Bernhard Hoetger

zum 140. Geburtstag am 4. Mai 2014

von Joachim Klinger

Bernhard Hoetger, Plastiken - Foto: Hans Saebens Archiv Wetzlar

Bernhard Hoetger

zum 140. Geburtstag am 4. Mai 2014
 
In meiner Kindheit in den dreißiger Jahren galt Bernhard Hoetger in Hörde (damals schon nach Dortmund eingemeindet), als „ein großer Sohn”. Man erzählte mir, daß sein Vater Schmiedemeister war, daß er am „Alten Markt” geboren worden war (am 4.5.1874), und dort gewohnt hatte. Seinem Geburtshaus gegenüber stand das Fachwerkhaus meiner Urgroßeltern Siewers. Mein Großvater Heinrich und sein Bruder August – beide nur wenige Jahre jünger – könnten mit Bernhard Hoetger und seinen Geschwistern gespielt haben …
Hoetger war Bildhauer, aber Werke von ihm gab es nicht zu sehen. Meine Großeltern zeigten mir eine Abbildung des 1928 für seinen Heimatort Hörde geschaffenen Friedrich-Ebert-Denkmals. Ein schlichter Sockel mit dem Portrait des verstorbenen Reichspräsidenten en face, ein Bronze-Relief, das die charaktervollen Gesichtszüge des Politikers eindrucksvoll wiedergab. 1933 wurde es von der „neuen Bewegung” hinweggefegt. Wie ich heute weiß, erfuhr Bernhard Hoetger davon in Nizza. Auch sein Revolutionsdenkmal auf dem Waller Friedhof in Bremen war von den Nationalsozialisten zerstört worden.
Dem sehr ergiebigen Aufsatz von Thomas Hirthe „Bernhard Hoetger – eine Skizze zu Leben und Werk” im Galeriehandbuch 2 der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover (1994) ist zu entnehmen, daß Bernhard Hoetger diese Ereignisse gefaßt hinnahm. Am 18. April 1933 schrieb er an den Kunstschriftsteller Emil Szittya in Paris (zitiert aus dem Aufsatz Hirthes): „ … und daß ich Opfer bin, kann mich nicht abschrecken, an den guten Willen der Aufbauenden zu glauben … Szittja hatten einen Blick für Talente, er war der erste Kritiker, der Marc Chagall würdigte. In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts lernte ich in Paris die Witwe Szittja kennen – eine Deutsche ….
 

Bernhard Hoetger, Elberfelder Torso - Foto © Frank Becker
Bildwerken von Bernhard Hoetger begegnete ich erstmalig in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, und zwar im Dortmunder Museum am Ostwall. Sie standen in drangvoller Enge in einem einzigen Raum - eine Ausstellung war das nicht, eher ein Depot. Neben der überraschenden Vielzahl war es die Vielfalt im Ausdruck und Stil, die mich nachhaltig beeindruckte und zugleich verwirrte. Ich beschäftigte mich im Rahmen meiner Möglichkeiten mit diesem Künstler, der aus demselben Ortsteil Dortmunds stammte wie ich; allerdings hatte er seine Jugend noch in der selbständigen Stadt Hörde verbracht. Ich studierte Dieter Golückes Schrift „Bernhard Hoetger. Bildhauer, Maler, Baukünstler, Designer”, herausgegeben vom Museum am Ostwall im Jahr 1984, und verschiedene Gesamtdarstellungen der Kunst des 19. / 20. Jahrhunderts.
Eines wurde mir rasch klar: Das Werk Hoetgers läßt sich nicht knapp beschreiben und kunstgeschichtlich einordnen. Es ist vielgestaltig, weitreichend in seinen künstlerischen Ausdrucksformen, bisweilen befremdlich und dann auch wieder faszinierend. Am ehesten fällt mir der Maler, Zeichner und Bildhauer Max Klinger (1857 – 1920) zum Vergleich ein. Auch er ein Künstler mit höchsten Ansprüchen und kühnen Versuchen in den verschiedensten Bereichen der Bildenden Kunst.
 
