Hetzjagd

Daniel Saladin – „Aktion S. - Eine Hetzjagd nimmt ihren Lauf“

von Jürgen Kasten

Hetzjagd
 
Gelegentlich rezensiere ich Bücher, und zwar vorwiegend solche, die mir vom Titel oder der Kurzbeschreibung her zusagen. Diese Bücher lese ich sorgsam, lege Maß an und stelle sie den Lesern vor.
Das vorliegende Buch vom Schweizer Rotpunkt Verlag interessierte mich, weil darin der Autor beschreibt, wie er als Deutschlehrer eines Zürcher Gymnasiums unter Pornografieverdacht strafrechtlich verfolgt und damit seine berufliche Existenz vernichtet wird, er in eine schwere Depression abgleitet, in der Psychiatrie landet, nach Deutschland (Hamburg) auswandert und schließlich mit diesem Buch eine Abrechnung mit der Justiz vorlegt. Soweit der Überblick. Nun noch eine kurze Inhaltsbeschreibung, auf den Stil des Autors eingehen und dann eine Empfehlung aussprechen. Doch so einfach geht es mit diesem Buch nicht.
 
Dr. Daniel Saladin schreibt sehr polemisch. Verständlich aus seiner Sicht. Er ist das Opfer. Er unterrichtete deutsche Literatur, Linguistik, Philosophie, Theater und Film. In Bezug auf seinen Fall spricht er viel von Vergleichen. Einen ersten Vergleich zieht er gleich zu Beginn, nämlich zu Kafkas „Der Prozess“ (Originaltitel der 1925 erschienenen Erstausgabe. Saladin verwendet immer die korrekten Begriffe). Weitere Vergleiche folgen aus Literatur, Kunst bis hin zur Weltpolitik, denn Saldin sieht seinen Prozeß politisch motiviert, angetrieben von einer verknöcherten, inkompetenten Schweizer Justiz.
Saladin ist ein strenger; aber äußerst beliebter Lehrer. Sein Unterricht ist innovativ und multimedial. Im Deutschunterricht setzt er Musik und Projektionen ein. Seine Theaterprojekte werden gelobt, seine Fotos als Kunst betrachtet. Er befruchtet das Denken und kritische Hinterfragen seiner Schüler. Das sagt nicht er, sondern seine Schüler, auch ehemalige, Eltern und sein Schuldirektor. Als Beweis führt er Originaldokumente in das Buch ein.
 
Was ist eigentlich geschehen?
 
Als Schullektüre behandelte Saladin u.a. „Frühlingserwachen“ von Frank Wedekind. Bis 1912 wurde das Werk als pornografisch eingestuft. Inzwischen gilt es offiziell als Schullektüre, wie auch andere Werke und Kunstobjekte, die er in den Unterricht für 14 – 15jährige Schüler einbrachte.
Eines Morgens im Jahre 2009 standen Staatsanwaltschaft und Polizei vor seiner Tür, hielten ihm einen Durchsuchungsbeschluß vor, stellte Fotos, Papiere und Computer sicher und nahm ihn zur Vernehmung mit zur Wache. Saladin spricht von Überfall, Diebstahl, Verhaftung und öffentlicher Vorführung.
Die Mutter einer Schülerin hatte ihn angezeigt. Es folgte ein dreijähriges Martyrium, das Saladin bis in den psychischen und physischen Zusammenbruch trieb. Dann endlich kam es zum Prozeß, in dem er in der Hauptsache, nämlich Pornografie in der Schule verbreitet zu haben, freigesprochen wurde. Das Urteil endete mit einer deutlichen Rüge an die Staatsanwaltschaft, die schlampig ermittelte und den Prozeß verschleppte.
Allerdings erhielt Saladin eine Geldstrafe wegen Besitzes von pornografischen Fotos, die in seinem privaten PC gefunden wurden. Unter den Hunderten von Fotos befanden sich auch einige Aktfotos, die Jugendliche zeigen. Die Interpretation der Staatsanwaltschaft (Kunst oder Pornografie) fiel zu Ungunsten Saladins aus. Er schreibt, daß er viele der Fotos gar nicht kenne, möglicherweise seien sie ihm untergeschoben worden.
Stück für Stück zerlegt Saladin die angeblichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, die tatsächlich gar nicht stattfanden. Ohne eigene Überprüfung oder Zeugenvernehmungen übernahm sie die Anschuldigungen der anzeigenden Mutter. Übergeordnete Instanzen wiederum übernahmen das Ganze ebenso. Wort für Wort pflückt der Autor Schreiben der Staatsanwaltschaft auseinander, deckt Fehler, Unkenntnis und Inkompetenz der ermittelnden Staatsanwältin auf und belegt dies mit Originaldokumenten.
Das ist nachvollziehbar und in einer exzellenten Sprache dargelegt. Es ist nicht Saladins erstes Buch. Er schreibt auch Kurzgeschichten und Erzählungen und hat bereits einen Roman veröffentlicht.
 
Daß er der Justiz allgemein, bzw. Jurastudenten eine simple Struktur des Denkens nachsagt (im Vergleich zu anderen Studiengängen) ist jedoch schon mehr als hochnäsig.
Wenn Saladin fast am Ende seines Buches diesen Absatz schreibt: „Novalis´ Liebe zu Sophie von Kühn war eine notwendige. Und eine, die das Mädchen, das mit fünfzehn sterben mußte, leben läßt. Es lebt in einer Grenzsprache, die am Ende der menschlichen Zivilisation vergeht. Bis dahin jedoch brauche ich sie. Als Korrektiv, als Utopie, als Gegenwelt zum Satzbau der Justiz. Wenn denjenigen, die eine solche Liebe brauchen, das Prädikat „pädophil“ zukommt, dann, bitte, bin ich gerne pädophil.“, werde ich hellhörig. Und wenn er Beispiele bekannter Persönlichkeiten anführt, die zu weniger Hysterie sondern differenzierter Betrachtungsweise beim Thema Pädophilie aufrufen, kommen mir leise Zweifel bezüglich der Integrität des Autors.
Sicherlich ist dieses Buch auch eine Art Selbsttherapie, sicherlich ist ihm Unrecht widerfahren und sicherlich hat er jedes Recht, seine Meinung zu veröffentlichen.
Er hat dies mit diesem Buch getan, wurde dafür und während des vorangegangenen Prozesses von einem Großteil der Schweizer Presse diffamiert und verrissen. Überregionale Tageszeitungen wie etwa die NZZ oder die Süddeutsche schrieben dagegen kritische; aber objektive Berichte.
Eine geplante Lesung Saladins in Zürich mußte wegen Protesten abgesagt werden. Inzwischen hat sich für Saladin ein großer Unterstützerkreis aus Literatur, Wissenschaft, Lehrern, Eltern und Schüler öffentlich zu Wort gemeldet.
Saladins Buch ist ohne Frage ein Pamphlet; aber eines, das in unserer sexualisierten Welt, der ein alltäglicher prüder Umgang mit dem Thema Sexualität gegenüber steht, im höchsten Maße diskussionswürdig macht.  
 
Was Sie davon halten, sollten Sie selber erkunden.
Einen interessanten Einblick der aktuellen Diskussion über diesen Fall gibt der Artikel der NZZ .

 
Daniel Saladin – „Aktion S. - Eine Hetzjagd nimmt ihren Lauf“
© 2014 Rotpunkt Verlag, 286 Seiten, Klappenbroschur - ISBN: 978-3-85869-583-3,
€ 27,50, sFr. 34,00
 
Weitere Informationen: www.rotpunktverlag.ch