Die künstlerische Revolution
des Kasimir Malewitsch (1) Große Retrospektive in der Bonner Bundeskunsthalle Daß die Bonner Bundeskunsthalle ihre aktuelle Malewitsch-Ausstellung mit dem Hinweis bewirbt, in Amsterdam, der ersten Station dieser Retrospektive, sei sie von 280.000 Besuchern gesehen worden, gehört zu den Begleiterscheinungen eines hochgradig kommerzialisierten und gebannt auf die „große Zahl“ starrenden Kunstbetriebs. Gleichwohl sagen derartige Zahlen letztlich kaum etwas über Qualität und Bedeutung eines kulturellen Ereignisses. Obwohl das öffentliche Interesse in Bonn während der ersten zwei Monate mit etwa 20.000 Besuchern eher hinter den Erwartungen zurück blieb, kann die Ausstellung doch als exzeptionell bezeichnet werden. Zwar fehlt das legendäre„Schwarze Quadrat“ (um 1913), die Malewitsch-Ikone schlechthin, ansonsten aber ist die Bonner Schau, die mit hochkarätigen Arbeiten alle Werkphasen des Künstlers dokumentiert, so umfassend wie keine Malewitsch-Ausstellung seit der großen Retrospektive im Kölner Museum Ludwig im Winter 1995/96. Dazu tragen exquisite Leihgaben vor allem aus den Sammlungen Chardschijew (Amsterdam) und Costakis (Thessaloniki) sowie aus großen europäischen und außereuropäischen Museen bei.
Die Bonner Ausstellung belegt Malewitschs herausragenden kunstgeschichtlichen Stellenwert als eines der radikalsten Neuerer der Kunst des 20. Jahrhunderts und als Mitbegründer der gegenstandslosen Kunst. Dabei lassen seine künstlerischen Anfänge, wie die Schau in Bonn zeigt, den späteren Avantgardisten kaum erahnen.
Suche und Experiment: das Frühwerk
Lernbegierig und experimentierfreudig, sog Kasimir Malewitsch, geboren 1878 in Kiew, gestorben 1935 in Leningrad, zu Beginn des 20.
Bald vollzog sich im Stil Malewitschs ein signifikanter Wandel: Die Formen verfestigten sich, der Künstler fand zu einer vereinfachten und beruhigten Formensprache. Ein typisches Beispiel für diesen Stilwandel ist die Bäuerin mit Eimern von 1912, eine Darstellung mit zwei schwerfällig daher kommenden Figuren, offenbar einer Mutter mit ihrem Kind. Im Unterschied zum expressiven Duktus des „Badenden“ gliedern hier klar gegeneinander abgegrenzte Farbflächen das Bildfeld. Auffallend ist das Unpersönliche der Gesichtszüge und eine Tendenz zur Typisierung, was sich auch darin zeigt, daß die Bäuerin und das Kind sehr ähnlich gestaltet sind und sich nur ihrer Größe nach unterscheiden.
Der nächste Entwicklungsschritt wird von einem Bild wie Der Holzfäller (1912) markiert. Form und Farbe beginnen sich mehr und mehr vom Gegenstand zu lösen und ein komplexes geometrisches Gefüge zu bilden, in dem zylindrische Formen vorherrschen. In diesem Bild wie auch in ähnlichen Gemälden aus dieser Periode nehmen die leuchtenden Farben einen gleichsam metallischen Glanz an. Obwohl der mechanische Takt des Arbeitsvorgangs durchaus spürbar ist, erscheint die Bewegung des Holzfällers doch wie eingefroren und aus dem natürlichen Zusammenhang von Raum und Zeit gelöst. Larissa Shadowa hat in ihrem grundlegenden Buch „Suche und Experiment“ über Malewitsch geschrieben, daß diese Figuren „auferstandenen gewaltigen Zyklopen“ gleichen und daß sie eine „belebte Urnaturkraft“ repräsentieren.
In seiner Dame an der Litfaßsäule (1914) kombiniert Malewitsch nach dem Vorbild der Pariser Kubisten die klassische Gattung Malerei mit dem damals neuartigen Medium Collage, indem er in die Komposition typografisches Material, fotografische Bilder, Stickmuster und Spitzenbänder hineinmontiert. Die Formen durchdringen einander und bilden eine unauflösliche Struktur, die eine Differenzierung von Figur und Grund kaum mehr möglich macht. Bemerkenswert sind vor allem die beiden großen, monochromen Rechtecke in Gelb- und Rosatönen, die als autonome Farbflächen ohne greifbare Bedeutung, ohne semantische Funktion, erscheinen. Diese geometrischen Flächenformen nehmen zwar das orthogonale Gliederungsprinzip der Komposition auf und fügen sich insofern formal schlüssig in den Gesamtzusammenhang ein, als Einzelformen können sie aber bereits als Vorboten des von Malewitsch begründeten sog. Suprematismus betrachtet werden.
Lesen Sie morgen hier den zweiten Teil dieses dreiteiligen Essays.
Alle Fotos © Rainer K. Wick |