Bernhard Hoetger hatte eine breit angelegte Ausbildung. Er ist vier Jahre lang Lehrling bei einem Detmolder Bildhauer, arbeitet dann als Kunsttischler und stellt Kirchenmöbel her, um schließlich ab 1898 an der Düsseldorfer Akademie Bildhauerei und Architektur zu studieren.
Im Jahr 1900 reist Hoetger nach Paris und bleibt dort bis 1907. Längere Ausflüge führen ihn 1903 und 1904 in die Bretagne. Sein Atelier in Paris behält er über das Jahr 1907 hinaus etwa bis 1910. Charakteristisch für ihn ist, daß er Eindrücke und Einflüsse in Frankreich in sich aufnimmt und verarbeitet, aber nicht von künstlerischen Zeitströmungen auf Dauer geprägt wird.
Er lernt Auguste Rodin kennen und schätzen, wird aber nicht sein Schüler. Auch das Werk des Belgiers Constantin Meunier fesselt ihn eine Zeitlang und führt zu Bildwerken wie „Der Schiffszieher”, aber schon bald löst er sich aus der Thematik der Straßenszenen und der schwer arbeitenden Unterschicht.
Geradezu erstaunlich ist, daß Hoetger in dieser Zeit Liebe zum Schaffen des bahnbrechenden Paul Gaugiun entwickelt, der so völlig andere Wege geht als die Impressionisten. Er entwirft und entfaltet eine einfache Formensprache, die sich an außereuropäischer Kunst – insbesondere Ozeaniens – orientiert und ihre endgültige Prägung im Zusammenleben mit Eingeborenen auf Tahiti und den Marquesas erfährt. Paris bietet Hoetger in seinen großen Museen hinreichend Gelegenheit, fremdartige Kulturen wie die Ägyptens, Mexikos, Chinas und Indiens zu studieren; aber auch der romanischen und frühgotischen Kunst Europas gilt sein Interesse.
 

Hoetger, Darmstädter Torso - Foto: Institut Mathildenhöhe
Bernhard Hoetger lernt die unterschiedlichsten Stilrichtungen wie Fremdsprachen, die er in Zunkunft beherrschen wird. Der Zugriff auf den Formenreichtum anderer Kulturen wird ihm leicht. Das bringt es aber auch mit sich, daß ihm vielfach der Vorwurf des Eklektizismus gemacht wird.
Vieles spricht dafür, daß Hoetger auch über einen guten Geschäftssinn verfügte. Er ruft in Paris einen Bund internationaler realistischer Künstler ins Leben und wird 1903 Gründungsmitglied des „Salon d’Automne”. Im selben Jahr schließt er Bekanntschaft mit dem Hagener Industriellen Karl Ernst Osthaus und stellt im November 1903 bereits seine Werke im Folkwang-Museum aus. Im April 1906 verkauft Hoetger an den Elberfelder Bankier, Kunstsammler und Mäzen von der Heydt in Paris einige Aquarelle und die später „Elberfelder Torso” genannte Statue. Im Auftrag seines Förderers von der Heydt schafft er den „Elberfelder Gerechtigkeitsbrunnen” und zieht in ein Haus, das ihm sein Gönner zur Verfügung stellt.
Durch von der Heydt lernt Hoetger den großherzoglich hessischen Kabinettchef Römheld kennen; 1911 wird Hoetger Professor in Darmstadt. Auf der Dritten Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie zeigt Hoetger seinen berühmt gewordenen „Gebetbrunnen” und den sogenannten Mainzer Vogelbrunnen. Der Industrielle Hermann Bahlsen aus Hannover, der die Ausstellung besucht, knüpft Kontakte zu dem schon bekannten und angesehenen Künstler, die zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit führen. Bahlsen erwirbt Bildwerke und gibt Skulpturen in Auftrag. Ein gewaltiges Projekt ist die sogenannte TET-Stadt, ein Entwurf für neue Fabrikbauten mit einer angegliederten Wohnstadt und modernem Freizeit- und Erholungsangebot. Das in der Öffentlichkeit lebhaft umstrittene Modell sieht der Künstler selbst als ein „Gesamtkunstwerk”. Die z.T. kriegsbedingte Finanzlage bedingt ständige Änderungen am Bauvorhaben, die Hoetgers Unwillen hervorrufen. Mit dem Tode des Firmeninhabers im November 1919 stirbt auch das Projekt.
 
