Wohnen als Kulturgut

Michael Sheridan - „Landmarks - The Modern House in Denmark“

von Frank Becker

Wohnen als Kulturgut
 
„Landmarks – The Modern House in Denmark“
 
Wer unseren kleinen nördlichen Nachbarn Dänemark besucht und nicht nur die feinen Strände und hübschen „Fritidshuse“ zum Urlaub machen nutzt, kann außerhalb und in den Randbezirken der großen Städte im ganzen Land Beispiele der Wohnkultur der 1950er und 1960er Jahre sehen, die dank weitsichtiger Planung eine Qualität bietet, die längst weltweit als mustergültig und richtungweisend in der Architektur von Einfamilienhäusern anerkannt ist. Visionäre wie Jørn Utzon, Arne Jacobsen, Vilhelm Wohlert, Finn Juhl, Henrik Iversen & Harald Plum, Bent Moudt, Halldor Gunnløgsson, Mogens Lassen u.v.a.m. entwarfen Häuser für den Menschen: hell, luftig, großzügig und mit klaren Linien. Im Zusammenwirken mit hervorragenden Innenarchitekten, Designern von Möbeln und Beleuchtungskörpern sowie der typisch dänischen Keramik- und Stoffkunst entstanden „auf der Grundlage einer Ästhetik, die Materialtreue, konstruktive Ehrlichkeit und formale Reduktion“ in den Mittelpunkt stellte, Wohngebäude von zeitloser Schönheit und unübertrefflicher Zweckmäßigkeit.
 
Überwiegend auf die landestypischen Baumaterialien Holz und hellen Backstein zurückgreifend, kombiniert mit großzügigen Glasflächen, die das Haus zur einbezogenen Natur öffneten und Maßstäben hoher Ästhetik wurden Häuser entwickelt, deren Bauart und Grundrisse bis auf den Tag auch den höchsten Ansprüchen ans kultivierte, menschenfreundliche Wohnen genügen. Das Prinzip und der Stil bewährten sich aber auch in größerer Form bei öffentlichen Gebäuden wie Bibliotheken, Schulen, Kirchen und Verwaltungshäusern und prägte ab Mitte der 1950er Jahre das Bild des öffentlichen Lebens in Dänemark. Aus „Wohnmaschinen“ wurden Lebensräume, aus grauer Verwaltung ein Muster des offenen demokratischen Umgangs von Behörden mit Bürgern.


Bogh Andersen House - Foto Hans Ole Madsen © Hatje Cantz Verlag

Der New Yorker Architekt und auf dänisches Design spezialisierte Autor Michael Sheridan stellt in seinem soeben bei Hatje Cantz erschienenen Buch „Landmarks – The Modern House in Denmark“ an ausgesuchten Beispielen das Prinzip dieser Architekturform vor, darunter das 1952 fertiggestellte Haus Utzon von Jørn Utzon, Arne Jacobsens Siesby Haus (1959), das traumhaft am Meer gelegene Gunnløgsson Haus von Halldor Gunnløgsson (1959), das Bendix-Harboe Haus mit Bibliothek, Kunst und beinahe verwunschenem Hofgarten, das 1955 als Sensation gefeierte, perfekt in seinen Garten integrierte Sørensen Haus von Erik Christian Sørensen – und das ganze Gegenstück zu allen Prinzipien: das Boh Haus von Vilhelm Wohlert (1957), das durch seine schlichte Zweckmäßigkeit eher erschreckt.


Middelboe House - Foto Hans Ole Madsen © Hatje Cantz Verlag
 
Diese und etliche mehr werden nach einem ausführlichen und reich bebilderten auf die historischen Einflüsse (Bauhaus, Frank Lloyd Wright, Marcel Breuer, Frits Schlegel, Tyge Hwass u.a.) eingehenden Vorwort – nicht auslassen! - mit vielen brillanten neuen Farbfotografien, einigen historischen s/w-Aufnahmen und Grundrissen dokumentiert, erläutert und samt Entwurfs- und Baugeschichte in den Zeitkontext gesetzt. Im Vorwort werden auch später nicht näher erläuterte, aber maßgebliche Häuser von u.a. Ole Helweg in Skodsborg (Paulsen Haus 1962), weitere Häuser von Erik Christian Sørensen in Tibirke, Charlottenlund, Vedbæk und Klampenborg (1952-1960) sowie Halldor Gunnløgssons Haus in Rungsted (1959) und das Plum Haus von Henrik Iversen & Harald Plum (Rungsted 1959) vorgestellt.  Die Biografien der im Buch behandelten Architekten sowie ein Verzeichnis zu weiterführender Literatur beschließen den opulenten Band, der für den Leser ein vergnüglicher Spaziergang durch einzigartige Wohnhäuser und allgemein gewiß ein neuer Markstein in der Literatur zur dänischen Architektur ist.


