschaft. Bilddramatisch wirkungsvoll sind die Fliegeraufnahmen Friedrich Franz von Unruhs im Wolkenhimmel über der Gizeh-Pyramide (S.124) und fast schon für Spionagezwecke brauchbar ist die Luftaufnahme einer Befestigung am Suezkanal. Was macht die deutsche Luftwaffe im 1. Weltkrieg über Ägypten? Der militärische Feldzug war nichts anderes als eine Reise auf Befehl. So wurden die Kriegsbilder in die Ausstellung aufgenommen.
 

Ludwig Klages: Franziska zu Reventlow Samos 1900 - Foto: DLA Marbach
Arthur Schnitzler inszeniert sich als Kabriofahrer (siehe oben links). Ludwig Klages lichtet auf Samos Franziska zu Reventlow ab, nackt. Relativ selten sieht man das typische Touristenfoto: Der Urlauber vor einer Sehenswürdigkeit, womit der Tourist mitteilt: Ich war auch hier. Im alten Nubien haben die Reisenden in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts dazu in die Tempelmauern ihre Namen als Graffiti geritzt. Eines der ersten Farbfotos der Ausstellung stammt von Hubert Fichte, der 1960 am Auto in der Provence (S. 287) stehend winkt. Sein „Ausflug mit Ramon 1967“, wieder in schwarz/weiß, ist eine Männerinszenierung vor einem Straßenkreuzer. Peter Handke fotografierte eine Trockenmauer mit wohl zufällig an ein Vögelchen oder auch an einen Schafskopf mit Helm erinnernden Steinen sowie einen Parkplatz in Österreich. Die letzten „bösen Bilder“ von Rainald Goetz (2013) zeigen nach pittoresken Trockenholzstudien eingerissene Sicherheitsgurte in Großaufnahme S. 468). Das Leben ist anscheinend gefährlich.
 

Zahlreiche Texte zu den Bildern der Schriftstellerkollegen stammen u.a. von Gustav Seibt, Arno Geiger, Katharina Hacker. Kurzbiographien der Schriftsteller-Fotografen ergänzen das umfangreiche Bildmaterial des voluminösen Katalogs. Im Nachwort wird über die Geschichte der Fotosammlung des 1955 gegründeten Deutschen Literaturarchivs berichtet (Frank Druffner).
Die Ausstellung zur Geschichte der Fotografie und des Reisens ist bis zum 5.10.14 im eleganten weißen Literaturmuseum der Moderne des Architekten David Chipperfield neben dem Schiller-Nationalmuseum in Marbach zu sehen. Und Robert Gernhardt, der an sich ja immer recht hatte, der „schaudernd, bei Gott schaudernd, das Verächtliche seiner eigenen Bildeinfälle“ erkannte und vor dem Eingang zur Ausstellung in blau zitiert wird mit: „Es geht nicht um bessere oder schlechtere Ferienfotos, die Konsequenz kann nur sein: keine Fotos“ - ihm wird diesmal ausdrücklich widersprochen und die literarische Reise zu den Fotos nach Marbach dringend empfohlen.


Hermann Hesse, 1913 Lonza - Foto: DLA Marbach

Marbacher Kataloge 67 Herausgegeben von Heike Gfrereis
Anläßlich der Ausstellung „Reisen. Fotos von unterwegs“ Literaturmuseum der Moderne, Marbach am Neckar vom 15.03.-05.10.14
 
© 2014 Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar, 534 Seiten, Broschur,
mit Fotografien unter anderem von Harry Graf Kessler, Hermann Hesse, Ernst Jünger, Arthur Schnitzler, Gustav Sack, Armin T. Wegner, Karl Löwith, Hilde Domin, Heinz Czechowski, Siegfried Lenz, Jörg Fauser, Walter Hasenclever, Ludwig Klages, Siegfried Kracauer, Bernward Vesper, H.G. Adler, Jörg Fauser, Peter Handke, Hermann Kant, Christa Reinig, Michael Roes, Thomas Hettche, Ilija Trojanow, Matthias Politycki, Kathrin Röggla, Judith Schalansky, Nora Gromringer, Thomas Meinecke und Rainald Goetz.
Vorwort von Heike Gfrereis, Freddy Langer: Reisen und Fotografieren, weitere Texte u.a. von Gustav Seibt, Arno Geiger, Katharina Hacker
Redaktion Dietmar Jaegle, Ausstattung Diethard Keppler - ISBN 978-3-944469-01-0.
30,- €
 
Weitere Informationen: www.dla-marbach.de

Redaktion: Frank Becker