Inzwischen hat Hoetger, seit 1914 in Worpswede ansässig, einen neuen Mäzen gefunden, nämlich den Großkaufmann Ludwig Roselius aus Bremen (Kaffee HAG). Zusammen mit Roselius kann Hoetger erfolgreich das Projekt an der Bremer Böttcherstraße umsetzen, ein großes Vorhaben, das nicht ein einzelnes Bauwerk betrifft, sondern ein Ensemble von Bauten. Zu nennen sind insbesondere das Haus Atlantis, das Paul-Becker-Modersohn-Haus und der HAG-Turm. Hier wird Hoetgers schöpferische Kraft im Bereich der Architektur produktiv. Gleichzeitig kann er seine Fähigkeiten als Bildhauer voll entfalten. Das Haus Atlantis mit seiner prächtigen Eingangsfassade bezeugt Ideenreichtum und dekorative Liebe im Detail. Schmuckleisten, Ornamente, Mosaiken werden in der Gesamtkonzeption auf das Schönste zur Geltung gebracht. Mit der Böttcherstraße, die in den Jahren 1924 bis 1931 nach seinem Bild neu entsteht, hat sich Hoetger ein bleibendes Denkmal geschaffen. Er ist durch die Großaufträge zu einem wohlhabenden Mann geworden.
 
Es wäre verfehlt anzunehmen, daß Hoetger sein bildnerisches Schaffen im übrigen vernachlässigt hätte. In seiner Darmstädter Zeit entstehen

Bernhard Hoetger, Die Wut - Foto © Katharina Rosen
Majolika-Tierplastiken, der 15 allegorische Figuren umfassende Zyklus der „Licht- und Schattenseiten” und vier überlebensgroße Fassadenfiguren für das Volkshaus in Bern. 1917 vollendet Hoetger das Portrait der Tänzerin Sent M’Ahesa und 1922 das sogenannte Revolutionsdenkmal für den Bremer Waller Friedhof – beides in „ägyptisierender” Formensprache. Das 1933 zerstörte Denkmal gilt als Symbol für das Schicksal des Proletariats und zeigt in Anlehnung an mittelalterliche Pietà-Darstellungen einen abgezehrten Sterbenden, der sich auf die hinter ihm sitzende große Muttergestalt stützt. Nicht vergessen sei auch, daß sich Hoetger bis zum Ende der 20er Jahre mit Möbelentwürfen und anderen kunstgewerblichen Erzeugnissen befaßt. Als talentierten Designer weist ihn z.B. eine Deckeldose für die Firma Bahlsen aus.
Wie auch Nolde glaubt Hoetger dem Gedankengut der Nationalsozialisten nahezustehen. Er sieht sich als „nordischen” Künstler, der eine germanische Kultur romanisch-mediterranen Tendenzen entgegenstellt. Über die Auslandsorganisation der NSDAP in Rom wird der ab 1931 von der Schweiz nach Portugal und dann wieder nach Italien reisende Hoetger in „die Partei der nationalen Bewegung” aufgenommen (1934), aber 1938 in einem Parteiverfahren wieder ausgeschlossen. Es liegt auf der Hand, daß die Nationalsozialisten diesem eigenwilligen Individualisten kein Vertrauen schenken. Seine Werke – wie z.B. das Revolutionsdenkmal in Bremen – machen ihn ebenso verdächtig wie die erkennbaren Neigungen zu fremdländischen Kulturen, die mit der Nazi-Ideologie nicht in Einklang zu bringen sind.
Über Hoetger wird zwar kein Berufsverbot verhängt, aber er erfährt auch keine Förderung und nur geringe Wertschätzung. Er fertigt eine Reihe von Portraitbüsten an sowie „Charakterköpfe” von historischen Persönlichkeiten wie zum Beispiel von dem Arzt Paracelsus (1493 – 1541). Dieses 1936 in Berlin entstandene Bildnis läßt einen Rückgriff auf die Zeit erkennen, in der Hoetger unter dem Eindruck von Rodin und Meunier stand. Die Werke sind aber wohl auch ein Tribut an den Zeitgeist, der historische Gestalten mit Vorbildfunktion favorisiert.
 
