Frühling

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Frühling
 
Also, ehrlich gesagt, als Kind hab ich eigentlich nicht viel vom Frühling gemerkt. Der war einfach da. Und dann hat mein Vater immer gesungen: Winterstrümpfe wichen dem Wonnemond, denn er War ja son Wagner-Anhänger. Wo der ging und stand, da lief der von Moers nach Duisburg inne Tonhalle und hörte sich Musik an. Aber hauptsächlich Wagner. Also der Fliegende Holländer und dann der Ritter mit dem Schwan im Kahn, aber ob das im Frühling bei meinem Vater am schlimmsten war, dat weiß ich nicht mehr. Jedenfalls sonntags fuhren wir dann schon mal nach de Leyenburg oder wie dat Ding hieß, da gab et dann immer Sackhüpfen und Eierlaufen auf son Löffel, un Kaffee und Kuchen.
Und da war auch son Karussel, dat mußte man selbst anschieben, un dann schnell draufspringen. Die meisten Kinder haben sich dann immer übergeben, obwohl wir fast alle einen Kieler Matrosenanzug anhatten, denn sonntags wurde man ja immer fein gemacht und kriegte auch mehrere saubere Taschentücher und ein Eis. Erdbeer, Schokolade und Vanille, wat anderes gab et ja damals noch nicht. Aber das war alles im Frühling. Es War ja dann abends auch länger hell und manchmal durften wir auch länger aufbleiben, und dann lagen wir immer im Fenster und haben uns geheimnisvolle Wörter zugerufen. Und man konnte ja auch am Tag richtig sehen, wie alles wieder ganz grün wurde, und in der Schule mußten wir dann immer einen Aufsatz schreiben: Was hat der Mensch alles dem Frühling zu verdanken? Oder so ähnlich. Und da hab ich immer völlig versagt. Ich mein, Frühling is Frühling, dat merkt doch jedes Kind.
Wat soll ich da noch groß drüber schreiben. Und dann hat mein Vater immer gesagt: Dann schreibsse eben, jetzt Wird alles Wieder zu neuem Leben erweckt, selbst am Niederrhein, Wo die Erde wie eine flache Scheibe aussieht, wird die Erde wieder eine runde Kugel, und aus den schwarz-weißen Kühen werden manchmal braun-weiße, und die Kopfweiden gehen plötzlich am Rhein spazieren, als wenn das gar nix wär, und die spitzen Kirchtürme die werden noch spitzer. Dat schreibsse mal alles hin, mal gucken wat der Lehrer sagt. Am Niederrhein ist der Frühling zu Hause. Jedes Jahr kommt er um diese Zeit extra hier vorbei, um von vorne anzufangen.
Denn am Niederrhein fühlt sich der Frühling am Wohlsten. Schreibsse mal. Dat kann ich doch nicht schreiben, hab ich dann immer gesagt, doch dat kannze alles ruhig schreiben, hat mein Vater gesagt. Der Frühling kommt zuerst an den Niederrhein und dann erst geht er in die anderen Gegenden, warum weiß ich auch nicht, aber dat is so, hat mein Vater gesagt. Un wenn der Lehrer sagt, dat wär dummes Zeug, dann sachsse mal, er sollt mal bei mir vorbeikommen, ich Würd ihm dat schon erklären, denn Wissen und Wissen, hat mein Vater gesagt, dat ist ein gewaltiger Unterschied, besonders am Niederrhein. Und besonders im Frühling.
 
Tach zusammen!   



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Tach zusammen!" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnungen stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.
Redaktion: Frank Becker