 Helweg Paulsen House Skodsborg 1960-62 © Hatje Cantz Verlag
 
Michael Sheridan - Landmarks - The Modern House in Denmark
Text von Michael Sheridan, Gestaltung von Michael Jensen, Englisch
© 2014 Hatje Cantz, 336 Seiten, gebunden, 25,50 x 28,20 cm, 505 überwiegend farbige Abb.  -  ISBN 978-3-7757-3803-3
39,80 €

 
Weiter zum Thema:
 
Hatje Cantz empfiehlt zu Recht als begleitende Lektüre zu Michael Sheridans grundlegendem Werk zwei weitere aktuelle Neuerscheinungen:
 
Christian Holmsted Olesen – „Hans J. Wegner. Just One Good Chair“
Gestaltung von Rasmus Koch Deutsch
© 2014. 256 Seiten, Ganzleinen, 300 Abb., 25,80 x 32,70 cm
ISBN 978-3-7757-3808-8 - (Englische Ausgabe ISBN 978-3-7757-3809-5)
49,80 €
 
„Eine prachtvolle Monografie aus Anlaß des 100. Geburtstags des großen dänischen Möbel-Designers. – Der Name von Hans J. Wegner (1914–2007) ist untrennbar mit seinen unübertroffenen Stühlen verbunden, mit denen er dem dänischen Design international zum Durchbruch verhalf. Jeder Designliebhaber hat einen Favoriten unter seinen rund 500 Entwürfen. Kaum eine Hochglanzzeitschrift zum Thema Inneneinrichtung kommt heute ohne den eleganten China-Stuhl (1943) oder den Y-Stuhl (1950) aus, und auf seinem mittlerweile nur noch schlicht »The Chair« genannten runden Stuhl (1949) saß einst sogar John F. Kennedy. Der gelernte Möbeltischler Wegner schuf die Prototypen zumeist mit eigener Hand; er benutzte traditionelle Verbindungstechniken wie Schlitz und Zapfen oder Fingerzinken und ging dabei an die Grenzen des mit Holz machbaren, was seinen Designs unerreichte Eleganz verleiht. Auch der Humor blieb dabei nicht auf der Strecke, wie sein prachtvoller Pfauen-Stuhl (1947) oder der maskuline Ochsen-Stuhl (1960) beweisen, den man mit und ohne Hörner erwerben kann.“ (Verlagstext)
 
 
Per H. Hansen – „Finn Juhl and His House“
Beiträge von Birgit Lyngbye Pedersen, Gestaltung von Korsager Grafisk Design
Englisch
© 2014 Hatje Cantz,  220 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag 183 Abb., 23,80 x 23,70 cm
ISBN 978-3-7757-3797-5
35,- €
 
„Eine stimmungsvoll illustrierte Hommage an das dänische Design-Genie Finn Juhl (s. auch oben in „Landmarks“) und sein eigenes Wohnhaus, eine Muster des beschriebenen dänischen Geschmacks und Designs. Birgit Lyngbye Pedersen suchte für ein Haus aus den 1950er-Jahren das passende Sofa und entdeckte Finn Juhl (1912–1989) für sich, dessen Möbel im Zuge der Retrowelle derzeit eine stürmische Renaissance erleben. Als Juhls Wohnhaus in Charlottenlund – von ihm 1941/42 entworfen und eingerichtet – zum Verkauf stand, erwarb Pedersen kurzerhand das Gebäude mitsamt Mobiliar und schenkte es dem direkt angrenzenden Ordrupgaard Museum.
Die Monografie nähert sich Finn Juhl – neben Hans J. Wegner und Arne Jacobsen einer der bedeutendsten Vertreter der dänischen Moderne – auf angenehm unprätentiöse Art: Per H. Hansen, ausgewiesener Fachmann für skandinavisches Möbeldesign, beschreibt humorvoll und kenntnisreich den eigenwilligen Charakter, der Finn Juhl selbst ebenso wie seine Möbelklassiker Häuptling-Stuhl, Pelikan-Stuhl oder Dichter-Sofa auszeichnet. Zeichnungen, alte Originalfotos sowie Fotografien der 2008 neu kuratierten Inneneinrichtung sowie ein amüsantes Schlußkapitel der Mäzenin runden den ungewöhnlichen Band ab.“ (Verlagstext)
 
 Weitere Informationen:  www.hatjecantz.com