Ende 1943 wird Hoetgers Haus in Berlin-Frohnau bei einem Luftangriff durch Bomben zerstört. Er zieht mit seiner Frau zunächst nach Schlesien und dann nach Niederbayern. Beide leben unter bescheidensten Umständen, da alle Finanzmittel aufgebraucht sind. Im Jahr 1948 finden sie, inzwischen völlig mittellos, Unterkunft im schweizerischen Beatenberg bei Interlaken, zuletzt bei dem Maler Paul Schmidt. Am 18. Juli 1949 stirbt Hoetger im Bezirksspital Unterseen. Diese Angaben verdanken wir dem Hörder Heimatforscher Willi Garth, der sich 2008 um eine Darstellung für den Katalog zur ersten Hoetger-Ausstellung in Hörde bemüht hat. In seinem Buch „Hörde querbeet” (Wartberg Verlag 2009) berichtet Willi Garth auch, daß die Urnen von Bernhard und Lee Hoetger 1969 nach Dortmund überführt und in einem Ehrengrab der Stadt Dortmund auf dem Ostenfriedhof beigesetzt wurden (op.cit. S.75). Das im Buch abgebildete Grabdenkmal zeigt einen schwebenden Jüngling als Drachentöter.
Es ist leichter, über einen Künstler zu schreiben, der in der Auswahl seiner Themen und ihrer stilistischen Behandlung eine gewisse Einheitlichkeit erkennen läßt. Ich denke etwa an Ernst Barlach, der ein Zeitgenosse war.


Bernhard Hoetger, Geiz , Majolika - Foto © Gregor Schuster VG Bild Kunst 2013 / Institut Mathildenhöhe Darmstadt

Wesenmerkmale der Hoetgerschen Kunst sind die konzeptionelle Kühnheit, die Vielfalt im Ausdruck und der thematischen Auswahl und die unbefangene Einbeziehung unterschiedlichster Stil-Elemente. Was für ein schöpferischer Reichtum steckt z.B. in dem Figuren-Ensemble des Zyklus „Licht- und Schattenseiten” aus dem Jahr 1912! Dominant der „Sieg” als eine erhabene Gestalt mit geradezu segnenden Händen, flankiert von je sieben Figuren, die sich hier um den „Schatten” und dort um das „Licht” gruppieren. Auf der einen Seite „Habgier – Wut – Haß – Geiz – Rache – Hinterlist”, auf der anderen „Hoffnung – Glaube – Güte – Milde – Wahrheit – Liebe”. Die „Wut” greift sich mit furiosem Ungestüm in die Haare, das Gesicht ist verzerrt, der Körper will aus einer hockenden Stellung emporschnellen. Dazu im Kontrast die allegorischen Darstellungen „Liebe” und „Hoffnung”, anmutig hingelagerte Frauengestalten in klassischer Ruhe. Hier wird die Spannweite der schöpferischen Kräfte Hoetgers deutlich.


Bernhard Hoetger, Sterbende Mutter mit Kind, 1913, Muschelkalk - Foto © Nikolaus Heiss / Institut Mathildenhöhe Darmstadt
 
Es lohnt sich, das Werk Hoetgers eingehend zu betrachten und sich damit zu beschäftigen. Das erfordert aber auch intensive Bemühungen, die sein Leben und seinen geistigen Hintergrund einbeziehen. Manches mag man brüsk ablehnen – z.B. das 1915 in Hannover aufgestellte Denkmal des Generalfeldmarschalls Graf Waldersee, eine steife Statue mit riesigem Schild, an einen mittelalterlichen Roland erinnernd. Anderes wird einen anrühren, ja, bezaubern: etwa die „Japanische Tänzerin”, und das Bildnis der Tänzerin Sent M’Ahesa. Einen wunderbaren Ausdruck für die Mutter-Kind-Beziehung hat Hoetger in einem Bildwerk gefunden, das als Grabmal für Paula Modersohn-Becker auf dem Friedhof Worpswede seinen Platz eingenommen hat. Eine sterbende Mutter liegt mit zurücksinkendem Kopf so auf dem Boden, daß ihr kleines Kind, unbefangen spielend, zwischen ihren Schenkeln sitzen kann. Das Grabdenkmal ist auch ein schönes Zeugnis der Zuneigung Hoetgers zu der Künsterlin, die er 1906 in Paris kennengelernt und stets nach Kräften zu fördern gesucht hat.


Bernhard Hoetger, Bonze des Lachens Foto © Till F. Teenck


Mit Dank an das Institut Mathildenhöhe Darmstadt, Hans Saebens Archiv Wetzlar,
Bremer Stadtführungen Rosige Zeiten, Till F. Teenck Design

Redaktion + Bildrecherche: Frank Becker