Rhein und wahr

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Widrigkeiten

18. Juni:  Wann geben wir auf? Wann erscheint uns der Einsatz sinnlos? Wir stehen vor dem Parkscheinautomaten. Wir haben keine Zeit. Wir wollen noch unbedingt auf die Bank um Geld abzuholen. Wir werfen 50 Cent in den Schlitz, um 10 Minuten parken zu können. Natürlich fällt das Geld durch. Wir kennen das schon. Wir fischen das Geld aus dem Durchfallbecken und werfen es erneut in den Schlitz. Es fällt durch. Das will keiner haben. Da ist kein Zwischenstop. Wir hören es wieder in dem Fach für Wechselgeld landen. Wir geben nicht auf. Hinter uns steht ein Mann und schaut uns über die Schulter. Wir halten ihm die Münze entgegen. Er versteht das Problem, aber er will nicht tauschen. Er braucht selbst seine Münze, seine Frau hat sie ihm gegeben. Er sieht so aus als würde sein Geld überall Gewinn abwerfen. Sie kramen in ihrer Jackentasche. Eigentlich ist da nie Münzgeld zu finden, aber eigentlich sollte auch dieser Parkscheinautomat Geldmünzen annehmen und Parkscheine ausspucken. Nun stehen sie schon seit einer Viertelstunde vor dem Platzanweiser, aber ihr Geld nimmt er nicht an, auch wenn sie es mit Spucke benässen und an der Hose abwischen. Wann geben wir auf? Wann erscheint uns der Einsatz sinnlos?
 
 
20. Juni:
 
Das Rolltor
 
Das Rolltor ratternd runter rollt
versperrt den Weg zum Hof
die Welt ist groß, wenn ihr es wollt
und Rolltore sind doof
 
Da steht ein Rolltor nun im Weg
und rollt sich vor uns ab
wenn ich mich unters Rolltor leg
ich andre Sorgen hab.
 
Das Rolltor trennt auch Frau und Mann 
und hält Gott von uns fern
denn wenn er uns nicht sehen kann
dann hat er uns nicht gern
 
Wer heutzutage Rolltor ist
der hat es auch nicht leicht
weil jeder an das Rolltor pißt
und sich dann schnell wegschleicht
 
Roll roll roll roll roll roll roll 
Rolltor roll roll roll 
Roll roll roll roll roll roll roll 
trenn mich von Nicole
 
 
21. Juni: Das Stück ohne Publikum. Doktor Beringer ging am Schluß so weit, daß er nur noch Stücke spielte, zu denen kein Publikum zugelassen war. Alles wurde mit großem Aufwand beworben, und jeder wußte, dass dieses Stück, dieses Drama, irgendwo in der Stadt stattfand und ohne Publikum gespielt wurde. Zuschauer waren nicht mehr erwünscht. Das Theater lehnte sich auf. Es wollte seine Würde zurück. Das war schon ein großes Zeichen. Man sprach später von den ungestörten Jahren.


 © 2014 Erwin Grosche für die Musenblätter