„Hauptsache, das Geld ist da!“

„JR“. Nach dem Roman von William Gaddis. Im Wuppertaler Opernhaus

von Daniel Diekhans

Foto © Tom Buber

„Hauptsache, das Geld ist da!“
 
„JR“. Nach dem Roman von William Gaddis. Aus dem amerikanischen Englisch
von Marcus Ingendaay und Klaus Modick in einer Fassung von Tom Peuckert
 
Inszenierung: Marcus Lobbes - Bühne und Kostüme: Pia Maria Mackert - Video: Michael Deeg - Licht: Fredy Deisenroth - Fotos: Tom Buber
Besetzung: JR Vansant (Andreas Helgi Schmid) – Emily Joubert (Hanna Werth) – Edward Bast (Thomas Braus) – Jack Gibbs (Markus Haase) – Rhoda (Julia Wolff) – Smokey Bear (Christoph Schüchner) – David Davidoff, Geschäftsmann, JRs Manager, JRs Anwalt (Heisam Abbas) – Geschäftsmänner, US-Marshalls, Beobachter (Jacob Walser und Marco Wohlwend)
 
 
Der Blick hinter Business-Kulissen: Romanadaption „JR“ im Wuppertaler Opernhaus
 
JR kann einem leid tun. Wer nimmt ihn schon ernst? Als Geschäftsmann. Und überhaupt. Einen elfjährigen Rotzlöffel mit Strubbelhaaren und klobiger Brille. Einen Jungen mit unmöglichen Klamotten und ebensolchem Benehmen. JR weiß selbst am besten, daß er sich nirgendwo blicken lassen kann. Deshalb braucht er ein Telefon. „Da kennt dich keiner. Da sieht dich keiner. Du kannst auf dem Klo wohnen. Interessiert keinen.“ Vom Telefon aus startet er sein Business. Schritt für Schritt baut er ein international agierendes Wirtschaftsimperium auf. Das geht lange gut. Bis schließlich das Gewirr aus Ramschpapieren und Schrottfirmen nicht nur den Urheber JR, sondern das gesamte Wirtschaftssystem in den Abgrund zu reißen droht.
William Gaddis’ „JR“, 1975 erschienen, ist ein Schlüsselroman der amerikanischen Literatur. Auf über tausend Seiten zieht der Text zu Felde gegen die Auswüchse von freiem Unternehmertum und Finanzkapitalismus. Eine Satire, die spätestens mit der Bankenkrise 2008 erschreckende Aktualität gewonnen hat. Der Leipziger Autor Tom Peuckert ging das Wagnis ein, Gaddis’ Wälzer für das deutschsprachige Theater zu bearbeiten. In dieser Spielfassung brachte Marcus Lobbes „JR“ auf die Bühne des Wuppertaler Opernhauses. Dort feierte das Stück am vergangenen Freitag Premiere.


Foto © Tom Buber
 
Eine besondere Perspektive
 
Schon Bearbeiter Peuckert konzentrierte das polyphone Stimmengeflecht des Romans auf ein gutes Dutzend Figuren, die sich um die Hauptfigur JR gruppieren. Regisseur Lobbes arbeitet mit einem neunköpfigen Ensemble, das sich zu Beginn in Siebziger-Jahre-Klamotten vor Bildern der New Yorker Skyline produziert. Eine ungewöhnliche Perspektive muß dabei das Publikum einnehmen. Bei „JR“ nämlich sitzt man nicht wie gewohnt im samtroten Parkett, sondern blickt von der Hinterbühne aus auf die Handlung, die in kurzweiligen hundert Minuten abläuft. Das Opernhaus bildet die natürliche Kulisse. Aktienkurse laufen über die Panormaleinwand, wenn die eigentliche Handlung einsetzt. Bei einem Klassenausflug an die New Yorker Wall Street trifft Rotzlöffel JR den gewieften Broker David Davidoff, der ihm die ersten Börsen-Lektionen erteilt. Zwei verwandte Seelen begegnen sich. Von da an gibt es für den Businessman in spe kein Halten mehr. Der junge Andreas Helgi Schmid spielt die Titelfigur mit einer fast manischen Energie. Sein JR ist immer auf dem Sprung. Von einem Kinderschreibtisch aus bringt er eine Geschäftsidee nach der anderen unter die Leute, hämmert auf eine Schreibmaschine ein, greift zum Mobiltelefon. Das Spotlight ist von Anfang an auf ihn gerichtet. Die übrigen Figuren agieren lange als Schattenbilder, üben sich in eitlen Posen oder bedeutungsvollen Gesten. Ins Licht treten sie erst, wenn sie Teil von JRs unheimlicher Erfolgsstory werden. Jeder bekommt seinen großen Monolog. Alle tragen ihren Teil zum Gelingen des Ganzen bei. So etwa Hanna Werth als JRs Lehrerin Emily Joubert, die als erste JRs tiefen Fall vorausahnt. So auch die Künstlerfiguren – der Komponist Edward Bast (Thomas Braus) und der Schriftsteller Jack Gibbs (Markus Haase). Den einen degradiert er zu seinem Strohmann, den anderen zu seinem Biographen. Auf der verzweifelten Suche nach Liebe oszilliert das abgehalfterte Model Rhoda (Julia Wolff) zwischen beiden Männern hin und her. Da ist das namenlose Fußvolk der Geschäftsmänner, verkörpert von Heisam Abbas, Jakob Walser und Marco Wohlwend. Und da ist Christoph Schüchner – der zweite Ensemblegast neben Schmid – als „American Native“ Smokey Bear. „Wann werdet ihr endlich verstehen, daß man Geld nicht essen kann?“ Seine mahnenden Worte verhallen ungehört. Und dann ist nicht einmal mehr Geld da.


Foto © Tom Buber
 
Von New York nach Wuppertal
 
In einer Schlüsselszene der Inszenierung schmeißen die Broker, beflügelt von JRs Erfolgen, mit Geldscheinen nur so um sich. Der ganze Bühnenboden ist schließlich damit übersät. Der Niedergang von JRs Imperium beginnt. „Hauptsache, Geld ist da!“ lautete sein Wahlspruch. Jetzt soll er 30 Millionen Dollar zurückzahlen. Was er nicht kann. „Wir schieben nur Aktien hin und her!“ beteuern die Broker. In aller Ruhe nehmen Bühnenarbeiter die Bühne auseinander und tragen sie Stück für Stück davon. New York scheint sich immer mehr in Wuppertal zu verwandeln. Die Schwebebahn fährt durch amerikanische Vorstädte. Verrottende Fabriken erscheinen auf der Leinwand. Die Bayer-Werke. Das geschlossene Schauspielhaus. Die Leinwand selbst wird eingerollt. Jetzt ist der Blick aufs Opernhaus gänzlich frei. Die Schauspieler, die ihren Part gespielt haben, setzen sich ins Parkett. Aufmerksam beobachten sie das Finale. Für JR ist noch längst nicht Schluß. Da ist noch einmal dieses irre Flackern in den Augen von Andreas Helgi Schmid. Man ahnt: JR brütet wieder eine neue Idee aus. Langsam senkt sich der Vorhang über Marcus Lobbes’ denkwürdiger Inszenierung. Dieser JR kann einem wirklich leid tun.
 
Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de